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Koalition will G-BA Beweislast auferlegen

BERLIN (ks/dpa). Die Regierungskoalition steht abermals in der Kritik, sich zu sehr von der Pharmalobby beeinflussen zu lassen. Im Mittelpunkt steht dabei ein weiterer Änderungsantrag der Koalitionsfraktionen zum geplanten Gesetz zur Neuordnung des Arzneimittelmarkts (AMNOG). Danach soll der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) neue Arzneimittel über seine Richtlinien nur dann von der Verordnung ausschließen können, "wenn deren Unzweckmäßigkeit erwiesen ist" (oder es wirtschaftlichere Behandlungsmethoden gibt).
Nicht das letzte Wort IQWiG-Leiter Jürgen Windeler hofft, dass der Änderungsantrag der Koalition zur Unzweckmäßigkeit noch verhandelbar ist.
Foto: IQWiG

In der Begründung zum Änderungsantrag zu § 92 SGB V heißt es, dass ein Verordnungsausschluss wegen fehlenden Nutzennachweises ausgeschlossen sei, weil bei Arzneimitteln – im Unterschied zu anderen medizinischen Methoden oder Produkten – die Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit bereits bei der arzneimittelrechtlichen Zulassung von den zuständigen Zulassungsbehörden geprüft würden. Diese Kriterien solle der G-BA daher unter dem Aspekt des medizinischen Nutzens eines Arzneimittels nicht mehr abweichend von der Beurteilung der Zulassungsbehörde bewerten. Darüber hinaus könne der G-BA aber den Zusatznutzen gegenüber Therapiealternativen bewerten– dieser Aspekt wird bei der arzneimittelrechtlichen Zulassung nicht geprüft. Lasse sich nicht nachweisen, dass ein Arzneimittel einen Zusatznutzen hat, es jedoch höhere Kosten verursacht, könne der G-BA die Verordnungsfähigkeit einschränken oder ausschließen. Das gelte auch, wenn der G-BA nachweisen kann, dass ein Arzneimittel unzweckmäßig ist. Der Nachweis der Unzweckmäßigkeit müsse dabei mit hoher Sicherheit erbracht sein. "Bei unsicherer Datenlage ist ein Verordnungsausschluss nicht verhältnismäßig", so die Begründung. In diesem Fall kann der G-BA einen Therapiehinweis beschließen.

Der "Spiegel" hatte berichtet, dass der Änderungsantrag erneut stark an die Formulierungen eines von der Kanzlei Clifford Chance für die Forschenden Pharma-Unternehmen (vfa) erstellen Gutachtens angelehnt sei. Dieser Vorwurf galt bereits dem Änderungsantrag, der vorsieht, dass künftig das Bundesgesundheitsministerium per Rechtsverordnungen die Kriterien für die Nutzenbewertung vorgeben soll.

IQWiG und G-BA: Nicht akzeptabel

Das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) kritisierte die Pläne der schwarz-gelben Regierungskoalition: "Das geht nicht", sagte IQWiG-Leiter Jürgen Windeler der Nachrichtenagentur dpa. "Man kann prinzipiell nicht beweisen, dass etwas nicht da ist." Windeler weiter: "Wenn man einen solchen Nachweis verlangt, heißt das, dass der Gemeinsame Bundesausschuss keine Ausschlüsse aufgrund von Unzweckmäßigkeit mehr fällen kann." Auch der G-BA hält den Änderungsantrag für nicht akzeptabel. In seiner Stellungnahme zur AMNOG-Anhörung im Gesundheitsausschuss des Bundestags heißt es: "Da der G-BA den Nachweis der Unzweckmäßigkeit eines Arzneimittels aus eigenen Erkenntnissen nie führen könnte, hätte der Hersteller es selbst in der Hand, durch Unterlassen weiterer Studien Verordnungseinschränkungen während der Patentlaufzeit auf dieser Grundlage zu verhindern".

Der Leiter der Abteilung Arzneimittel beim GKV-Spitzenverband, Wolfgang Kaesbach, stimmt ebenfalls in die Kritik ein. Dem "Spiegel" sagte er: "Das heißt im Umkehrschluss, dass der Nutzen eines Präparats künftig schon durch die Zulassung bewiesen sein soll. Das ist der Wahnsinn.".


Als skandalös bezeichnete Carola Reimann im DAZ-TV-Interview den Änderungsantrag.
Foto: DAZ/Sket

Kritik aus der Opposition

Auch die Opposition ist über den Änderungsantrag erzürnt: Mit ihm werde die Nutzenbewertung komplett ausgehebelt sagte Carola Reimann (SPD), Vorsitzende des Bundestags-Gesundheitsausschusses, gegenüber DAZ-TV. "Das halte ich für skandalös". Die Linksfraktion wirft der Koalition vor, die Pharmalobby zur "gnadenlosen Selbstbedienung" einzuladen. "Die Umkehr der Beweislast bei der Bewertung des Nutzens von neuen Medikamenten zu Ungunsten der Krankenkassen ist ein Freibrief für die Pharmakonzerne", sagte die gesundheitspolitische Sprecherin der Fraktion, Martina Bunge.

BMG: Regelung sorgt für mehr Klarheit

Der gesundheitspolitische Sprecher der Unions-Fraktion, Jens Spahn, sagte hingegen, der G-BA mache "viel Lärm um nichts". Die Möglichkeit des Medikamentenausschlusses sei von ihm mit Ausnahme einer umstrittenen Entscheidung nicht genutzt worden. Auch das Gesundheitsministerium wies die Kritik entschieden zurück: "Mit der von der Koalition geplanten Änderung soll mehr Klarheit und größere Rechtssicherheit geschaffen werden", sagte ein Sprecher. "Der Gemeinsame Bundesausschuss soll im Unterschied zu heute seine Entscheidung, ein Arzneimittel von der Kostenerstattung auszunehmen, lediglich noch mit einem wissenschaftlichen Beleg untermauern", sagte er. Das helfe auch dem G-BA.

IQWiG-Leiter Windeler hofft, dass das letzte Wort noch nicht gesprochen ist: "Ich frage mich ernsthaft, ob diejenigen, die einen solchen Vorschlag gemacht haben, die Konsequenzen wirklich bedacht haben."

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