Feuilleton

Ähnlich, aber nicht gleich*

Manche Lautbild-ähnliche und Schriftbild-ähnliche Wörter werden nicht nur verwechselt, sondern sogar synonym gebraucht, obwohl sie eindeutig keine Synonyme sind. Zur Illustration dieser These einige Begriffe aus Musik, Medizin, Wissenschaft und unserem Alltagsleben.
Ein Thema zu variieren – das ist die Hauptaufgabe des Komponisten, deren Lösung zur Hauptquelle für den Kunstgenuss wird. Sagten doch schon die alten Römer: variatio ­delectat. – Adolph Menzel: Das Flötenkonzert Friedrichs II. in Sanssouci, 1852.
Quelle: wikipedia

Variation und Variante

Die Goldberg-Variationen von Johann Sebastian Bach, die Diabelli-Variationen von Ludwig van Beethoven oder die Variationen über "Ah, vous dirai-je, Maman" von Wolfgang Amadeus Mozart sind in der Tat Variationen, weil sie melodische Veränderungen eines Themas und somit bewusste Umgestaltungen darstellen.

Der Boléro von Maurice Ravel enthält keine Variationen. Das Thema wird nicht verändert, die Melodie (die einzige, die überhaupt vorhanden ist) bleibt in konstanter Bosheit die gleiche. Gewechselt wird jeweils die Instrumentierung, einhergehend mit einem ständigen Crescendo. Die Melodie wird durch den Einsatz von Instrumenten gedoppelt, die in anderen Tonarten spielen. Das auf einem Ostinato-Rhythmus aufgebaute Werk besteht aus Varianten mit ungewöhnlichen Klangfarben, die dem Ganzen eine ungeheuere Spannung verleihen. Ravel selbst soll einmal zu Arthur Honegger gesagt haben: "Ich habe nur ein Meisterstück gemacht, das ist der Boléro, leider enthält er keine Musik."

Wirkung und Wirksamkeit

Die Termini Wirkung und Wirksamkeit werden oft synonym gebraucht, haben aber unterschiedliche Bedeutungen. Wirkung ist ein objektiver, Wirksamkeit ein subjektiver Begriff. Dies gilt auch in der experimentellen und klinischen Pharmakologie:

Wirkungen sind am biologischen Modell ausgelöste, registrierbare und quantitativ messbare Reaktionen. Obwohl die Messwerte ausgewertet werden, ist "Wirkung" kein wertender Begriff, sondern sachlicher und deskriptiver Natur.

Unter Wirksamkeit versteht man dagegen einen normativen Begriff, der sich beim Menschen auf die Beeinflussung eines bestimmten Zustands, einer Krankheit oder des Wohlbefindens durch eine Intervention oder ein Arzneimittel bezieht. Er stellt eine Beziehung her zwischen der objektiv festgestellten Wirkung und dem Verlauf der Heilung des kranken Menschen oder dem Grad der Prävention beim gesunden Menschen.

Vereinfacht kann man sagen, dass der im Arzneimittel enthaltene Wirk- oder Arzneistoff eine pharmakologische Wirkung hervorruft. Von der Anwendung eines Arzneimittels erwartet man dagegen Wirksamkeit, selbst dann, wenn es keine Stoffe mit nachweisbarer Wirkung enthält. Auch ein Placebo oder das verständnisvolle Gespräch mit einem Heilpraktiker können wirksam sein.

Triosonate, Tripelfuge, Tripelkonzert

Es waren gerade die letzten Takte der Triosonate d-Moll (Wq 145) von Carl Philipp Emanuel Bach für Flöte, Violine und Basso continuo verklungen. "Eine Triosonate muss doch von einem Trio gespielt werden! Hier waren aber zwei Flöten, eine Geige und ein Cembalo in Aktion. Da stimmt doch was nicht!", meinte die schöne Nachbarin im Abonnement-Konzert. Was sie sich vorstellte, wäre wohl eher als "Tripelsonate" zu bezeichnen. Die Triosonate , eine der wichtigsten musikalischen Gattungen des 17. und 18. Jahrhunderts, ist durch drei Stimmen gekennzeichnet, nämlich zwei gleichrangige Melodienstimmen über einem Generalbass. Johann Sebastian Bach entwickelte eine besondere Form der Triosonate für ein Soloinstrument und Cembalo, bei dem auf dem Tasteninstrument der Bass mit der linken Hand und mit der rechten Hand die zweite Solostimme gespielt wurden (also eine "Duosonate", sagt die Nachbarin). Jan Dismas Zeleka komponierte sechs Triosonaten für zwei Oboen, Fagott und Basso continuo (also "Quartette", meint die Nachbarin).

Die Zahl 3 ist auch im Sinne von dreifach in den Begriffen Tripelfuge und Tripelkonzert zu finden. Eine Tripelfuge beinhaltet drei Themen, die nacheinander eingeführt und in allmählicher Steigerung miteinander verbunden werden. (Schlag nach bei Shakespeare, nein, sieh nach bei Bach: Contrapunctus 8 und 11 aus der Kunst der Fuge, BWV 1080, oder Orgelfuge Es-Dur, BWV 552).

