DAZ aktuell

Heiße Eisen: Großhandelsrabatte, Pick ups und ApBetrO

BERLIN (bra). Knackpunkte der gegenwärtigen apothekenpolitischen Diskussion kamen im Sommerinterview zur Sprache, das die DAZ in Münster mit Daniel Bahr (FDP) führte. Der parlamentarische Staatssekretär im Bundesgesundheitsministerium verteidigte die im Rahmen des Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz (AMNOG) vorgesehene Senkung und Strukturänderung der Großhandelsspanne. Der daraus folgende Sparbeitrag – auch der der Apotheker – sei im Rahmen eines fairen Interessenausgleiches notwendig. FDP und Union suchten noch im Rahmen des AMNOG für das Problem der Pick-up-Stellen nach einer Lösung, die auch von den Innen- und Rechtspolitikern der Koalition mitgetragen wird. Bei der Apothekenbetriebsordnung werde es wahrscheinlich noch in diesem Jahr einen offiziellen, mit der Leitung abgestimmten Entwurf des BMG geben; eine Verabschiedung in 2011 sei wahrscheinlich zu schaffen, es gebe aber keinen Zeitdruck.


DAZ: Politik paradox: Rot-Grün hat den Spitzensteuersatz massiv von 53 auf 42% gesenkt – und Liberale, kaum wieder an der Macht, treten ihrer angeblichen Klientel aus dem Gesundheitssektor so richtig auf die Füße; zum Beispiel der Pharmaindustrie: Liberale läuten das Ende der freien Preisbildung ein?

Bahr: Politik muss immer auch auf die aktuelle Lage Rücksicht nehmen. Wir haben milliardenschwere Defizite vorgefunden, höher denn je in der GKV: etwa 8 Milliarden Euro wurden letzten Herbst für 2010 vorhergesagt, bis zu 11 Milliarden für 2011. Darauf mussten wir kurzfristig reagieren – ohne damit unsere mittel- und langfristigen Ziele infrage zu stellen. Deshalb haben wir – mit Bauchschmerzen – die Erhöhung des Zwangsrabattes beschlossen. Das ist verantwortbar. Dadurch wird das Preisniveau der Arzneimittel gerade bei den Unternehmen, die im Vergleich immer noch sehr hohe Renditen haben, abgesenkt – aber nur auf das zweithöchste in Europa, auf das Preisniveau der Schweiz.

Was die freie Preisbildung angeht: Sie darf nicht eine einseitige Preisfestsetzung sein. Wettbewerb setzt voraus, dass sich der Preis durch Angebot und Nachfrage bildet. Das war bei innovativen Arzneimitteln nicht der Fall. Ein Pharmaunternehmen konnte in Deutschland bei neuen Arzneimitteln selbst und allein den Preis festlegen. Es gab nur wenige Restriktionen – z. B. durch die Existenz von Reimporten. Wir haben jetzt für einen fairen Interessenausgleich gesorgt. Weiterhin gibt es für Innovationen einen freien Zugang auf den deutschen Markt – das kennen die Länder um uns herum nicht. Aber es gibt dann auch Preisverhandlungen mit der Kassenseite, damit auch die Interessen der Beitragszahler zum Tragen kommen. Das ist FDP-Politik pur: Interessenausgleich durch faire Preisbildung in einem fairen Wettbewerb.


DAZ: Weiter zum Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz (AMNOG): Hausärzte und Krankenhäuser müssen "nur" auf zusätzliche Mittel verzichten, die ihnen die Große Koalition zugesagt hatte. Die kommen am besten weg?

Bahr: Unsere Aufgabe ist, Interessen fair auszugleichen. Jede Gruppe im Gesundheitswesen fühlt sich am meisten benachteiligt. Das kenne ich seit Jahren. Ärzten und Krankenhäusern sind in den vergangenen Jahren zusätzliche Mittel zugeflossen. Das war gemeinsamer politischer Wille – auch der FDP aus der Opposition heraus. Es gab dort Nachholbedarf. Die Finanzlage ist angespannt, die Versicherten und Arbeitgeber leisten höhere Beiträge, dazu müssen auch Einsparungen erreicht werden.

Gereizte Stimmung bei Apotheken und Pharmagroßhandel


DAZ: Gewitterwolken über Pharmagroßhandel und Apotheken. Die Stimmung ist gereizt …

Bahr: … das merke ich auch. Ich spreche auch mit vielen Apothekern vor Ort. Die Gespräche sind immer wieder hilfreich.


