Aus Kammern und Verbänden

Sichere Arzneimittelversorgung: Projekte und Erfahrungen

Kolleginnen aus sieben europäischen Ländern konnte die Vorsitzende des Deutschen Pharmazeutinnen Verbandes, Prof. Dr. Karen Nieber, Leipzig, beim 6. Europäischen Pharmazeutinnen-Treffen vom 24. bis 26. September in der hessischen Landeshauptstadt Wiesbaden begrüßen. Wie auch in den Jahren zuvor diente die Tagung der Netzwerkbildung und dem Gedankenaustausch, dieses Jahr unter dem Motto: Sichere Arzneimittelversorgung – Projekte und Erfahrungen von Pharmazeutinnen. Dr. Anne Lawerenz, Leipzig, moderierte die Diskussionen.
Erika Fink (li.) und Prof. Dr. Karen Nieber
Fotos: DAZ/Blasius

Die Präsidentin der Landesapothekerkammer Hessen und der Bundesapothekerkammer, Erika Fink, warf in ihrem Grußwort ein Schlaglicht auf die gegenwärtige politische Situation der öffentlichen Apotheken in Deutschland. Sie hält die Bedrohung für so ernst wie nie zuvor, da die Einkommensmöglichkeiten mehr und mehr durch gesetzgeberische Eingriffe beschnitten werden. Lediglich mit einer fachkompetenten Beratung vor Ort können die öffentlichen Apotheken noch punkten, glaubt Fink. Sie selbst hat die Hoffnung nach eigenem Bekunden jedoch noch lange nicht aufgegeben und appellierte an die anwesenden Kolleginnen, es ihr gleichzutun und weiterzukämpfen.

Petra Müller-Klepper, Staatssekretärin im hessischen Sozialministerium, stellte in ihrem Grußwort die besondere Verantwortung der Apothekerinnen und Apotheker im Rahmen einer sicheren Arzneimittelversorgung heraus. Sie beklagte speziell, dass man in der Gender-Medicine noch am Anfang stehe, weshalb sich die Gleichstellungs- und Frauenminister-Konferenz im Juni 2010 eigens mit dieser Frage befasst hat.

Das Frauengesundheitsportal der BZgA

Dr. Monika Köster von der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) in Köln stellte die Inhalte und die Funktion des Frauengesundheitsportals der BZgA vor. Der qualitätsgesicherte Informationspool, der eine Wegweiserfunktion zu zentralen Themen der Frauengesundheit im Internet übernehmen soll, bietet Fach- und Laieninformation an und führt über Links direkt zu den zentralen Organisationen, Akteuren, Selbsthilfegruppen und Beratungsstellen. Schwerpunkte sind derzeit z. B. die Themen Alkohol, Tabak/Rauchen, gesunde Ernährung, Bewegung, Stressregulation. Das Portal bietet darüber hinaus aktuelle krankheitsbezogene Daten und Informationen, u. a. zu Herz-KreislaufErkrankungen, Brustkrebs, Osteoporose und psychischen Erkrankungen. Für 2011 ist eine Vertiefung der Thematik "Psychische Erkrankungen / Einnahme von Psychopharmaka" vorgesehen. Außerdem will die BZgA in die interaktive Information einsteigen, und zwar mit dem Pilotprojekt Endometriose, das im Januar 2011 online gehen soll.


Internet


www.frauengesundheitsportal.de

Recherche nach zugelassenen Kinderarzneimitteln

Wissenschaftlichen Studien zufolge werden bis zur Hälfte der pädiatrischen Patienten off-label mit Arzneimitteln versorgt, ein erheblicher Risikofaktor in der Arzneimittelversorgung. Für Ärzte und Apotheker ist es oft zeitintensiv und schwierig, in der Praxis nach einem zugelassenen Kinderarzneimittel zu recherchieren. Im Jahr 2003 wurde daher die gemeinnützige Hexal-Initiative Kinderarzneimittel mit der Online-Datenbank ZAK® ins Leben gerufen.

Internet


www.zak-kinderarzneimittel.de


Dr. Jessica Dominguez-Hirschi, Holzkirchen, erläuterte die Inhalte und die Funktionsweise der Datenbank, die Angehörigen der medizinischen Fachkreise kostenfrei zur Verfügung steht. Sie enthält derzeit über 2500 Arzneimittel von 54 pharmazeutischen Unternehmen, die für Kinder zugelassen sind. Die Suche kann für sechs verschiedene Altersgruppen durchgeführt werden, oder auch nach Indikationsgruppe, Wirkstoff, Darreichungsform oder Firma. Es erscheinen die jeweiligen Fachinformationen, in der die relevanten Textstellen zur Dosierung, Art und Dauer der Anwendung bei Kindern gelb markiert sind. ZAK ermöglicht so eine außerordentlich schnelle Recherche.

