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Pharmagroßhandel – neuer Marktteilnehmer gesucht

FRANKFURT (tmb). Mehrere Wirtschaftszeitungen berichteten in der vorigen Woche über einen bevorstehenden Umbruch im deutschen Pharmagroßhandelsmarkt. Demnach strebt der britische Großhändler Alliance Boots eine Mehrheitsbeteiligung beim drittgrößten deutschen Branchenvertreter Anzag an. Der geplante Verkauf der Anzag-Beteiligung von Celesio könnte eine solche Entwicklung auslösen und damit einen neuen großen internationalen Player in den deutschen Markt holen.
Aktionärsstruktur der Anzag Bereits mit den Anteilen von Celesio und Phoenix könnte der bisher größte Aktionär Alliance Boots die Mehrheit erzielen.

Damit käme Bewegung in die seit Jahren bestehende Pattsituation bei den Anteilsverhältnissen der Anzag. Den größten Anteil hält bereits jetzt Alliance Boots mit 29,99 Prozent, gefolgt von der Sanacorp mit 24,99 Prozent Anteil. Jeweils 12,5 Prozent halten die Mitbewerber Celesio und Phoenix, sie hatten diese Anteile 2003 von der DZ-Bank erworben. Weitere Miteigentümer sind die Noweda mit 5,99 Prozent und die niederländische Mediq mit 5,65 Prozent. Nur 8,38 Prozent befinden sich im Streubesitz. Die Aktien werden an der Deutschen Börse gehandelt.

Die Beteiligten

Die Anzag als Traditionsunternehmen mit genossenschaftlicher Vorgeschichte befindet sich demnach im Eigentum ihrer wichtigsten Wettbewerber und zweier weiterer ausländischer Pharmagroßhändler. Alliance Boots entstand 2005 aus dem Großhändler Alliance Unichem und dem Apothekenkettenbetreiber und Arzneimittelhersteller Boots. Der Konzern ist nicht mehr an der Börse notiert, sondern gehört dem Finanzinverstor KKR, der vom italienischen Milliardär Stefano Pessina geführt wird. Im Jahr 2009 setzte Alliance Boots 18,7 Mrd. Pfund (etwa 21 Mrd. Euro) um und verdiente 604 Mio. Pfund (etwa 680 Mio. Euro). Der Konzern ist nach eigenen Angaben in Europa Marktführer als Apothekenbetreiber mit Apotheken in Großbritannien, Norwegen, Irland, den Niederlanden, Italien und Russland. In Deutschland verfügt der Konzern neben der Anzag-Beteiligung über einen 90-Prozent-Anteil an der Megapharm mit Sitz in Sankt Augustin. Dieser "Systemanbieter" für Onkologie liefert als Großhändler Spezialprodukte für diesen Indikationsbereich, in seinem Internetauftritt betont er das unerlässliche Zusammenwirken aller am Versorgungsprozess Beteiligten. Die niederländische Mediq NV in Utrecht betreibt die nach eigenen Angaben größte Apothekenkette in den Niederlanden mit 225 Apotheken und zudem etwa 200 Apotheken in Polen. Mediq beliefert als niederländischer Pharmagroßhändler institutionelle Kunden und versorgt Patienten mit Spezialpräparaten für die Versorgungsbereiche Diabetes, Stoma und Inkontinenz.

Die Anzag selbst hat als drittgrößter deutscher Pharmagroßhändler im vorigen Geschäftsjahr (2008/2009) 3,968 Mrd. Euro umgesetzt und einen Überschuss von 12,1 Mio. Euro erzielt. Das EBIT betrug 35,0 Mio. Euro. Die Eigenkapitalquote ist mit 36,5 Prozent recht hoch. Die Anzag hatte zum Jahreswechsel 2635 Mitarbeiter (umgerechnet auf Vollzeitkräfte). Gemessen am Aktienkurs ist die Anzag gut 250 Mio. Euro wert, also etwas mehr als ein Drittel des Jahresüberschusses von Alliance Boots.