Ein Tripelkonzert ist ein Orchesterwerk mit drei Soloinstrumenten, z. B. das Tripelkonzert von Beethoven für Klavier, Violine und Violoncello, op. 56.

Arzneimittel und Arzneistoff

Hier soll explizit gesagt werden, was die Begriffe Wirkstoff, Arzneistoff, Arzneimittel und Fertigarzneimittel bedeuten und wie sie sich unterscheiden.

Wirkstoff Beeinflusst ein Stoff in niedriger Konzentration die Funktionen lebender Materie, wie Zellen, Gewebe, Organe, ganze Organismen wie Pflanze, Tier und Menschen in differenzierter, objektiv messbarer Weise, so spricht man von einem Wirkstoff.

Arzneistoff Ein Wirkstoff wird zum Arzneistoff, wenn er therapeutisch, prophylaktisch oder diagnostisch an Mensch und Tier anwendbar ist. Dazu muss er die Hürden der toxikologischen und klinischen Prüfungen genommen haben. Arzneistoffe sind die in den Arzneimitteln enthaltenen molekularen Träger der pharmakologischen Wirkung.

Arzneimittel ist der Sammelbegriff für alle Arzneiformen. Diese werden aus Arzneistoffen zusammen mit Hilfsstoffen formuliert. Leider werden die Begriffe Arzneistoffe und Arzneimittel häufig verwechselt und zu Unrecht synonym gebraucht, auch von Fachleuten, die es eigentlich besser wissen (sollten).

Fertigarzneimittel sind solche Arzneimittel, die über einen längeren Zeitraum in gleich bleibender Zusammensetzung, Qualität und Konfektionierung hergestellt werden und in vorgefertigten Packungen unter einem geschützten Warenzeichen oder als Generika in den Handel kommen.

Risiko und Gefahr

Um diese beiden Begriffe der "Risikokommunikation" gegeneinander abzugrenzen, hat das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) zwei Studien in Auftrag gegeben. Das Resultat kann der Mitteilung des BfR-Pressedienstes vom 26. Februar 2010 entnommen werden:

Die "Gefahr" bzw. das "Gefährdungspotenzial" bezeichnet die Schädlichkeit eines Stoffes an sich, zum Beispiel, ob er giftig, reizend oder ätzend ist. Daraus kann eine bestimmte Wirkung resultieren, zum Beispiel eine krebserregende oder erbgutschädigende. Ein "Risiko" besteht jedoch erst dann, wenn der Mensch mit einem gefährlichen Stoff überhaupt in Kontakt kommt. Dabei spielt die Art des Kontaktes (Aufnahme über die Nahrung, die Haut oder die Atemwege) ebenso eine Rolle wie die Menge des Stoffes. In der Wissenschaft spricht man dabei von Exposition. Ein Risiko ist somit aus toxikologischer Sicht das Produkt aus Gefährdungspotenzial und Exposition.

Collagen und Kollagen – zwei Homonyme

Collagen (oder Kollagen, Betonung auf dem e) bezeichnet als singulärer Sammelbegriff (Plural: Kollagene) die langfaserigen, linearkolloiden, hochmolekularen Skleroproteine, die in Bindegeweben, Sehnen, Knorpeln und in der proteinhaltigen Grundsubstanz der Knochen enthalten sind. Das Wort ist von griech. kolla (κολλα) = Leim abgeleitet. Das durch Dämpfen von Knochenschrot erhaltene Produkt liefert nach Eindampfen den Knochenleim, der im Wesentlichen aus Kollagenen besteht.

Kollagen (oder Collagen, Plural, Betonung auf dem a) sind Objekte der Bildenden Kunst, die durch Aufkleben (frz. coller = kleben) verschiedener Materialien, wie Papierstücke, Tapetenteile, Stofffetzen, Holzspäne etc. auf eine Fläche entstehen. Das Prinzip der Kollagen geht auf die "Papiers collés" von G. Braques und P. Picasso zurück.

Es mag sonderbar oder lustig klingen, ist aber durchaus korrekt, wenn gesagt wird, dass man zur Fertigung von Kolla gen Kollage n verwenden kann.

Hydrieren und hydratisieren

Wie oft habe ich mich schon geärgert, wenn Ärzte und (andere) Gesundheitsberater von Hydrieren sprechen und damit den Ersatz des Wassers meinen, der bei bestimmten intestinalen Infektionen, beispielsweise "Montezumas Rache", dringend geboten ist. Ich habe wiederholt versucht, es zu erklären. Hier ein letzter (fast schon verzweifelter) Versuch:

Hydrieren heißt Anlagerung von Wasserstoff, besonders an Atome mit Doppelbindungen. Würden die bedauerlichen Patienten hydriert, würde sich das gravierend auf die in ihrem Körperfett integrierten ungesättigten Fettsäuren auswirken, und sie könnten vor Steifheit nicht mehr laufen. (An dieser Stelle sollte man darüber nachdenken, warum in den Fetten von Kaltwasserfischen so auffallend stark ungesättigte Fettsäuren anzutreffen sind.)

