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Ginkgo-Getränk darf nicht als Lebensmittel verkauft werden

BERLIN (ks). Hat ein Produkt ab einer bestimmten Menge eine pharmakologische Wirkung, so ist es dem Bundesgerichtshof zufolge als Funktionsarzneimittel anzusehen, wenn davon auszugehen ist, dass diese Menge bei Einhaltung der normalen Verzehrgewohnheiten aufgenommen wird. Angesichts der Mengen an Ginkgo-Extrakt die das Getränk "Carpe Diem Ginkgo" enthält, hat der BGH bereits am 1. Juli entschieden, dass dieses nicht mehr als Lebensmittel in den Verkehr gebracht werden darf. Nun liegen die Entscheidungsgründe vor.

(Urteil des Bundesgerichtshofs vom 1. Juli 2010, Az: IR19/08)

Getränke mit Ginkgo-Extrakt – wann sind sie Arzneimittel, wann Lebensmittel? Ginkgo-Extrakt hat eine pharmakologische Wirkung. Wer es in Lebensmitteln verwendet, muss nach einem Urteil des BGH auf eine genaue Verzehrsempfehlung achten.
Foto: ratiopharm

Auf dem Etikett des streitgegenständlichen Getränkes war eine Trinkempfehlung von "ein bis zwei Gläser täglich" angegeben. Im Rahmen der Beweisaufnahme im Berufungsverfahren vor dem OLG Köln war der gerichtliche Sachverständige zu dem Ergebnis gelangt, dass bei Zuführung von zwei durchschnittlich großen Trinkgläsern von 250 mg täglich bis zu 100 mg Ginkgo-Extrakt eingenommen würden. Eine pharmakologische Wirkung sei hingegen ab einer täglichen Dosis von 120 mg wissenschaftlich nachgewiesen. Das Berufungsgericht zog daraus den Schluss, dass bei normalem Gebrauch des Getränks höchstens 100 mg Ginkgo-Extrakt zugeführt würde und damit keine pharmakologisch wirkende Menge eingenommen würde. Damit sei das Produkt der Beklagten auch kein Arzneimittel, sondern ein Lebensmittel.

Funktionsarzneimittel

Der Bundesgerichtshof (BGH) sieht die Würdigung der Vorinstanz jedoch als rechtsfehlerhaft an. Zwar sei das Berufungsgericht zutreffend davon ausgegangen, dass den objektiven pharmakologischen Eigenschaften eines Produkts eine zentrale Bedeutung für die Beurteilung zukommt, ob es sich bei einem Erzeugnis um ein Arznei- oder ein Lebensmittel handelt. Bei der Frage, ob es sich um ein Funktionsarzneimittel handelt, seien alle Merkmale des Erzeugnisses und insbesondere seine Zusammensetzung, seine pharmakologischen Eigenschaften, wie sie sich beim jeweiligen Stand der Wissenschaft feststellen lassen, die Modalitäten seines Gebrauchs, der Umfang seiner Verbreitung, seine Bekanntheit bei den Verbrauchern sowie die Risiken zu berücksichtigen, die seine Verwendung mit sich bringen kann. Wie der BGH ausführt, soll der Begriff des Funktionsarzneimittels allein diejenigen Erzeugnisse erfassen, deren pharmakologische Eigenschaften wissenschaftlich festgestellt und die tatsächlich dazu bestimmt sind, eine ärztliche Diagnose zu erstellen oder physiologische Funktionen wiederherzustellen, zu bessern oder zu beeinflussen. Wirke ein Stoff pharmakologisch nur in einer bestimmten Menge oder in einer bestimmten Dosis und trete eine pharmakologische Wirkung unterhalb dieser Menge nicht ein, so könne das betreffende Erzeugnis nur dann als Arzneimittel eingestuft werden, wenn und soweit es die für die Wirkung erforderliche Menge dieses Stoffes aufweise.

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Den Volltext des Urteils finden Sie bei DAZ.online im Internet unter "DAZ.online Recht".

Vage Trinkempfehlung

Die Annahme des Berufungsgerichts, die Trinkempfehlung der Beklagten führe dazu, dass pro Tag allenfalls eine Menge von 100 mg Ginkgo-Extrakt verzehrt werde, beruht dem BGH zufolge jedoch auf einem rechtsfehlerhaften Verständnis des auf dem Produkt angebrachten Hinweises, empfohlen seien täglich ein bis zwei Gläser. Diese vage Angabe zur Trinkmenge sei vom Verbraucher nach der Lebenserfahrung nicht dahin zu verstehen, dass er eine darüber hinaus gehende Menge nicht zu sich nehmen dürfe. Eine bloße Empfehlung werde nicht ohne Weiteres als eine Beschränkung der Trinkmenge aufgefasst. Zudem sei auf dem Produkt weder eine Obergrenze noch eine genaue Trinkmenge genannt. Außerdem könne nicht mit hinreichender Sicherheit angenommen werden, dass allein Trinkgläser in einer Größe bis zu 250 ml verwendet würden. Es bestehe vielmehr die naheliegende Möglichkeit, dass der Verbraucher aus einer Literflasche eine Menge von 120 mg Ginkgo-Extrakt pro Tag zu sich nehme, was in etwa einer Menge von 0,6 Litern des Getränkes entspreche. Diese Aufnahmemenge ergebe sich bereits dann, wenn der Verbraucher am Tag etwas mehr als zwei 250-ml-Gläser des Getränkes zu sich nehme oder geringfügig größere Trinkgläser verwende. Könne aber die Verzehrempfehlung nicht dahin verstanden werden, sie enthalte eine Begrenzung auf eine bestimmte Trinkmenge, dass die Tagesdosis von 100 mg Ginkgo-Extrakt nicht überschritten werde, so könne die pharmakologische Wirkung des Produkts der Beklagten nicht verneint werden, so der BGH.

Auf Ginkgo-haltige Nahrungsergänzungsmittel mit eindeutiger Verzehrempfehlung dürften die Argumente des BGH nicht zwingend übertragbar sein. Wie der Bundesverband der Arzneimittel-Hersteller bemerkte, sei bereits die Gefahr der Überschreitung von Verzehrempfehlungen bei in Kapselform erhältlichen Nahrungsergänzungsmitteln regelmäßig nicht in dem Maße gegeben, wie dies bei Getränken der Fall ist.

Zum Weiterlesen

Analytik: Ginkgohaltige Teeprodukte nicht ohne Risiko


DAZ 2008, Nr. 46, S. 62-65.

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