DAZ: Die Umstellung der Großhandelsspanne nimmt 400 – 500 Mio. auf dem sog. Distributionssektor. Der Großhandel mit seiner Umsatzrendite von 0,3% – so Dr. Thomas Trümper, der Vorsitzende des Großhandelsverbandes Phagro – könne das nicht tragen. Die Spannenkürzung werde als Rabattkürzung (also Ertragskürzung) also bei den Apothekern landen. Die stöhnen. Doch wohl zurecht, oder?

Bahr: Auch hier haben wir einen fairen Ausgleich gefunden. Die Apotheker profitieren, sofern Gerichte nicht doch noch anders entscheiden, von einer Senkung des Apothekenabschlags. Wir wurden öffentlich aufgefordert und unter Druck gesetzt, mit einer gesetzlichen Regelung die Senkung des Abschlages zu verhindern. Das hat die Koalition nicht gemacht und damit für Verlässlichkeit gesorgt. Die Rabatte sind nicht Bestandteil der Vergütung

Die Großhandelsvergütung steht schon länger auf der Tagesordnung …


DAZ: … das betraf aber die Struktur – degressiv-prozentual versus Fixzuschlag mit nur kleiner prozentualer Komponente …

Bahr: Die Struktur ändern wir ja auch. Wir nutzen dies allerdings, um damit auch einen Sparbeitrag zu bekommen. Das ist auch nötig. Das Defizit kann nicht allein von Beitragszahlern oder durch einen Steuerzuschuss getragen werden – natürlich auch nicht allein von den Leistungserbringern. Wir sehen einen Mix vor. Die Faktenlage ist: Wir rechnen mit einem Sparbeitrag von 400 Mio. Euro, davon betreffen 350 Mio. Euro die GKV. Wenn man sich in der Mitte trifft, wären das 175 Mio. Euro für jede Seite. Das wird die Apotheken sicherlich sehr unterschiedlich betreffen. Große Apotheken, die bisher höhere Rabatte herausholen konnten, wird das mehr treffen als kleinere Apotheken auf dem Land. Das war der Koalition bei der Entscheidung durchaus bewusst.

Was die Struktur angeht: Ja, wir begrenzen die Rabattmöglichkeiten. Herr Trümper hat im letzten Jahr öffentlich erklärt, bis zu 40% der Großhandelsspanne gehe als Rabatt an die Apotheken. Daran haben wir uns orientiert.


DAZ: Trümper argumentiert, dass die Rabatte, die der Großhandel gewährt, nur zu einem Teil aus der Spanne stammen, die der Großhandel – nach Abzug der dort anfallenden Kosten – bei verschreibungspflichtigen Arzneimitteln erwirtschaften kann. Der wesentliche Teil stamme aus dem Bereich der nicht verschreibungspflichtigen Arzneimittel und der Ergänzungssortimente, die nur im Ausnahmefall erstattungsfähig sind. Dort zugunsten der Krankenkassen abzuschöpfen, sei nicht gerechtfertigt. Ein Grund, über Struktur und Zahlenwerte der neuen Spannenregelung noch einmal nachzudenken?

Bahr: Dann soll Herr Trümper die Zahlen einmal darlegen. Dazu besteht noch genügend Gelegenheit, z. B. im Rahmen der Anhörung. Wir haben öffentlich zugängliche Daten über die Umsätze in den verschiedenen Sektoren. Wenn man das hochrechnet, dann kann es nicht sein, dass fast der gesamte Rabatt nur aus den rezeptfreien Arzneimitteln kommt: das ist kaum vorstellbar. Aber wir sind nicht verbohrt. Neue Vorschläge müssten allerdings deutlich besser sein, als das was jetzt auf dem Tisch liegt. Ziel muss der Sparbeitrag sein, den wir erreichen müssen. Ich erwarte nicht, dass wir zu anderen Ergebnissen kommen werden.

Pick-up-Stellen und (k)ein Ende


DAZ: Thema Pick-up-Stellen. Die Apotheker sind gereizt und irritiert. Ein Verbot sei nicht zu machen, hatte schon in der letzten Legislaturperiode das Justizministerium verlauten lassen. Die Koalition wusste das und hat trotzdem vereinbart, diesen unerwarteten und unerwünschten Ausfransungen des Versandhandels durch ein Verbot ein Ende zu bereiten. Wo sind die neuen Argumente, die ein Verbot der Pick-up-Stellen blockieren könnten? Knickt die Koalition ein?

