Fachmedien kurz rezensiert

Das Waffenarsenal der giftigen Fauna

Dietrich Mebs

Gifttiere

Ein Handbuch für Biologen, Toxikologen, Ärzte und Apotheker

3., neu bearbeitete und erweiterte Auflage 2010.
IX, 420 S., 511 meist vierfarbige Abbildungen,
35 Formelzeichnungen,
78 Euro (Subskriptionspreis bis 1. Oktober 2010: 59 Euro)

Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft, Stuttgart.

ISBN 978-3-8047-2510-2

Buchstäblich bis an die Zähne bewaffnet sind Giftschlangen, von denen ca. 540 Arten existieren und die auf fast allen Kontinenten und in tropischen Meeren zu Hause sind. In ihren Oberkieferdrüsen produzieren sie ein komplexes Gemisch aus Proteinen und Polypeptiden und injizieren es dem Opfer beim Biss durch die in der Regel hohlen Giftzähne.

Nach ihren Giftwirkungen lassen sich die verschiedenen Arten auch gruppieren: Kraits (bungarus) und Mambas, die zu den Elapidae gehören, produzieren beispielsweise Nervengifte, die ihre Beute sehr schnell lähmen. Der Biss von Vipern und Grubenottern (z. B. Klapperschlangen) dagegen führt zu hämorrhagischen Störungen der Blutgerinnung und so bei nicht tödlichem Verlauf zu dauerhaften Nekrosen.

In jedem Fall entscheidet die Menge des applizierten Gifts über den weiteren Verlauf. Beißen Schlangen bei einer Attacke mehrfach zu, etwa weil sie keine Fluchtmöglichkeit mehr haben oder aber – wie in einem der geschilderten Fälle – sogar absichtlich provoziert (!) wurden, dann ist die injizierte Giftmenge außereuropäischer Arten oft tödlich. Die meisten Begegnungen mit Giftschlangen verlaufen aber weniger dramatisch. Das vorliegende Handbuch gibt hier wichtige Hinweise zu Erste-Hilfe-Maßnahmen bei Schlangenbis-sen – vor allem auch dazu, welche zu unterlassen sind (Aussaugen, intensives Kühlen, Staubinden, Einreiben von Kaliumpermanganat etc.).

Doch nicht nur Schlangen oder Skorpione, sondern auch wirbellose Gifttiere haben im Laufe der Evolution hochtoxische Jagd- und Abwehrsysteme entwickelt. Die Seewespe (Chironex fleckeri) verfügt über meterlange Tentakel, die mit hunderttausenden von Nesselkapseln (Nematocysten) besetzt sind. Bei Berührung schießen aus den Kapseln im 1/1000tel Sekundenbruchteil die Nesselfäden mit einer Beschleunigung von über fünf Millionen g (!) und bohren sich durch die Haut. Die halbtransparenten Tiere sind im Wasser schwer auszumachen und daher für Badeurlauber an australischen Stränden eine ernste Gefahr. So stirbt jedes Jahr mindestens ein Kind an den Folgen einer Begegnung mit der Qualle. Das Proteingemisch wirkt cytotoxisch und stark kardiotoxisch mit der Folge eines Herz- und Kreislaufversagens.

Dies und mehr Wissenswertes erfährt man im spannenden Buch des Toxikologen und Rechtsmediziners Dietrich Mebs. Es gliedert die giftige Fauna in Landtiere und solche, die im Wasser leben und unterscheidet dabei die passiv toxischen, die sich für Fressfeinde ungenießbar machen und die aktiv giftigen, die ihr Arsenal an biologisch-chemischen Kampfstoffen zur Jagd oder zur Verteidigung einsetzen.

Die einzelnen Tiere einer Gruppe mit gleichartigem Giftprofil werden durch brillante Farbabbildungen präsentiert, denen kurze Beschreibungen der spezifischen Merkmale und der geografischen Verbreitung sowie der Lebensweise der Tiere beigegeben sind. Dem folgt jeweils ein zusammenfassender Abschnitt zur Biochemie und Toxikologie der Gifte sowie zur Prävention und zur Therapie von Vergiftungen. Dabei finden sich auch Angaben zu aktuell verfügbaren Antiseren. Jeder Abschnitt schließt mit eindrucksvollen klinischen Fallbeschreibungen, wobei nicht nur die besonders fatal verlaufenden Fälle respekteinflößend sind.

