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"Apotheker können sich auf unsere Regierung verlassen"

BERLIN (lk). In den letzten vier Jahren kümmerte sich Johannes Singhammer um Deutschlands Familien. Der Vater von sechs Kindern zählte dabei zu den konservativen Modernisierern der CSU. An der Seite von Familienministerin Ursula von der Leyen stritt der 56-Jährige für die Verbesserung der Kinderbetreuung, für die Einführung des Eltern- und Betreuungsgeldes. Nicht immer zur Freude seiner Parteifreunde in der CSU. Jetzt muss er sich in der Gesundheitspolitik zurechtfinden. Mit dem führenden Gesundheitspolitiker der Union sprach DAZ-Korrespondent Lothar Klein in Berlin.
Johannes Singhammer stellvertretender Vorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion – in der neuen Bundesregierung auch für den Gesundheitsbereich zuständig: "Wir halten Wort." Foto: CDU/CSU

Konflikte scheut der gelernte Jurist also nicht. Johannes Singhammer ist kein Politiker der lauten Worte. Im Ton verbindlich, aber in der Sache hartnäckig, verfolgt er seine politischen Ziele. Seit der Wahl im November muss er sich nun in der komplexen Gesundheitspolitik bewähren – für die neue christlich-liberale Koalition Mehrheiten für die konfliktträchtige anstehende Gesundheitsreform organisieren. Ein politisches Himmelfahrtskommando? Standfestigkeit jedenfalls wird er brauchen angesichts der inhaltlichen Trennlinien zwischen Union und FDP.

Evolution statt Revolution

Wie es seinem Charakter entspricht, tritt er im Gespräch mit der DAZ erst einmal auf die politische Bremse: "Wir brauchen im Gesundheitswesen keine Revolution, sondern eine vorsichtige Evolution. In der anstehenden Reformdiskussion müssen wir doch fragen, welche Strukturen haben sich bewährt?"

Überhaupt keine Notwendigkeit sieht Singhammer, etwas am deutschen Apothekenmarkt zu verändern. Im Gegenteil: "Wir haben mit dem deutschen Apothekensystem ein gutes System weit über die Distribution hinaus in der fachkundigen Beratung der Menschen. Darauf können wir stolz sein. Warum sollten wir dieses System als Steinbruch zur Verfügung stellen. Wir werden die Struktur des deutschen Apothekenmarktes nicht antasten. Wir bekennen uns klar zur mittelständischen Struktur der Apotheken. Wir wollen nicht, dass bewährte Strukturen zerschlagen werden. Darauf können sich die Apotheker verlassen."

Pick-ups sollen weg

Was solche Aussagen im juristischen Kleingedruckten der Gesetzgebung bedeuten, ist damit allerdings keineswegs klar. Im Koalitionsvertrag haben Union und FDP unter anderem ein Verbot der Pick-up-Stellen in Drogeriemärkten und anderen Verkaufsstellen verankert. Derzeit läuft im Gesundheits- und Justizministerium fieberhaft die Prüfung, ob dieses Versprechen rechtlich umsetzbar ist. Singhammer zur DAZ: "Noch in diesem Sommer will die christlich-liberale Bundesregierung prüfen, ob die Pick-up-Stellen in Drogeriemärkten und anderen Verkaufsstellen zur Abgabe rezeptpflichtiger Arzneimittel auf das rechtlich unvermeidbare Mindestmaß begrenzt oder vielleicht sogar abgeschafft werden können." Da klingen zumindest Zweifel durch. Denn schon die Große Koalition sah keinen juristischen Hebel, die Pick-up-Stellen per Gesetz zu verbieten. "Wir halten Wort", antwortet Singhammer auf Nachfragen – mehr nicht. Im Sommer will die Koalition ihre Karten auf den Tisch legen.

Zitronenduft in Spanien, Krankenhaus in Deutschland

Keinen Grund sieht Singhammer, das deutsche Gesundheitssystem vom Kopf auf die Füße zu stellen. Das unterscheidet ihn von Gesundheitsminister Philipp Rösler (FDP). "Nicht zu Ende gedacht", sei Deutschlands Krankenkassensystem, begründete Rösler in der Etatdebatte seinen Reformeifer. Bei Singhammer hört sich das ganz anders an: "Wer genau hinschaut, stellt doch fest, dass das deutsche Gesundheitswesen trotz seiner Probleme den meisten ausländischen Systemen überlegen ist. Ich sehe dort kein überlegenes System." Auch die Mehrheit der Deutschen empfindet das offenbar so, glaubt der CSU-Politiker. 24 Millionen Deutsche schlössen jedes Jahr eine Auslandskrankenversicherung ab. Und das habe seine Gründe: "Sie möchten den Zitronenduft in Italien oder Spanien genießen. Wenn jemand aber im Ausland krank wird, möchte er ganz schnell wieder nach Deutschland zurück." Man solle unser System nicht in Grund und Boden reden, rät der CDU/CSU-Fraktionsvize.

