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Seehofer widerspricht Ärztepräsident Hoppe

BERLIN (lk). Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) hat die Vorwürfe von Ärztekammer-Präsident Jörg-Dietrich Hoppe, bei der Versorgung mit teuren Arzneimitteln gebe es in Deutschland bereits Rationierungen und eine Zweiklassenmedizin als haltlos zurückgewiesen. Gegenüber der DAZ sagte Seehofer: "Das ist nicht Neues. Die Argumente kenne ich seit den 90er Jahren."
Foto: DAZ/Sket
Hoppe: Die Zweiklassenmedizin ist schon lange Realität.

"Abstrakte Behauptungen bringen uns nicht weiter", sagte Seehofer zur DAZ und forderte Hoppe auf "Ross und Reiter zu nennen". Die CSU lehne Rationierungen nicht nur bei der Versorgung mit Medikamenten ab. Für die Gesundheitspolitik der schwarz-gelben Koalition gelte ebenso: "Zweiklassenmedizin wollen wir nicht. Das machen wir nicht."

Bundesärztekammer-Präsident Jörg-Dietrich Hoppe hatte am Wochenende in einem Zeitungsinterview beklagt, dass es in Deutschland bestimmte medizinische Leistungen nicht mehr für jeden Patienten gebe. "Nicht jeder Krebspatient bekommt heute das sehr teure Krebsmedikament", sagte er der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung". Ärzte und Krankenhäuser stünden unter Budgetdruck und entschieden deshalb je nach Fall, bei welchem Patienten sich eine teure individuelle Behandlung besonders lohne. "Im deutschen Gesundheitswesen wird heimlich rationiert, weil nicht genügend Geld zur Verfügung steht, um allen Menschen die optimale Therapie zu verschaffen", sagte Hoppe.

Hoppe forderte Gesundheitsminister Philipp Rösler (FDP) auf, eine offene Debatte darüber zu führen, welche Patienten und Krankheiten künftig mit welcher Priorität behandelt werden. "Diese Entscheidung muss die Politik treffen, nicht die Ärzteschaft." Eine Sprecherin Röslers wies darauf hin, dass es nicht Aufgabe des Ministeriums sei, eine solche Debatte zu führen oder darüber zu entscheiden. Das Ministerium stehe dafür, eine medizinische Versorgung auf hohem Niveau auch künftig zu erhalten. Eine "Priorisierung" lehne der Gesundheitsminister "schon aus ethischen Gründen" klar ab.

Ähnlich äußerte sich der GKV-Spitzenverband, die zentrale Interessenvertretung der gesetzlichen Kranken- und Pflegekassen. "Es ist unverständlich, dass die Bundesärztekammer einer Rationierung das Wort redet, statt konstruktive Vorschläge für die Weiterentwicklung des Gesundheitswesens zu machen", sagte dessen Sprecher Florian Lanz am Sonntag der dpa. Die Krankenkassen kämpften dafür, dass auch künftig alles, was medizinisch notwendig sei, finanziert werde. "Wir lehnen die Rationierung medizinisch notwendiger Leistungen strikt ab."

Unterstützung erhielt Hoppe von Gesundheitsökonomen und Medizinethikern. Die Diskussion über Rationierung im Gesundheitssystem muss jetzt geführt werden, sagte der Gesundheitsökonom Friedrich Breyer von der Universität Konstanz. Das Wirtschaftswachstum verlangsame sich, und die Menschen würden immer älter. "Wir schaffen es nicht mehr, den Zuwachs an medizinischem Wissen und Kosten durch unsere wachsende Wirtschaft zu finanzieren."

Die Kölner Medizinethikerin Christiane Woopen sagte der Zeitung, dass es in Deutschland ein Tabu sei, darüber zu sprechen, welche Krankheiten mit welcher Priorität behandelt werden. Dieses Tabu sollte dringend aufgehoben werden, sagte Woopen, die auch Mitglied im Deutschen Ethikrat ist. Rösler solle diese Priorisierung auf seine Agenda setzen und öffentlich darüber debattieren.

Rösler gab unterdessen bekannt, dass er die Regierungskommission zur Gesundheitsreform im Februar benennen will. "Ich werde dem Kabinett voraussichtlich im Februar einen Vorschlag zur Struktur der Kommission und zum Zeitplan der Kommissionsarbeit machen", sagte Rösler der "Rheinischen Post". Zudem machte er nähere Angaben für den Sozialausgleich bei der geplanten Gesundheitspauschale, die alle Versicherten unabhängig vom Einkommen zahlen sollen. Der für Geringverdiener geplante Steuerzuschuss solle "möglichst unbürokratisch, ohne Antragsverfahren" eingeführt werden, so der FDP-Politiker. Anders als von einigen behauptet, würden für den Steuerzuschuss "nicht zweistellige Milliardenbeträge" fällig.

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Mehr zu den Aussagen von Bundesärztekammer-Präsident Hoppe im FAS-Interview zur Zweiklassenmedizin finden Sie auf DAZ.online im Newsbereich (Meldung vom 18.1.2010).

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