Bahr: Dass es schwierig ist, hier zu einer Lösung zu kommen, wissen wir aus der Debatte in den letzten vier Jahren. Wir haben unter den Gesundheitspolitikern trotzdem das Verbot vereinbart, das ging in den Koalitionsverhandlungen auch in die Spitzengruppe, und da saßen auch die heutigen Mitglieder des Kabinetts. Im Kabinett hat sich Minister Rösler noch einmal für das Verbot stark gemacht. Aber die Regelung ist so: Gesetze müssen im Kabinett einvernehmlich beschlossen werden. Innen- und Justizressort haben kein Einverständnis gegeben. Beide waren allenfalls für Regelungen unterhalb des Verbotes, für Genehmigungsvorbehalte, für scharfe Regulierungen usw. Die ABDA-Spitze hat immer betont: lieber keine Regelung als eine Regulierung der Pick ups. Ich habe dafür Verständnis …


DAZ: … Sie selbst haben sich doch auch immer gegen "Apotheke light" ausgesprochen; das wäre dann doch die Gefahr …

Bahr: Das ist richtig. Wobei die Apotheker dem FDP-geführten Gesundheitsministerium ein gewisses Vertrauen entgegenbringen könnten. Wir setzen uns für die inhabergeführte Apotheke ein. Wir waren immer gegen Pick ups, anders als die Führung des Bundesgesunheitsministeriums in der Vergangenheit, die da weniger kritisch war. Aber: Wir sind nicht am Ende aller Tage. Die Verfassungsressorts haben sich sehr auf die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts berufen, auch darauf, dass bisher negative Erfahrungen nicht sichtbar seien. Ich gebe trotzdem nicht auf. Wir suchen und wollen eine verfassungsfeste Lösung – auch noch im Rahmen des AMNOG, in den Anhörungen sind Vorschläge möglich. Wir brauchen eine Lösung, die auch von den Innen- und Rechtspolitikern der Koalition im Bundestag mitgetragen wird. Fakt ist: Der Versandweg war vom Gesetzgeber anders gedacht, er wollte die Zustellung direkt zum Endverbraucher.


Wahl gewonnen, Illusionen verloren?


DAZ: Die Wahl gewonnen, aber Illusionen verloren – Erfahrungen schwarz-gelber Regierungsarbeit nach einem Jahr. Um Franz Müntefering vom Kopf auf die Beine zu stellen: Haben Sie nicht manchmal den Eindruck: Nicht Opposition, regieren ist Mist?

Bahr: Nein, die Arbeit macht viel Freude. In der Opposition kann man schöne Reden halten und gute Ideen haben, aber umsetzen kann man sie nicht. Es ist – zugegeben – schwieriger als erwartet, in der Koalition zu Ergebnissen zu kommen. Und es ist eine große Herausforderung, im Tanker Gesundheitsministerium jetzt auf der Kommandobrücke zu stehen. Damit der Kurs klar wird, muss man viele Gespräche führen mit denen, die im Maschinenraum sitzen. Und dann merkt man auch, wie viel Dampf da im positiven Sinn im Kessel steckt und wie viel Kraft auf die Schraube gebracht werden kann.


DAZ: … da arbeiten die alten Leute, nicht nur vom neuen Kurs schon Überzeugte …

Bahr: Das ist bei jedem Wechsel so. Aber die Zusammenarbeit mit den Mitarbeitern klappt sehr gut. Wir haben gute und zuverlässige Leute im Haus, die in der Sommerpause durchgearbeitet haben, um den ersten Diskussionsentwurf für die Finanzreform der gesetzlichen Krankenversicherung zu entwerfen. Das war ein hartes Stück Arbeit, das die Kollegen da geleistet haben.


DAZ: Die FDP ist von knapp 15% am Wahltag auf rund 5% abgestürzt – was davon geht auf das Konto der Gesundheitspolitik?

Bahr: Es gab enorme Erwartungen. Viele glaubten, Änderungen müssten innerhalb kürzester Zeit möglich sein. Und wir haben auch Fehler gemacht. Daraus lernen wir. Ich bin sicher: Wir werden die, denen das Vertrauen abhanden gekommen ist, durch gutes Regierungshandeln wieder zurückgewinnen. Ich bin Marathonläufer. Abgerechnet wird nicht nach einem Viertel der Strecke, abgerechnet wird bei der nächsten Bundestagswahl.

