Fachmedien kurz rezensiert

Chemie interdisziplinär

Vasopressin ist ein Peptidhormon, das vasokonstriktorisch und antidiuretisch wirkt. Dies war der einleitende Satz meines ersten wissenschaftlichen Vortrags im Jahr 1996 und meine Frau zieht mich noch heute damit auf. Durch Abwandlung einer Leitstruktur der Firma Otsuka durch Einbindung in ein neues heterocyclischen Ringsystem hatten wir in Hamburg – leider vergeblich – versucht, orale selektive Vasopressin-V2 -Vasopressin-Rezeptorantagonisten zu erhalten. Im August 2009 hat die Europäische Arzneimittelbehörde EMA den Wirkstoff Tolvaptan (Samsca®) zur Behandlung einer Hyponatriämie beim Syndrom der inadäquaten Sekretion des antidiuretischen Hormons (SIADH) zugelassen. Es hat also eine für die Arzneimittelentwicklung typische Zeitspanne gedauert, bis ein neues Target adressiert und eine neue innovative Wirkstoffklasse gefunden werden konnte.

Es wäre schlecht, wenn der Einzug in die Lehrbücher der Pharmazeutischen/Medizinischen Chemie ähnlich lange brauchte. Das ist aber zum Glück nicht der Fall. So wird in der 2. Auflage des Buches "Medizinische Chemie" auch die zurzeit als Sprunginnovation eingestufte Verbindung Tolvaptan bereits bei den antihypertensiv wirkenden Stoffen vorgestellt. Auch andere erst im Jahr 2009 zugelassene Arzneistoffe wie Laropiprant oder Prasugrel wurden in die überarbeitete Auflage aufgenommen. Die neue Auflage ist hochaktuell, bietet aber auch inhaltliche Anpassungen. Noch stärker als bisher wird der Leser angeleitet, ausgehend vom chemischen Verständnis über das Erkennen und Wiedererkennen struktureller Eigenschaften Grundlagen molekularer Wechselwirkungen interdisziplinär zu erfassen. Die indikationsbezogene Gliederung der 13 Kapitel kann Lernenden und Lehrenden als gutes Gerüst dafür dienen, welche Arzneistoffe im Rahmen der Hauptvorlesung über Pharmazeutische/Medizinische Chemie im Hauptstudium besprochen werden sollten und welches umfangreiche Pensum dabei absolviert werden muss. Die Arzneistoffe werden stets im Kontext mit ihren Wechselwirkungspartnern und dem notwendigen biologischen Hintergründen besprochen. Speziell dient dies der Zielsetzung, im Kopf ein Schubladensystem für wichtige Arzneistoffklassen anzulegen, das zu Vorlesungen in der Pharmakologie und Klinischen Pharmazie kompatibel ist und den über Arzneimittel beratenden Apotheker in die Lage versetzt, Arzneistoffe Wirkstoffklassen zuzuordnen und zugehörige Targets und Wirkmechanismen schnell und sicher abzurufen. Dass die nicht minder reizvollen Aspekte chemischer Arzneistoffsynthesen oder speziellere Aspekte der Arzneistoffanalytik in diesem Buch kaum behandelt werden, hat sich seit der 1. Auflage nicht verändert. Für diese Aspekte müssen andere Bücher herangezogen werden.

Eine nur auf den ersten Blick äußerliche Veränderung betrifft die Überarbeitung der Abbildungen. Die ansprechender gestalteten Abbildungen sind nicht nur einfach schön, sondern schneller und besser zu erfassen. Die Formeldarstellungen sind von hoher Qualität. Kleine Fehler der 1. Auflage sind sorgfältig verbessert worden. Die Darstellung von stereochemischen Aspekten ist vorbildlich. Dies ist nicht selbstverständlich und das Autorenteam daher besonders zu loben, weil die Empfehlungen der IUPAC zurzeit viele verschiedene Repräsentationsweisen z. B. von quer gestrichelten Keilen vorsehen, die unreflektiert nebeneinander verwendet zur Verwirrung führen würden. Gut gelungen ist der Ersatz der Pfeildarstellungen von Wasserstoffbrückenbindungen durch gestrichelte Linien. Nicht mehr konform mit den Empfehlungen der IUPAC ist zurzeit allerdings die Praxis, nicht als R- oder S-konfiguriert festgelegte Atome mit einem Stern zu kennzeichnen. Befürchtet wird von der IUPAC eine Verwechslung mit dem Stern als Markierung für die Position einer Anreicherung mit einem z. B. radioaktiven Isotop. Dieser Einwand ist stichhaltig, es ist aber leicht zu erfassen, dass in dem vorliegenden Lehrbuch dieser Sachverhalt nicht gemeint ist und Missverständnisse sind nicht zu befürchten.

Der Preis für das hochwertig ausgestattete Buch mit faszinierenden Einblicken in die Wechselwirkung wichtiger Arzneistoffe mit G-Protein-gekoppelten Rezeptoren, Ionenkanälen und Enzymen ist angemessen, Studierende der Pharmazie und frisch Approbierte, die mit der 1. Auflage durchs Examen gekommen sind, sollten mit der Bestellung des Buches nicht zu lange warten. In Anbetracht des sehr guten Preis-Leistungsverhältnisses und des hohen Stellenwerts dieses nun erstmalig renovierten jungen Klassikers könnten Lieferschwierigkeiten zum anstehenden Wintersemester auftreten.


Dieter Steinhilber, Manfred Schubert-Zsilavecz und Hermann J. Roth,
Medizinische Chemie,
Targets, Arzneistoffe, Chemische Biologie.
2., völlig neu bearbeitete und erweiterte Auflage 2010.
XVI, 700 Seiten, 748 farbige Abbildungen, 191 s/w Tabellen, mit Online-Angebot,
79 Euro (Subskriptionspreis bis 31. Oktober 2010: 63 Euro).

Deutscher Apotheker Verlag, Stuttgart.

ISBN 978-3-7692-5002-2


Prof. Dr. Andreas Link,
Institut für Pharmazie, Greifswald


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