DAZ aktuell

Kassenabschlag von 1,75 gilt auch für 2010

STUTTGART (diz). Nach Auffassung von Fritz Becker, Vorsitzender des Deutschen Apothekerverbands (DAV), gilt der Kassenabschlag von 1,75 Euro auch für das Jahr 2010. Das Ergebnis von Verhandlungen könne erst ab 2011 gelten. Neben dem Thema Kassenabschlag sprachen wir mit dem Verbandschef in einem DAZ-Interview auch über die Beziehungen zum Großhandel, das AMNOG, die Apothekenbetriebsordnung und über das Verhältnis zu den Krankenkassen.
Fritz Becker
Foto: ABDA

DAZ: Herr Becker, die Bundesregierung sucht nach Möglichkeiten, das Defizit in der GKV zu beseitigen. Der Bundesgesundheitsminister möchte einen Sparbeitrag von den Apothekern von 175 Millionen Euro. Aus dem Gesetzentwurf zum Arzneimittelmarkt-Neuordnungsgesetz, kurz AMNOG genannt, geht hervor, dass die Apotheker dabei nicht direkt zur Kasse gebeten werden, sondern über eine Kürzung der Großhandelsmarge beteiligt sind: Der Großhandel wird kaum noch Rabatte an die Apotheken geben können. Halten das die Apotheken aus?

Becker: Wir gehen davon aus, dass der Großhandel mit der geplanten Umstellung seiner Marge rund 400 Millionen Euro weniger zur Verfügung hat. Wie viel er davon an die Apotheken weiterreichen wird, ist noch offen. Aber man weiß, dass seine Marge nicht mehr so üppig sein wird, so dass wir davon ausgehen müssen, dass er einen großen Teil davon an uns weitergeben wird. Das war auch bereits von Seiten des Großhandels zu hören. Nach unserer Schätzung wird jede Apotheke dadurch mit durchschnittlich 15.000 bis 23.000 Euro belastet, eine Belastung, die voll auf den Ertrag durchschlägt. Das ist ein gewaltiger Einschnitt, auch im Vergleich zu den Krankenkassen, die durch das AMNOG nur gering oder nicht belastet werden.


DAZ: Vor kurzem waren Äußerungen von Ihnen zu lesen, dass Sie auch den Großhandel ein Stück weit für die missglückte Margenumstellung verantwortlich machen. Der Großhandel wollte anfangs ein Honorar durchsetzen, das sich aus einer fixen und einer prozentualen Komponente zusammensetzt. Da er mit seinen Anfangsplänen scheiterte, schlug er eine Aufsplittung der Fixkomponente vor, abhängig von der Höhe des Arzneipreises. Sind Sie derzeit nicht gut auf den Großhandel zu sprechen?

Becker: Der Großhandel muss sich natürlich fragen lassen, warum er sehenden Auges vom Regen in die Traufe springt – und dabei den Apotheken die Luft nehmen wird. Trotzdem: Die Partnerschaft ist nicht dahin. Wir sind im Gespräch mit dem Großhandelsverband. Der Großhandel kam auf uns zu und machte uns damals mit seinen Plänen vertraut, eine Änderung der Arzneimittelpreisverordnung anzustreben, da er im niedrigpreisigen Segment nicht mehr kostendeckend arbeiten könne. Mit dem damaligen Modell des Großhandels konnten wir uns anfreunden. Was wir nicht mehr nachvollziehen können, ist das Ansinnen des Großhandels, das Fixum aufzusplitten in verschiedene Preissegmente: Niedrigpreisige Arzneimittel sollten mit einem niedrigen Fixum und höherpreisige Arzneimittel mit einem höheren Fixum versehen werden. Das lässt sich aus unserer Sicht nicht nachvollziehen.


DAZ: Der Großhandel ist entsetzt über den neuen Vorschlag aus dem Ministerium, mit dem die fixe und prozentuale Komponente stark gesenkt werden sollen. Das wird auch für den Großhandel einen empfindlichen Einschnitt bedeuten. Auch er wird nur schwer mit der geringen Marge leben können. Ist die Sache schon verfahren?

Becker: Aus dem Großhandel wurde mir signalisiert, dass der jetzige Entwurf auch dramatische Einsparungen für ihn bedeutet und wenig Luft da ist für den Wettbewerb untereinander. Er wird vieles von seiner Kürzung an die Apotheken durchreichen müssen, vermutlich mehr als die genannten 175 Millionen Euro. Lassen Sie mich dazu auch anmerken: Wir Apotheker sind seit 2004 von jeglicher wirtschaftlichen Entwicklung abgekoppelt. Als damals die Verhandlungen zur neuen Arzneimittelpreisverordnung und zur Apothekervergütung liefen, legte man bewusst das Apothekerhonorar bei 8,10 Euro fest und nicht wie von uns vorgeschlagen und gefordert bei 8,55 Euro, weil man sagte, der Apotheker realisiert noch Funktionsrabatte beim Großhandel als Teil seines Einkommens. Das gerät bei den jetzigen Diskussionen vollkommen in Vergessenheit. Und der Großhandel hat massiv dazu beigetragen.


DAZ: Sie äußerten sich vor Kurzem auch zu den Lieferpauschalen und anderen Gebühren des Großhandels, mit denen die Apotheken belastet werden. Sie schätzen sie auf rund 300 Millionen Euro. Der Großhandel spricht dagegen nur von 30 Millionen Euro. Wer hat Recht?

