Fachmedien kurz rezensiert

Klassiker der Phytotherapie

Volker Fintelmann und Rudolf Fritz Weiss Lehrbuch Phytotherapie 12., überarbeitete Auflage 2009. X, 430 Seiten, 134 Abbildungen, 7 Tabellen, 89,95 Euro. Hippokrates Verlag, Stuttgart. ISBN 978-3-8304-5418-2

Kein medizinisches Lehrbuch ist mir bekannt, das seit 1944 nunmehr in der 12. und von Fintelmann seit 20 Jahren aktualisierten Auflage vorliegt. Als Standardwerk ist Fintelmann/Weiß in die Reihe klassischer Pharmakologie und klinisch-pharmakologischer Lehrbücher wie Mutschler et al., Forth/Henschler et al., Estler-Schmidt et al., Rietbrock et al. und andere einzuordnen.

Eingeleitet wird das Lehrbuch mit dem Lebenslauf des Nestors der deutschen Phytotherapie, der bis ins Alter von 95 Jahren Mitglied der Zulassungs-, und Aufbereitungskommission für die phytotherapeutische Stoffgruppe (Kommission E) beim ehemaligen Bundesgesundheitsamt in Berlin war und sein empirisches Wissen in die wissenschaftliche Bearbeitung der Monogra-phien einbrachte.

Didaktisch ist das Lehrbuch ähnlich früheren Auflagen in einen allgemeinen und einen praktischen Teil gegliedert. Das aktualisierte Grundlagen-Kapitel befasst sich mit der Definition, Historie und den legislativen Anforderungen an nationale sowie EG-Zulassung von Phytopharmaka sowie chemisch definierter Einzelstoffe. Wert wird auf hohen Standard zugelassener Phytopharmaka bezüglich Phytochemie, biopharmazeutischer Qualität, Pharmakologie, Wirkungsmechanismus, Nebenwirkung, Risiken, Interaktion und Wirksamkeit nach evidenzbasierten Kriterien gelegt. Phytopharmaka sind keine Konkurrenz zu chemischen Synthetika, sondern eine Ergänzung und mitunter Mittel der ersten Wahl bei Befindlichkeitsstörung oder leichten Erkrankungen mit Beeinträchtigung der Lebensqualität des Patienten. Die Empfehlung basiert nicht nur auf pharmakoökonomisch evidenz-basierten Kriterien (EBM) nach Cochrane-Analysen als Entscheidungshilfe, sondern berücksichtigt das Individuum aufgrund langjähriger ärztliche Erfahrung im Sinne der individuell-basierten Medizin (IBM). Wichtig sind das Kapitel Richtlinien für Rezepturen mit vielen Beispielen in Einzelkapiteln sowie im Anhang bewährte Indikationen, zugelassene Phytopharmaka Stand März 2009, Heilpflanzen im Überblick, Hinweise zur Aus- und Weiterbildung. Da vielen nebenwirkungsarmen pflanzlichen Altarzneimitteln die Nachzulassung mehr aus legislativem als praktisch-empirischem Gesichtspunkt versagt wurde, bieten sich bewährte Rezepturen für die Individuum-bezogene Behandlung an.

Der praktische Teil beginnt mit typischen Krankheitsgruppen für Phytopharmaka; abgehandelt werden klinische Symptome, Zuordnung von Heilpflanzen zu Indikationen aufgrund wirksamkeitsrelevanter Inhaltsstoffe, pharmakologischem Wirkprofil, klinischem Beleg mit Verweis auf fundierte, zusammenfassende Publikationen und bewährte Rezepturen. Einen breiten Umfang nimmt das Kapitel Verdauungsorgane mit Indikationen wie Reizmagen, Reizdarm, funktionelle Dyspepsie, Inappetenz, Meteorismus ein. Das Kapitel Herz-Kreislauf zeigt Grenzen der Phytotherapie bei organischer Herzerkrankung und Rhythmusstörungen auf, verweist auf wirksame Synthetika wie Betablocker, ACE-Hemmer, AT1 -Blocker, Calciumantagonisten und empfiehlt nach Ergebnissen der SPICE-Studie adjuvant Crataegus-Extrakte bei chronischer Herzinsuffizienz. Ätiopathogenetisch primär viral verursachte Erkältungskrankheiten und Erkrankungen der Atemwege sollten initial eher mit Phytopharmaka als mit Antibiotika behandelt werden. Pragmatisch und praxisnah sind Zubereitungen von Arzneipflanzen bei trockenem, produktivem Husten mit Differenzierung in Schleimdrogen, ätherische Öle und Saponine mit expektorierender Wirkung aufgeführt. Weitere Indikationen sind Harnwegsinfekte und Reizblase, bei denen Tees zur Durchspülung sinnvoller sind als feste Darreichungsformen, das benigne Prostatasyndrom sowie die chronische Veneninsuffizienz. Bewährt hat sich der Einsatz verträglicher Phytoanalgetika und Antiphlogistika bei degenerativen Gelenkerkrankungen, die schlafregulierende, beruhigende Wirkung pflanzlicher Sedativa ohne die Gefahr von Gewöhnung und Abhängigkeit, aber dem Nachteil fehlender Akutwirkung. Der hohe wissenschaftliche Stand der Phytotherapie spiegelt sich zum Beispiel in der positiven Bewertung von Johanniskraut bei Depression und Ginkgo biloba bei Demenz vom Alzheimer-Typ durch Schulmedizin und das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) wider.

Zwei Spezialkapitel des Lehrbuchs befassen sich mit der Besonderheit von Arzneipflanzen in der Geriatrie und Pädiatrie. Hervorgehoben werden die große therapeutische Breite und – sieht man von bekannten Interaktionen ab – die gute Verträglichkeit in der Langzeiteinnahme auch in Kombination mit chemischen Synthetika. Es wird auf die in Einzelkapiteln aufgeführten Arzneipflanzen verwiesen. Zuletzt wird klargestellt, dass derzeit keine Phytoonkologika zur Verfügung stehen und der Einsatz von allopathischen Mistelpräparaten auf den anthroposophischen ganzheitlichen Ansatz von Rudolf Steiner zurückgeht. Von definierten Mistelpräparaten wurden zwar immunmodulierende, antitumorale, Apoptose-induzierende Wirkungen belegt, die klinische Wirksamkeit bezüglich Tumorregression und Remission ist noch offen. Dennoch berechtigen Hinweise einer verbesserten Lebensqualität den Einsatz als adjuvante bzw. palliative Maßnahmen.

Es ist das Verdienst von Fintelmann, das Erbe von Weiss konsequent durch aktualisierte wissenschaftliche Erkenntnisse fortzusetzen. Das Lehrbuch besticht durch den sachlich-fachlichen Inhalt, die Individuum-bezogene Anwendung zugelassener Phytopharmaka mit bewährten Rezepturen als Ergänzung oder Alternative zu chemisch-synthetischen Substanzen, das rasche Auffinden indikationsbezogener Arzneipflanzen, das moderne Layout sowie die Farbfotos. Das Lehrbuch Phytotherapie wird jedem Arzt und Apotheker, die sich mit Naturheilkunde befassen, als Nachschlagewerk empfohlen. Nicht zu vergessen sind pharmazeutische und medizinische Lehreinrichtungen im Rahmen der Ausbildung von praxisorientierten Medizinstudenten und Krankenkassen.

Prof. Dr. med., Dr. med. dent. D. Loew, Arzt für Pharmakologie und Klinische Pharmakologie, Wiesbaden

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