Anzag-Mikado

Die Sanacorp hatte vor Jahren versucht, Anzag mehrheitlich zu übernehmen – sie hat ein Vorkaufsrecht für einen Teil der Anteile von Celesio und Phoenix. Doch die Sanacorp scheiterte in einem jahrelangen Kartellrechtsstreit, weil die Wettbewerbshüter für den Fall einer Übernahme eine zu große Marktmacht der Sanacorp erwarteten. Damit war aber auch klar, dass Celesio, Phoenix und wohl auch die Noweda bei etwaigen Übernahmeplänen ebenfalls am Einspruch der Kartellwächter scheitern würden. So kann sich keiner der deutschen Wettbewerber Hoffnungen auf eine Anzag-Übernahme mehr machen. Das Ergebnis führt zum "Anzag-Mikado" mit der sonderbaren Regel: Wenn sich einer bewegt, ändert sich alles. Die Beteiligungen haben dabei nur noch den Zweck, einen größeren Einfluss anderer oder sogar neuer Wettbewerber zu verhindern und eine möglichst gute Dividende einzustreichen. Doch mit den zunehmenden Schwierigkeiten des Großhandelsmarktes verringern sich die langfristigen Hoffnungen auf lohnende Erträge.

Plötzliche Bewegung

Der erste Beteiligte, der diese unbefriedigende Situation deutlich machte und Konsequenzen ankündigte, war Celesio. Im Bericht über das erste Halbjahr 2010 steht der entscheidende Satz: "Im Juni 2010 hat der Vorstand beschlossen, die nicht strategische Beteiligung an der Anzag zu veräußern." Beobachter sehen in einem möglichen Verkauf der Anteile sogar einen strategischen Vorteil für Celesio, das damit seinen Anteil am Pharmagroßhandel verringern würde und stärker diversifizieren könnte. Beobachter der Branche sehen das größte Kaufinteresse bei Alliance Boots. Denn die deutschen Miteigentümer scheiden aus den genannten Gründen aus, und für reine Finanzinvestoren dürfte der Ertrag eines deutschen Pharmagroßhändlers langfristig kaum attraktiv sein. Alliance Boots dagegen ist ein großes international aufgestelltes Unternehmen, für das Deutschland einen weitgehend weißen Fleck darstellt. Eine Mehrheitsbeteiligung wäre kartellrechtlich unproblematisch und erscheint auch erreichbar. Denn bei einer Aufstockung des Anteils auf über 30 Prozent muss Alliance Boots den anderen Aktionären ein Übernahmeangebot machen. Außerdem gilt auch das Aktienpaket von Phoenix mittlerweile als verkäuflich, wie mehrere Zeitungen berichtet haben. Die Verhandlungsbereitschaft von Celesio habe die Abwehrfront ins Wanken gebracht, hieß es in einer Reuters-Meldung. Hintergrund sind wohl die Umstrukturierungen des Merckle-Imperiums nach dem Freitod von Adolf Merckle – und die strategische Erkenntnis, dass die Pattsituation mit dem Ausscheiden eines Beteiligten aufgehoben ist. So wurde bei Reuters auch gemeldet, dass die Sanacorp keine grundsätzlichen Bedenken gegen einen Verkauf der Anteile habe und letztlich der Preis entscheidend sein werde. Doch allein mit den Anteilen von Celesio und Phoenix käme Alliance Boots über die entscheidende 50-Prozent-Hürde. Die weiteren Anteilseigner müssten dann eher zusehen, dass sie ein attraktives Angebot für eine strategisch nicht mehr interessante Beteiligung nicht verpassen.

Die Aussichten

Vermutlich dürften alle Anzag-Anteilseigner unterstellen, dass nur Alliance Boots ein strategisches Interesse an den Aktien der Anzag hat. Es wurde auch über Verhandlungen mit mindestens einem Finanzinvestor berichtet, aber ein reiner Finanzinvestor würde wohl weniger für die Anzag zahlen. Daher könnte der deutsche Großhandelsmarkt bald einen neuen großen Mitspieler erhalten. Für die Apotheken würde das vermutlich mehr Wettbewerb im Großhandel und vielleicht kleine Vorteile im Einkauf bringen, aber wohl auch eine weitere Verstärkung in der Front der Kettenbefürworter in Deutschland.

Dies alles setzt jedoch den ersten Schritt voraus. Das wäre der Verkauf des Anzag-Paketes von Celesio an Alliance Boots. Nach Medienberichten laufen die Verhandlungen hinter den Kulissen auf Hochtouren. Es rechnet wohl kaum jemand mehr damit, dass die Mehrheitsverhältnisse bei der Anzag bis ins nächste Jahr unverändert bleiben.

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