Apothekenbetriebsordnung


DAZ: Zum Thema Apothekenbetriebsordnung: Sie liefert Diskussionsstoff – mit Zeug zum Reizthema. Die Mehrheit der Apotheker meint zwar: Die Grundrichtung stimmt, Apotheken als Drugstore wollen wir auch nicht. Aber einiges in der offensichtlich geplanten Qualitätsoffensive erscheint überzogen.

Bahr: Sie beziehen sich auf einen Entwurf, der bereits in der Öffentlichkeit auftauchte, ohne dass ihn Rösler, Kapferer oder ich zuvor bewertet hatten. Das war unglücklich, erweckt einen falschen Eindruck – ist erstmalig passiert und darf nicht mehr vorkommen. Der zirkulierende Text ist kein Entwurf "des BMG". Auf der Basis diskutieren wir deshalb auch nicht. Zwar werden die richtigen Themen angesprochen, bei den Lösungen gibt es aber noch erheblichen Beratungsbedarf. Als wir den Entwurf durchgesehen haben, haben wir sofort gesagt: Das kann nicht Grundlage sein; da gibt es sehr viele offene Fragen. Meine Befürchtung war, dass wir überbürokratisieren. Der Text verfolgte richtige Ziele, machte aber zu viele Detailregelungen und zu viele Vorgaben. Es ist wichtig, dass beim Betreten einer Apotheke nicht der Eindruck entsteht, man sei in einer Drogerie mit angeschlossener kleiner Apotheke. Aber: Sie können sich doch nicht im Ernst vorstellen, dass ein FDP-geführtes Gesundheitsministerium im Detail – durch eine Prozentangabe – vorgibt, wie groß die Verkaufsfläche für das apothekenübliche Ergänzungssortiment sein darf.


DAZ: Das ist ein Thema. Wo sehen Sie sonst Diskussionsbedarf?

Bahr: Auf der Agenda stehen acht Gebiete, unter anderem die Stärkung der Beratungspflicht, Regelungen zu Rezeptsammelstellen, Qualitätsmanagement, was in anderen Bereichen des Gesundheitswesens ja schon Pflicht ist, die Präzisierung der Anforderungen an Arzneimittelherstellung und -prüfung, auch an die Apothekenräume. Ein Thema wird auch sein, die Bedingungen zwischen Versand- und Vor-Ort-Apotheken so abzustimmen, dass Nachteile der Vor-Ort-Apotheken beseitigt werden.


DAZ: Die Privilegien für Versandapotheken sind in der Tat ein Ärgernis. Sie werden allerdings im vorliegenden Entwurf keinesfalls beseitigt.

Bahr: Sie nehmen wieder einen Entwurf zur Grundlage, der für uns keine Rolle mehr spielt. Wir werden nach den guten Gesprächen mit den Verbänden erst jetzt einen Entwurf erarbeiten. Zu den Themen gehört auch noch: Klarstellung des Versorgungsauftrages, Präsenz des Apothekenleiters, Änderung der Regelungen bei der Arzneimittelabgabe durch PTA, Regelungen für die erneute Ausgabe zurückgenommener Arzneimittel.


DAZ: Wie ist der Zeithorizont?

Bahr: Bis Mitte August hatten die Verbände Zeit, nach der Anhörung von Mitte Juli uns noch schriftlich Anregungen zu geben. Die werten wir jetzt in Ruhe aus, erarbeiten nun einen Entwurf, der in das normale Verfahren geht – mit Anhörungen, Stellungnahmen der Ministerien, auch der Bundesrat muss zustimmen. Wir haben keinen Zeitdruck. Es wäre schön, wenn das Thema auch auf dem Apothekertag diskutiert wird. Wir wollen den offenen Dialog, wollen eine Kultur des Vertrauens pflegen. Am Ende müssen wir auf der Basis der Argumente natürlich entscheiden.


DAZ: Wann? Noch in diesem Jahr?

Bahr: Nein, das Verfahren wird sicher nicht in diesem Jahr beendet sein. Wir müssen ja auch durch den Bundesrat.


DAZ: Innerhalb des nächsten Jahres?

Bahr: Ich glaube schon, dass wir das schaffen. Wir haben aber keinen Zeitdruck.


DAZ: Herr Bahr, herzlichen Dank für das Gespräch.


Das Gespräch führte DAZ-Herausgeber Dr. Klaus G. Brauer

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