Arzneimittel und Therapie

Infarkte vermeiden durch Pneumokokkenimpfung?

Atemwegsinfektionen, vor allem durch Influenzaviren und Pneumokokken, zählen zu den Triggerfaktoren kardiovaskulärer Erkrankungen. Die Hypothese liegt nahe, dass Influenza- bzw. Pneumokokkenimpfungen das Herzinfarkt- oder Schlaganfall-Risiko reduzieren können. Für die Influenzaimpfung konnte dies bereits mehrfach bestätigt werden. Bei der Impfung gegen Pneumokokken ist die Studienlage jedoch nach wie vor uneinheitlich.
Streptococcus pneumoniae Die STIKO empfiehlt Personen über 60 Jahren die einmalige Impfung mit einem Pneumokokken-Polysaccharid-impfstoff als Standardimpfung. Ob als Folge wirklich weniger Herzinfarkte oder Schlaganfälle auftreten, wird diskutiert. Zumindest die Schwere des Verlaufs von Infektionen kann gemildert werden. Die rasterelektronenmikroskopische Aufnahme zeigt die typische paarweise Anordnung der kugeligen, grampositiven Bakterien.
Foto: CDC/Janice Carr

Experten halten es für wahrscheinlich, dass jedes Jahr Tausende von Patienten nach durchgemachter Atemwegsinfektion einen Herzinfarkt oder Schlaganfall erleiden. Als zugrunde liegenden Pathomechanismus vermutet man, dass die Infektion in atherosklerotischen Plaques eine überschießende inflammatorische Reaktion auslöst, die zu ihrer Destabilisierung, zur Aktivierung der Gerinnungskaskade, zu Thrombosen und schließlich zum Infarkt führt.

Studienergebnisse wecken Hoffnung

Aktuelle Studien konnten zeigen, dass durch die Influenzaimpfung bzw. die Anwendung antiviraler Substanzen wie Oseltamivir eine Verminderung des Herzinfarkt- bzw. Schlaganfallrisikos sowie weiterer Ereignisse (z. B. Revaskularisierungsrate, Klinikeinweisung aufgrund von Herzproblemen) möglich ist. Bezüglich der Pneumokokkenimpfung hatte eine retrospektive, auf Abrechnungsdaten basierende Analyse ergeben, dass die Myokardinfarkt-Rate bei Patienten, die man mindestens zwei Jahre zuvor immunisiert hatte, um mehr als 50 Prozent geringer war.

Pneumokokken-Impfempfehlungen

Die STIKO empfiehlt die Pneumokokkenimpfung für Personen ≥ 60 Jahre mit einem Polysaccharid-Impfstoff als Standardimpfung ; Wiederholungsimpfungen im Abstand von fünf Jahren sind nur bei bestimmten Indikationen empfohlen, dazu zählen:

angeborene oder erworbene Immundefekte (z. B. Sichelzellenanämie, HIV-Infektion)

chronische Erkrankungen wie z. B. Herz-Kreislauf-Krankheiten, Krankheiten der Atmungsorgane (inkl. Asthma und COPD), Diabetes mellitus, chronische Nierenkrankheiten und neurologische Krankheiten (z. B. Anfallsleiden)

Quelle: Impfempfehlungen der Ständigen Impfkommission (STIKO) am Robert Koch-Institut; Stand: Juli 2010

Hypothese nicht bestätigt

Ziel einer großangelegten retrospektiven Studie einer kalifornischen Arbeitsgruppe war es herauszufinden, ob die Inzidenz von Herzinfarkt oder Schlaganfall durch Pneumokokken-Vakzinierung verringert werden kann.

Ausgewertet wurden die Daten von rund 360.000 Männern im Alter zwischen 45 und 69 Jahren ohne Herzinfarkt oder Schlaganfall in der Anamnese mit einem mittleren Follow-up von 4,7 Jahren.

Im Beobachtungszeitraum kam es bei den Geimpften zu 1211 Erst-Myokardinfarkten pro 112.837 Personenjahre (10,73 pro 1000 Personenjahre), bei den Ungeimpften waren es 1494 Fälle pro 246.170 Personenjahre (6,07 pro 1000 Personenjahre).

Schlaganfälle traten bei Geimpften im 651 Fällen pro 122.821 Personenjahre und bei Ungeimpften bei 483 Fällen pro 254.541 Personenjahre auf (5,3 vs. 1,9 pro 1000 Personenjahre). Es wurde kein Hinweis auf einen Zusammenhang zwischen einer Pneumokokkenimpfung und einem reduzierten Risiko für akuten Myokardinfarkt (adjustierte hazard ratio [HR] 1,09, 5% KI 0,98 bis 1,21) oder Schlaganfall (adjustierte HR 1,14, 95% KI 1,00 bis 1,31) gefunden, ebensowenig ein inverser Zusammenhang.

Inhomogenität der beiden Gruppen

Dass die Hypothese nicht bestätigt werden konnte, führen die Autoren der Studie unter anderem auf die Inhomogenität der beiden Gruppen zurück. So waren in der Gruppe der Ungeimpften mehr Nichtraucher vertreten (46,7% vs. 37,2%). Darüber hinaus fand sich bei den Ungeimpften ein signifikant geringerer Anteil an Diabetikern, Hypertonikern, Patienten mit hohem Cholesterinspiegel oder Herzversagen in der Anamnese. Zudem war der geimpfte Personenkreis älter – was nicht verwundert, da die Pneumokokken-Impfung in den USA ab dem 65. Lebensjahr empfohlen wird (siehe Kasten). Auch Risiko-Patienten wie Diabetiker, Menschen mit COPD, chronischen Lebererkrankungen oder kardiovaskulären Erkrankungen sollten geimpft werden. Auch wenn noch nicht geklärt ist, ob damit eine Verhinderung von Herzinfarkten oder Schlaganfällen möglich ist – Kommentatoren der Studie empfehlen Ärzten, diese Empfehlungen in der Praxis konsequent umzusetzen.

Quelle Tseng HF.; et al.: Pneumococcal vaccination and risk of acute myocardial infarction and stroke in men. J. Am. Med. Assoc. (2010) 303(17): 1699 – 1706. Madjid, M.; Musher, DM.: Preventing myocardial infarction with vaccination. Myths and realities. J. Am. Med. Assoc. (2010) 303(17): 1751 – 1752 (2010). Lamontagne, F.; et al.: Pneumococcal vaccination and risk of myocardia infarction. CMAJ (2008) 179(8): 773 – 777. Madjid M.; et al.: The influence of oseltamivir treatment on the risk of stroke after influenza infection. Cardiology (2009) 113(2): 98 – 107.

 


Apothekerin Dr. Claudia Bruhn

Das könnte Sie auch interessieren

Rate invasiver Pneumokokken-Infektionen in Südafrika sinkt erheblich

Effektive Konjugat-Vakzine

Beobachtungsstudie zu kardiovaskulären Risiken unter oralen Kontrazeptiva

Eine Generationsfrage

Vorsicht bei der gleichzeitigen Gabe von NSAIDs und Antikoagulanzien

Blutungsgefahr erhöht

Studie zeigte Versechsfachung des Ansteckungsrisikos

Pneumokokken-Infektion: Risikofaktor Enkelkontakt

0 Kommentare

Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.