Arzneimittel und Therapie

Suizidrisiko von Antiepileptika differenziert betrachten

Im Jahre 2008 hatte die US-amerikanische Arzneimittelbehörde FDA aufgrund der bis dahin vorliegenden Datenlage verfügt, dass die Hersteller von Antiepileptika mit unterschiedlichen Wirkstoffen vor einem erhöhten Suizidrisiko warnen müssen. Eine jetzt veröffentlichte Fall-Kontroll-Studie Berliner Wissenschaftler kommt zu einer differenzierten Bewertung dieses Risikos bei verschiedenen Wertstoffen. Sie warnen jedoch davor, aus Angst vor einer Suizidalität auf die Einnahme der Medikamente ganz zu verzichten.
Das Suizidrisiko durch Antiepileptika ist offensichtlich unterschiedlich. Es scheint ein Zusammenhang mit deren Potenzial zur Auslösung von Depressionen zu bestehen. Neben Depression und Suizidalität sollten aber auch andere Risiken und Nebenwirkungen bei der Wahl eines geeigneten Antiepileptikums für Epilepsiepatienten beachtet werden.
Foto: Helios Kliniken

Von verschiedenen Antiepileptika, die zur Anfallsprophylaxe eingesetzt werden, ist bekannt, dass sie ein erhöhtes Potenzial zur Auslösung von Depressionen aufweisen. Inwieweit dies auch mit einer erhöhten Selbstmordrate bzw. der Absicht dazu im Zusammenhang steht, war bislang nicht überprüft worden. Ein grundsätzlich erhöhtes Suizidrisiko mit einer Antiepileptika-Medikation war jedoch nicht zu übersehen. Die zusammenfassende Analyse von 199 klinischen Studien ergab, dass die Anwender ein zweifach erhöhtes Risiko haben. Dies veranlasste die FDA im Jahre 2008 dazu entsprechende Maßnahmen zu veranlassen. Hersteller von Antiepileptika mit elf verschiedenen Wirkstoffen zur Anfallsprophylaxe, die einen z. T. sehr unterschiedlichen Wirkungsmechanismus aufweisen, müssen seitdem vor einem erhöhten Risiko suizidaler Vorhaben oder Handlungen warnen.

Wirkstoffe besitzen unterschiedliches Suizidrisiko

Eine Untersuchung Berliner Wissenschaftler vom Institut für Sozialmedizin, Epidemiologie und Gesundheitsökonomie kommt jetzt zu einer differenzierten Bewertung des Suizidrisikos für die verschiedenen Wirkstoffe. Sie werteten die Daten von über 44.000 Patienten aus, die mit Antiepileptika behandelt wurden. Diese erhielten sie über die weltweit größte Datenbank von Patienten mit hausärztlicher Betreuung, die GPRD (United Kingdom General Practice Research Database). Von diesen hatten 453 Selbstmordversuche unternommen oder sich selbst verletzt, 78 waren nach diesen Vorhaben gestorben. Nahezu 9000 Patienten aus der GPRD, die keine suizidalen Handlungen vorgenommen hatten, dienten als Kontrollgruppe. Die Medikamente wurden in vier Gruppen aufgeteilt: Barbiturate, herkömmliche Antiepileptika, neuere Antiepileptika mit geringem Potenzial zur Auslösung von Depressionen und solche mit erhöhtem Potenzial.

Die Ergebnisse sind überraschend: Einige neuere Antiepileptika wie Levetiracetam, Vigabatrin und Topiramat sind dreifach höher mit einem Suizid-risiko assoziiert. Von diesen Wirkstoffen ist allerdings auch bekannt, dass sie häufiger eine Depression auslösen. Nicht erhöht war hingegen das Suizidrisiko für Barbiturate und ältere Wirkstoffe. Aber auch für neuere Wirkstoffe mit einem geringeren Potenzial zur Auslösung von Depressionen (Lamotrigin, Gabapentin, Pregabalin und Oxcarbazepin) ergab sich kein erhöhtes Suizidrisiko.

Es wird jedoch darauf hingewiesen, dass neben Depression und Suizidalität auch andere Risiken und Nebenwirkungen bei der Wahl eines geeigneten Antiepileptikums für Epilepsiepatienten beachtet werden sollten. Insofern sehen die Autoren ihre Studie als Unterstützung für die behandelnden Ärzte, die bei ihrer Beratung Patienten auf jeden Fall davon überzeugen sollten, auf ihre Medikation nicht ganz zu verzichten und sich gegebenenfalls für den Wechsel zu einem alternativen Antiepileptikum zu entscheiden.

Quelle Andersohn, F.; et al.: Use of antiepileptic drugs in epilepsy and the risk of self-harm or suicidal behavior. Neurology 2010; 75 (4): 335 – 340. 

 


Dr. Hans-Peter Hanssen

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