Skepsis zur Kopfpauschale

Mit entsprechender Skepsis betrachtet der erste Gesundheitspolitiker der Union im Bundestag Röslers Pläne zum Umbau der Beitragsfinanzierung in eine Kopfpauschale. Gerade erst habe die Politik 15,7 Mrd. Euro Steuergelder ins Gesundheitswesen gepumpt und damit in schwieriger Lage angesichts der Einnahmeausfälle aufgrund der Wirtschafts- und Finanzkrise "Handlungsfähigkeit" bewiesen. Singhammer: "Ich sehe da gewisse Grenzen in der steuerlichen Finanzierung." Auf dem Etat laste die größte Verschuldung aller Zeiten. 2011 müssten mindestens 10 Mrd. Euro gespart werden. Außerdem wolle die Bundesregierung die Steuern um 19,6 Mrd. Euro senken. Singhammer: "Der Spielraum für neue milliardenschwere Ausgaben des Staates wird von Tag zu Tag geringer." Der führende Gesundheitspolitiker der Union sieht daher "keine große Wahrscheinlichkeit", die Gesundheitsprämie auf einen Schlag umzusetzen mit einem auf 30 Milliarden Euro geschätzten Steuerausgleich. Singhammer: "Politik beginnt mit dem Betrachten der Realität."

Anstelle eines Totalumbaus strebt Singhammer die Fortentwicklung des Gesundheitsfonds an: Die Kassen sollen wieder größeren Handlungsspielraum erhalten, Beiträge selbst festlegen können. Singhammer: "Wir sollten den Wettbewerb zwischen den Kassen wiederbeleben. Mehr Spielraum eröffnen." Für einen radikalen Systemwechsel fehlen Singhammer die überzeugenden Argumente: "Dann müssen die Vorteile klar auf der Hand liegen. Und das sehe ich bei der Prämie nicht."

Die strittige Gesundheitsreform ist nicht die einzige politische Großbaustelle, auf der sich Singhammer in den kommenden vier Jahren bewähren und behaupten muss. Die Finanzierung der Pflegeversicherung soll um eine kapitalgedeckte Komponente erweitert werden. So steht es im Koalitionsvertrag. "Wir halten Wort", beteuert Singhammer zum wiederholten Mal und schiebt mit einem kleinen Seufzer hinterher: "Die Arbeit wird uns schon nicht ausgehen."

Kurzporträt: Johannes Singhammer


Am 9. Mai 1953 wurde Johannes Singhammer in München geboren und wuchs auf im Arbeiterviertel München-Giesing. Der Vater war ein kleiner Bankangestellter, die Mutter Hausfrau und kümmerte sich um die drei Kinder. Kurz vor dem Abitur am Albert-Einstein-Gymnasium in München-Harlaching trat Singhammer mit 19 Jahren in die CSU ein. Ums Arbeiten hat er sich nie gedrückt. Als Schüler fuhr er Zeitungen aus, verkaufte Schallplatten, arbeitete als Packer, Briefträger und Autowäscher.

An der Ludwig-Maximilians-Universität in München studierte Singhammer als Stipendiat der Konrad-Adenauer-Stiftung für Begabtenförderung Jura und legte 1978 das erste Staatsexamen ab. Während des Studiums lernte er seine spätere Ehefrau Ruth Baran kennen. Inzwischen sind die beiden Eltern von sechs Kindern.

Nach dem zweiten Staatsexamen 1981 startete Singhammer seine Karriere als Verwaltungsrat in der Landeshauptstadt München mit den Arbeitsgebieten Kommunikation, Reden und übernahm die stellvertretende Leitung des Büros des Oberbürgermeisters. Auch in der CSU ging es voran: Von 1980 bis 1984 war Singhammer Bezirksvorsitzender der Jungen Union München. Unter CSU-Politiker Peter Gauweiler arbeitete Singhammer später im bayerischen Innenministerium.

1994 wurde er in seinem Wahlkreis München-Nord direkt in den Deutschen Bundestag gewählt. Er arbeitet mit in der Kinderkommission des Bundestages und wurde arbeits- und sozialpolitischer Sprecher der CSU-Landesgruppe und zuletzt jugend-, frauen- und seniorenpolitischer Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion.

Nach der Bundestagswahl am 27. September 2009 stieg Singhammer zum stellvertretenden Vorsitzenden der CDU/CSU-Bundestagsfraktion auf und ist dort zuständig für die Bereiche Gesundheit, Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz.

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