Monitoring von Wechselwirkungen in der Klinik

Gerade bei der Arzneimitteltherapie im Krankenhaus ist die Gefahr von Arzneimittelwechselwirkungen groß, überschneidet sich hier doch in der Regel die "reguläre" Medikation eines Patienten mit einer im Ausnahmefall zusätzlich erforderlichen.

Moderatorin Dr. Anne Lawerenz und die Referentinnen Dr. Jessica Dominguez-Hirschi, Martina Hahn, Dr. Monika Köster, Patrizia Kadriu-Gfeller, Prof. Dr. Karen Nieber, Kristine Vrublevska, Moira Kinnear (von links).

Martina Hahn, Krankenhausapothekerin in Wiesbaden, die hier ein spezielles Einsatzgebiet im Rahmen der Krankenhauspharmazie sieht, berichtete von einem dreimonatigen Screening-Projekt zu Arzneimittelwechselwirkungen in einer psychiatrischen Station. Im Ergebnis konnte bei einem besseren Monitoring der Medikation die stationäre Verweildauer der Patienten verringert werden. Eine aus ihrer Sicht recht erschreckende Erkenntnis: Lediglich 10% der Wechselwirkungen waren in mehr als einer der relevanten Datenbanken auffindbar. Die Recherche kann demnach recht aufwendig sein. Auch die diesbezügliche Sensibilisierung der Kliniker hält Hahn für schwierig und zudem die Ressourcen seitens der Krankenhauspharmazie für viel zu knapp. Dabei könnte die klinische Pharmazie hier viel leisten, meint Hahn, vor allem dann, wenn der letztlich kostensparende Service von den Krankenkassen entsprechend honoriert würde.

Schottland: Ausbildung klinischer Pharmazeuten

Wie die schottischen Apotheker den Praxisbezug in der klinisch-pharmazeutischen Ausbildung von Apothekern und PTA stärken wollen, schilderte Moira Kinnear vom Department of pharmaceutical sciences, Strathclyde Institute of Biomedical Sciences in Glasgow. Das National Health Service (NHS) hat für beide Berufsgruppen eine Qualifizierungsstufenleiter mit aufsteigendem Verantwortungsniveau entwickelt. Hierzu haben die Universitäten und die Berufsorganisationen gemeinsam ein Fort- und Weiterbildungsprogramm erstellt, das neben dem wissensbasierten vor allem den kompetenzbasierten Ansatz pflegt. Außerdem werden das vernetzte Arbeiten und die Entwicklung interdisziplinärer Ausbildung vorangetrieben. Alles ist straff durchorganisiert und von einem Qualitätssicherungssystem überzogen. Damit sie sich mehr den fachlichen Problemen und der pharmazeutischen Betreuung der Patienten widmen können, haben die Apotheker den rein praktischen Anteil der Abgabe der Arzneimittel an die PTA delegiert. Rund 20 Jahre hat es laut Kinnear gedauert, diesen zukunftsweisenden Ansatz, bei dem die schottische Apothekerschaft innerhalb Großbritanniens eine Vorreiterrolle innehat, zu entwickeln und zu implementieren.

Schweiz: Komplexe Arzneimittelversorgung

Das hochkomplexe System der Arzneimittelversorgung in der Schweiz beschrieb Patrizia Kadriu-Gfeller, Zuchwil. Die 26 Kantone haben ihre eigenen Gesundheitsgesetze, und die knapp 7,8 Mio. Eidgenossen sind bei ca. 90 Krankenkassen versichert. Arzneimittel werden nach Maßgabe einer Spezialitätenliste zu maximal 90% erstattet. Es gibt verschiedene Verkaufskategorien (Listen):

  • Impfstoffe (Z),
  • rezeptpflichtige Arzneimittel mit einmaliger (A) bzw. einmal wiederholbarer Abgabe (B),
  • apothekenpflichtige (C) bzw. nicht apothekenpflichtige OTC-Arzneimittel (D) sowie
  • freiverkäufliche Arzneimittel (E).

