Arzneimittel und Therapie

Lange Blutzuckerkontrolle durch neue Insulinformulierung

Indische Wissenschaftler haben eine neuartige Insulinformulierung entwickelt, bei der das Hormon über vier Monate sukzessive ins Blut abgegeben wird. Dazu nutzten sie die chemische Eigenschaft von Insulinmolekülen, nach längerem Erwärmen Oligomere zu bilden. In dieser Form wurde es Versuchstieren mit einem medikamentös induzierten Diabetes injiziert. Das Präparat verbesserte nicht nur die glykämische Kontrolle, sondern reduzierte darüber hinaus die Fälle von sekundären diabetischen Komplikationen [1]. Noch für dieses Jahr ist eine erste klinische Studie geplant.
Hoffnung für Typ-1-Diabetiker? Indische Wissenschaftler haben im Tierversuch erfolgreich eine Insulin-Oligomer-Formulierung getestet, die das Hormon über Monate sukzessive ins Blut abgibt.
Foto: W. Kircher

Etwa 22 Millionen Menschen leiden weltweit an einem Typ-1-Diabetes. Bei diesem Typ führt die Zerstörung speziell der Betazellen in den Langerhans-Inseln des Pankreas üblicherweise zu einem absoluten Insulinmangel und das fehlende Hormon muss in Form von Insulinpräparaten kontinuierlich bis ans Lebensende zugeführt werden. Um sekundäre diabetische Komplikationen zu vermeiden, ist daher eine permanente ärztliche Überwachung unerlässlich.

Insulin-Oligomere als lang wirkende Formulierung?

Eine Erleichterung für viele Patienten wäre daher eine Therapieform mit nicht nur über Stunden wirkenden Insulinen. Indische Wissenschaftler sind diesem Ziel offensichtlich sehr nahe gekommen. Unter Rühren erwärmten sie über eine Woche Rinderinsulin und rekombinantes humanes Insulin. Danach erhielten sie eine Formulierung, die sie als supramolecular insulin assembly II (SIA-II) bezeichnen, Insulin-Oligomere, die sich unter diesen Bedingungen bilden. Diese injizierten sie Versuchstieren – Mäusen, Ratten und Kaninchen – mit einem durch Streptozotocin oder Alloxan induzierten Diabetes. Eine einzige Injektion bewahrte einen physiologischen Glucosespiegel über einen Zeitraum von mehr als 120 Tagen bei der Verwendung von Rinderinsulin und mehr als 140 Tagen, wenn die Formulierung Oligomere von rekombinantem humanem Insulin enthielt. Konventionell behandelte Mäuse benötigten eine tägliche Insulin-Gabe und unbehandelte Tiere starben nach 40 Tagen.

Die Wissenschaftler gehen davon aus, dass die Oligomere wie ein "Insulin-Depot" an der Injektionsstelle wirken, das regelmäßig eine geringe Insulindosis freisetzt. Die Anwendung führte zu keiner Nüchternhypoglykämie und die glykämische Kontrolle wurde verbessert. Auch die Fälle von sekundären diabetischen Komplikationen wurden reduziert [1]. Noch für Ende dieses Jahres sind in Zusammenarbeit mit dem amerikanischen Pharmaunternehmen Life Science Pharmaceuticals erste klinische Studien geplant.

Die Entwicklung eines derartigen Arzneimittels würde für Millionen Typ-1-Diabetiker eine enorme Erleichterung der Therapie bedeuten, zumal die Lagerung von Insulin gerade in den Entwicklungsländern aufwendig und teuer ist. Es gibt jedoch auch zurückhaltende Kommentare zu den bislang im Tierversuch erhaltenen Ergebnissen. Neben der grundsätzlichen Frage nach der Übertragbarkeit auf den Menschen wird angemerkt, dass das "Hauptproblem bei Typ-1-Diabetes nicht die Bereitstellung von Basal-Insulin zur Deckung des lebensnotwendigen Insulingrundbedarfs" sei, sondern "vielmehr die Möglichkeit, die Menge an verfügbarem Insulin in Abhängigkeit von den Bedürfnissen des Körpers zu erhöhen bzw. zu senken", so der Endokrinologe George Eisenbarth vom Barbara Davis Center for Childhood Diabetes der University of Colorado in "ScienceNOW". Auch könnten derartige Depot-Insuline einen plötzlichen Abfall des Blutzuckerspiegels verursachen, der "zu Ohnmacht und anderen Gesundheitsproblemen" führen kann [2].

Quelle [1] Gupta, S.; et al: Supramolecular insulin assembly II for a sustained treatment of type 1 diabetes mellitus. Proc. Natl. Acad. Sci. 2010; doi: 10.1073/pnas. 1005704107; 13. Juli 2010.[2] Bagla, P.: Keeping Insulin Hanging Around. Science NOW 2010, 12. Juli 2010.

 


Dr. Hans-Peter Hanssen

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