Der Leser wird gefesselt von faszinierenden und präzise recherchierten Details, die auch manche Anekdote korrigieren. So beruht die "Zombie"-Wirkung beim Vodoo-Kult eher auf Suggestion und nicht auf der Einnahme des oral schwer zu dosierenden Kugelfischgiftes Tetrodotoxin. Auch ist ein professioneller Schlangenfänger im Lauf der Zeit keineswegs immun gegen das Gift einer schwarzen Mamba, die ihm im Kofferraum seines Wagens durch einen Stoffsack hindurch den tödlichen Biss zufügt.

Das Werk spiegelt dabei den Stand der Kenntnisse. Dass Insekten – etwa der Monarchfalter (Danaus plexippus), bestimmte Nacktschnecken (Tambja) oder Läuse – Giftstoffe aus der Umwelt aufnehmen, war schon länger bekannt. Dass es mit dem in den Regenwäldern Neuguineas lebenden Pitohuis auch Vögel gibt, die ein Gift (Homobatrachotoxin) aufnehmen, um es unter anderem in ihren Federn zu speichern, war dagegen eine kleine Sensation der letzten Jahre und mehrere Veröffentlichungen in "Science" und anderen hochrangigen Fachzeitschriften wert. Angesichts dieser fundierten Fülle an Information ist es verzeihlich, dass auch einmal eine Literaturangabe unter der Abbildung eines Nesselapparates in die Leere geht.

Bestechend sind die vielen rasterelektronenmikroskopischen Aufnahmen, die nicht nur ästhetischen Wert besitzen, sondern vor allem anatomische Details wiedergeben, die beispielsweise für das Verständnis der Funktionsweise der sehr unterschiedlichen Giftapparate unerlässlich sind. Bei manch geradezu furchterregender Nahaufnahme einer Kettenviper oder Lanzenotter (Bothrops atrox) war der Fotograf über ein leistungsstarkes Teleobjektiv sicher froh.

Tierische Toxine wirken äußerst präzise, spezifisch und in geringsten Dosen. Längst wurde erkannt, dass sie eine Fundgrube für die Entwicklung neuer Arzneistoffe mit zum Teil völlig neuartigen Wirkprinzipien darstellen. Ein Beispiel für ein als Pharmakon einsetzbares Tiergift sind die Conotoxine der Kegelschnecke (Conus magus). Intra-thekal verabreicht, bekämpfen sie hochwirksam schwerste Schmerzzustände nach peripheren Nervenschädigungen und zwar ohne dass sich – wie bei Opiaten – schon nach kurzer Zeit eine Toleranz entwickelt, die unweigerlich zur Dosiserhöhung führt.

Die Beratung in der Apotheke profitiert auch von den Beschreibungen der heimischen Gifttiere. Wegen des allergieauslösenden Potenzials ihrer Gifte sind hier an erster Stelle Bienen und Wespen zu nennen, auf deren Konto in Deutschland jährlich etwa zehn Todesfälle gehen! Es finden sich aber auch Hundertfüßler (Centipoden, Skolopender), Molche und Lurche unter den heimischen "Toxiferen". Zur Überraschung des Rezensenten werden grundsätzlich auch Zecken zu den Gifttieren gezählt.

Das nun in dritter Auflage vorliegende Standardwerk aus der Feder des TV-bekannten Toxikologen und Rechtsmediziners Dietrich Mebs ist für jeden naturkundlich interessierten Leser ein verlässlicher Führer durch die faszinierende Welt der giftigen Fauna. Biologen, Toxikologen, Ärzten und Apothekern steht mit den "Gifttieren" ein profundes Nachschlagewerk zur Verfügung, das in keinem Handapparat fehlen sollte.

Dr. Steffen M. Diebold, Fachapotheker für öffentliches Gesundheitswesen


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