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Begegnung mit dem Apotheker in 2D

Peter Ditzel

Die Zulassung des Versandhandels reizte und reizt noch immer einige, allerlei Variationen und Strategien zu ersinnen, mit denen sie Arzneimittel an den Mann bzw. die Frau bringen können. Als Rezeptsammelstellen fungierten schon ein Kiosk in der U-Bahnstation, Sammelboxen in Textilreinigungen und bei Tankstellen und wer weiß sonst noch wo – Auswüchse, die sich glücklicherweise nicht gehalten haben und von der Bevölkerung nicht akzeptiert wurden. Und eine Automatenlösung mit Kommissionierer und Callcenter erhielt vom höchsten Gericht eine Abfuhr. Anders dagegen die Rezeptsammelstelle beim Drogeriemarkt dm, bekannt als Pick-up-Stelle, die bis heute Kopfzerbrechen macht. Sie ist auch von der Politik nicht erwünscht, die Forderung, sie abzuschaffen, hat es bis in den Koalitionsvertrag geschafft. Aber die juristisch saubere Durchführung scheint der Politik Probleme zu bereiten. Dennoch, es soll die berechtigte Hoffnung geben, dass es die Politik trotz Widrigkeiten versuchen wird. Der Gesundheitsausschuss des Bundesrates hat jedenfalls in der vergangenen Woche ein eindeutiges Votum ausgesprochen: Die Bundesregierung solle das Verbot der Pick-up-Stellen unverzüglich mit einer rechtlich tragfähigen gesetzlichen Regelung umsetzen.

Abseits von diesen Querelen zimmert ein Ingenieurbüro eine Kiste mit Sitzplatz zusammen, hängt einen großen Flachbildschirm rein, stellt einen Rezeptscsanner dazu und verkabelt das Ganze mit dem Internet – seit etwa einem halben Jahr ist die Videobox als virtuelle Apotheke im Gespräch (und in Gebruach) und sorgt für Diskussionsstoff. Das Kabäuschen, das laut Erfinder und Verkäufer beispielsweise an den unterschiedlichsten Standorten (beispielsweise in Sparkassen, Kliniken, Verwaltungsgebäuden) installiert werden kann, will den direkten Draht zu einem Apotheker fürs persönliche Beratungsgespräch bieten. Fast wie in echt kann der Kunde mit dem Apotheker in Kontakt treten und eine persönliche Beratung erhalten – allerdings in 2D über den Bildschirm. Der Kunde geht in die Box, nimmt auf einem Stühlchen Platz und stellt per Knopfdruck eine Videokonferenz mit dem Apotheker oder der PTA einer nicht allzu weit entfernten Apotheke her. Ein 52-Zoll-Fachbildschirm in HD-Qualität vermittelt ein zweidimensionales Bild des Apothekers bzw. – auf der anderen Seite in der Apotheke – des Kunden. Kunde und Apotheker sitzen sich quasi gegenüber und können sich unterhalten. Das einzulösende Rezept legt der Kunde in der Box in den Scanner, so dass es der Apotheker am anderen Ende der Leitung als Kopie in Empfang nehmen und zur Medikation beraten kann. Der Patient kann in dieser Sitzung auch seine OTC-Arzneimittel bestellen. Ausgeliefert werden die Arzneimittel in aller Regel noch am gleichen Tag im Rahmen des Botendienstes der Apotheke. Jetzt streiten sich die Rechtsgelehrten, wie man diese virtuelle Apotheke einzustufen hat. Ist es eine (ungenehmigte) Rezeptsammelstelle, eine filialähnliche Außenstelle der Apotheke, eine Pick-up-Stelle der anderen Art? Wie viele solcher Boxen darf eine Apotheke eigentlich aufstellen? Könnte daraus sogar eine Apotheken-Kabäuschen-Kette werden? Was wäre, wenn ein Apotheker seine nähere Umgebung mit solchen Boxen in Ämtern, Arzthäusern, Sparkassen und Einkaufszentren zupflastert? Oder wäre diese Konstruktion eine beratungsförderliche Variante zwischen Live-Apotheke und Versandhandel? Es gibt bereits Gedanken, die virtuelle Kisten-Apotheke eigens in der Apothekenbetriebsordnung zu erwähnen. Wäre vielleicht denkbar, die maximale Entfernung von der Apotheke festzulegen? Vielleicht auch die maximale Anzahl an Häuschen pro Apotheke?

Allerdings, bevor jetzt der eine oder andere in Euphorie ausbricht, in der Installation dieser Kabäuschen die zukünftige Geschäftsidee für seine Apotheke wittert und seinen Expansionswünschen freien Lauf lassen möchte: Die Videobox kostet richtig Geld, rund 80.000 Euro, hinzu kommen die laufenden Kosten. Man kann sie nach Auskunft des Herstellers auch leasen für gute 2200 Euro monatlich inklusive Datenverbindung, Wartung und technischem Support. Ein gutes Geschäft – zunächst für den Hersteller. Um seine Häuschen an den Mann zu bringen, hilft er dabei, die möglichen Standorte ausfindig zu machen und verbreitet in den Medien, dass in Deutschland die flächendeckende Arzneiversorgung bereits in Gefahr sei, die Wege zu den Apotheken heute schon immer weiter würden wegen vielen Apothekenschließungen – die Rettung könnte natürlich, wer hätte es gedacht, die Videokisten-Apotheke sein …

Und wie steht es mit denjenigen, die sich in die Box wie in einen Beichtstuhl setzen sollen, den Kunden? Da gibt es noch keine eindeutigen Aussagen. Der eine mag’s, der andere wohl eher nicht. Nicht jedermanns Geschmack ist es, sich mit einem Fernsehbild zu unterhalten. Ein Guten-Tag-Handschlag ist da nicht möglich, ein lebendiges Gegenüber ist einfach etwas anderes. Das wird sich auch nicht ändern, sollte bald alles in 3D zu haben sein. Anfassen geht auch mit 3D und Brille nicht. Live ist einfach anders.


Peter Ditzel

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