Ungewöhnlich unter den Rezeptkategorien sind Dauerverschreibungen von maximal einem Jahr. Zwar werden auch in der Schweiz die meisten Arzneimittel in der Apotheke abgegeben, jedoch entfällt auf öffentliche und Versandapotheken lediglich ein Marktanteil von ca. 52% (nach Herstellerabgabepreisen), wobei der Versandhandel nur unter sehr eingeschränkten Bedingungen zulässig ist. Jeweils ein Viertel des Marktes macht die Selbstdispensation durch die Ärzte (ca. 25%) sowie die Krankenhäuser (21%) aus, während die Abgabe in Drogerien (1,8%) und durch Hersteller mit Sonderbewilligungen direkt an Patienten von untergeordneter Bedeutung ist.

Apotheken versus Ärzte

Die Apothekendichte in der Schweiz ist sehr unterschiedlich und reicht von 1: 1800 bis 1: 20.000 Einwohnern. Fremd- und Mehrbesitz sind möglich, was zur Ausbildung einer Reihe von Ketten geführt hat (25% des Apothekenmarktes, u. a. Sunstore, Amavita, Capitole, Pharmacies Populaires, Topwell). Daneben gibt es Kooperationen (45%) sowie einige sehr erfolgreiche Einzelapotheken, die sich in Marktnischen wie Homöopathika, pflanzliche Arzneimittel oder TCM-Arzneimittel profiliert haben. Mit einigem Argwohn wird das Recht der Ärzte auf Selbstdispensation betrachtet, denn hier lassen die Warenbewirtschaftung und Lagerhaltung der Arzneimittel oft zu wünschen übrig, so Kadriu-Gfeller. Außerdem ist das Sortiment häufig eingeschränkt, abhängig von den Konditionen der Hersteller. Es soll sogar zu illegalen Verträgen mit den Patienten über Abnahmeverpflichtungen von Arzneimitteln gekommen sein. So liegt bezüglich der Arzneimittelversorgung in der Schweiz aus der Sicht von Kadriu-Gfeller noch einiges im Argen.

Lettland: Einmal Kette – immer Kette

Sehr schwierige Zeiten haben die Apotheker in Lettland in den letzten Jahren durchgemacht, so die Einschätzung von Kristine Vrublevska vom lettischen Apothekerverband, Riga. Im Jahr 1999 war durch eine Liberalisierungsmaßnahme der Fremd- und Mehrbesitz freigegeben worden. Innerhalb von nur eineinhalb Jahren wuchs darauf die Anzahl der Apotheken von rund 670 um 200 und ist seither am Limit, denn die Niederlassungsfreiheit wird über die Anzahl der Einwohner pro Apotheke eingeschränkt. Angesichts der fortschreitenden Kettenbildung versuchte der Gesetzgeber bereits zwei Jahre später, im Jahr 2001, die Notbremse zu ziehen, und machte die Regelung rückgängig, allerdings mit einer fast zehnjährigen Übergangsfrist bis Ende 2010. Bis dahin sollten die Ketten vom Markt verschwinden. Tatsächlich nahm deren Anteil am Markt jedoch noch mehr zu. Derzeit gehören ca. 60% der Apotheken zu Ketten, von denen die größten im Besitz von Großhändlern wie Sentor Farm (Recipe plus), Gimenes aptiekas (Tamro) oder A aptieka (Magnum Medical) sind. Hiermit einher ging eine Differenzierung der ursprünglich einheitlichen, vom lettischen Apothekerverband getragenen Interessenlage, denn die Ketteninhaber und Apothekenkooperationen gründeten seit 2008 eigene Verbände.

Kompromiss unbefriedigend

In dieser neuen politischen Landschaft gelang es schließlich nicht mehr, das Rad zurückzudrehen. Das "Ende vom Lied" ist ein aus Vrublevskas Sicht sehr unbefriedigender Kompromiss, der am 9. August verabschiedet wurde und am 2. September 2010 in Kraft getreten ist: Apotheken dürfen nun als Sozietäten oder Kapitalgesellschaften organisiert sein. Im letzteren Fall müssen entweder 50% der Anteile einem Apotheker gehören, oder es müssen 50% der Vorstandsmitglieder Apotheker sein. Eine Majorität haben die Apotheker damit nicht. Immer mehr junge ambitionierte Kollegen wandern ins Ausland ab, weil sie nicht unter dem teilweise rigiden Diktat der Kettenmanager arbeiten wollen.


Helga Blasius

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