Wasser zuführen heißt nicht hydrieren, sondern hydratisieren.

Offiziell und offizinell

Offiziell bedeutet behördlich verbürgt oder von einer amtlichen Einrichtung ausgehend. Das Gegenteil wird mit privat oder inoffiziell gekennzeichnet.

Offizinell ist abgeleitet von Offizin, d. h. Werkstatt, in der Arzneimittel (oder Bücher usw.) hergestellt wurden, bevor die Industrie den größten Teil dieser Arbeit übernommen hat (sie entspricht also der heutigen Rezeptur und Defektur in der Apotheke). Offizinell bedeutet, in das derzeit gültige Arzneibuch aufgenommen und, sofern es sich um Arzneimittel handelt, nur in Apotheken erhältlich (Gereinigtes Wasser in Arzneibuchqualität gibt es natürlich auch anderswo). Bleibt zu hoffen, dass das "nur" zum Wohle der Menschen nicht bald offiziell gestrichen wird.

Symptom und Syndrom

Ein Symptom , abgeleitet von griech. syn (συν) = zusammen und ptoma (πτομα) = Fall, Begebenheit, ist ein Zeichen, das auf eine – meist negative – Entwicklung hinweist: Krankheit, Arbeitslosigkeit, Aktiensturz.

Ein Syndrom , abgeleitet von syn (wie oben) und dromos (δρομος) = Weg, Verlauf, ist dagegen ein Symptomenkomplex, ein Zusammentreffen mehrerer Symptome, die, einzeln betrachtet, wenig aussagen, aber durch ihr gleichzeitiges Erscheinen eine Krankheit indizieren. Beispiele: Alzheimer-Syndrom, Burnout-Syndrom, Chinarestaurant-Syndrom, Down-Syndrom, Parkinson-Syndrom.

Systematisch und systemisch

Systematisch bedeutet, in ein System gebracht oder ordentlich gegliedert, planmäßig, gezielt.

Systemisch heißt, verschiedene Organe oder den gesamten Organismus in (mehr oder weniger) gleicher Weise betreffend, im Gegensatz zu topisch oder örtlich, womit die Applikation an Ort und Stelle gemeint ist.

Amnesie und Amnestie

Unter Amnesie wird die zeitlich begrenzte Erinnerungslücke verstanden, die infolge einer Bewusstseinsstörung zum Beispiel bei einer Gehirnerschütterung auftreten kann.

Mit Amnestie wird eine Strafbefreiung bezeichnet, die sich im Gegensatz zu einer Begnadigung nicht auf einen Einzelfall, sondern auf eine unbestimmte Zahl von Fällen und Tätern bezieht.

Akut oder aktuell

Eine Sache, ein Vorgang, die oder der plötzlich oder heftig auftritt und nach einer sofortigen Beschäftigung oder Auseinandersetzung verlangt, wird als akut bezeichnet. Bei Erkrankungen heißt der Gegensatz chronisch .

Aktuell nennt man einen Vorgang, der den gegenwärtigen Geschehnissen, den augenblicklichen Gegebenheiten oder den vorherrschenden Interessen entspricht.

Effektivität und Effizienz

Im allgemeinen Sprachgebrauch werden die beiden Begriffe gleichbedeutend verwendet. Ökonomisch betrachtet bestehen jedoch Unterschiede. Effektivität ist das Verhältnis von erreichtem Ziel und der Zielsetzung, gekennzeichnet durch das Ausmaß der erreichten Wirkung. Effizienz bedeutet das Verhältnis von Aufwand und Erfolg z. B. das Kosten-Nutzen-Verhältnis im Rahmen einer medikamentösen Therapie.

Oft zitiert werden die Aperçus:

Effektivität heißt "die richtigen Dinge tun", Effizient bedeutet "die Dinge richtig tun".

Effektiv bedeutet: tatsächlich, wirklich, greifbar, wirksam, ergiebig, wirklich vorhanden, von wirklichem Nutzen. Mit effizient bezeichnet man die Wirtschaftlichkeit einer Handlung.

Ein Anwendungsbeispiel aus dem Bereich der Pharmakotherapie: Effektiv ist die Besserung des Typ-2-Diabetes durch die Einnahme peroraler Antidiabetika. Effizient ist die Besserung derselben Erkrankung durch eine Gewichtsreduktion. (Etwa 80% der Patienten mit Typ-2-Diabetes sind übergewichtig!)

Die Reihe der aufgeführten Nicht-Synonyme lässt sich beliebig fortsetzen. Es bleibt der Leserin oder dem Leser dieses Glossays überlassen, weitere akute oder aktuelle Beispiele aufzustöbern und mir gegebenenfalls mitzuteilen.


Prof. Dr. rer. nat. Dr. h. c. Hermann J. Roth, FriedrichNaumannStr. 33, 76187 Karlsruhe www.h-roth-kunst.com

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*Herrn Prof. Günter Reinhold, dem virtuosen Pianisten und Mentor der musikalischen Bildung, in freundlicher Verbundenheit zum 75. Geburtstag gewidmet.

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