Becker: Natürlich gibt es hier keine hieb- und stichfesten Erhebungen dazu. Wir haben hier das, was uns Apotheken gemeldet haben, hochgerechnet und sind auf die Zahl von 300 Millionen gekommen. Wie hoch sie tatsächlich sind, lässt sich sicher nur schwer feststellen, zumal dies zum Teil auch Verhandlungssache zwischen Großhandel und Apotheke ist. Auch, wenn nur in der Mitte das richtige Maß liegen würde, zeigt dies die intransparenten Belastungen für die Apotheken.


DAZ: Gibt es Bereiche, die Ihrer Ansicht nach mit dem AMNOG geregelt werden sollten, aber bisher nicht berücksichtigt sind?

Becker: Durchaus, uns fehlen klare Vorschriften zum Herstellerrabatt-Inkasso. Der Apotheker ist hier in der Zwickmühle zwischen Industrie und gesetzlicher Krankenkasse. Hier brauchen wir dringend eine Lösung. Eine Situation wie vor Kurzem, in der die Krankenkassen einen von der Industrie zu wenig bezahlten Herstellerrabatt von den Apotheken holen wollten, darf es nicht mehr geben. Hier müssen klare Regelungen her. Ich denke, das sieht auch die Politik so. Sollte es zu einem Streit zwischen Hersteller und Krankenkassen kommen, darf dieser nicht auf dem Rücken der Apotheken ausgetragen werden.


DAZ: Ein anderes heißes Thema ist der Kassenabschlag. Noch zögerlich beginnen die Kassen derzeit damit, den zu viel einbehaltenen Kassenabschlag an die Apotheken zurückzuzahlen. Wie geht hier die Geschichte weiter? Welcher Kassenabschlag gilt denn eigentlich für dieses Jahr? Muss der Kassenanschlag neu verhandelt werden?

Becker: Normalerweise soll der Kassenabschlag zum Ende eines Jahres für das darauf folgende Jahre verhandelt werden. 2008 haben wir dies beispielsweise praktiziert. Ende 2008 war ein Kompromiss auf dem Tisch, wir hatten zugestimmt, die Kassen zunächst auch, nach Intervention des BMG dann wieder nicht. Die weiteren Verhandlungen einschließlich Anrufung des Schiedsgerichts haben sich dann über das Jahr 2009 hingezogen. Erst in 2010 haben wir dann die Entscheidung des Gerichts erhalten. Jetzt, in 2010, verhandeln wir erneut. Im September, Oktober werden wir über den Kassenabschlag für 2011 verhandeln.


DAZ: Und welcher Kassenabschlag gilt dann für das laufende Jahr 2010?

Becker: Für 2010 gilt der Zwangsrabatt von 1,75 Euro. Das ist auch in anderen Bereichen, beispielsweise bei den Ärzten, so gewesen. Was von einem Schiedsgericht festgelegt wurde, hat Gültigkeit, bis ein neues Verhandlungsergebnis feststeht oder ein neuer Schiedsspruch gefallen ist.

Für diese Annahme spricht auch, wie es in der Vergangenheit war: Für 2007 und 2008 war eine Erhöhung auf 2,30 festgesetzt worden. Diese Erhöhung hätte für 2009 wieder auf den früheren Wert von 2 Euro zurückgestuft werden müssen. Aber die Krankenkassen waren damals der Auffassung, dass das, was einmal festgesetzt ist, solange Bestand hat, bis neu verhandelt wird. Daher gehen wir davon aus, dass bis zu einer neuen Verhandlung ein Kassenabschlag von 1,75 Euro gilt.


DAZ: Mit welchen Vorstellungen werden Sie im Herbst in die neuen Verhandlungen eintreten?

Becker: Durch das Schiedsgericht wurden 2009 klare Rahmenbedingungen festgelegt, vor welchem Hintergrund der Kassenabschlag festzulegen ist. Jetzt müssen diese Rahmenbedingungen mit Leben gefüllt werden, d. h. die verschiedenen Parameter wie Inflationsrate und vieles mehr sind hier zu berücksichtigen. Konkret kann ich Ihnen heute noch keine Vorstellung nennen, derzeit wird dies noch berechnet.


DAZ: Ein anderes Thema: Rabattverträge und Retaxationen. Wie sieht aus Ihrer Sicht die Lage heute aus? Ist hier mehr Ruhe eingekehrt, hat man sich daran gewöhnt?

Becker: Sicher, ein gewisser Gewöhnungseffekt tritt hier ein. Aus Sicht der Krankenkassen sind die Rabattverträge ein großes Erfolgsmodell. Die knappe Milliarde an Einsparungen, für die ich zwischenzeitlich öffentlich geprügelt wurde, ist mittlerweile bestätigt. Auch das Bundesgesundheitsministerium steht voll hinter den Rabattverträgen als wirksame Einsparmaßnahme für die GKV. Natürlich würden wir uns beispielsweise mit dem Zielpreismodell eine sinnvolle Alternative wünschen.

Bei den Retaxationen sind immer noch der Indikationsabgleich und die Packungsgröße ein Thema. Der Krankenkassenverband und der Deutsche Apothekerverband haben sich darauf verständigt, dass hier eine Gesetzesänderung notwendig ist, um Rechtssicherheit zu haben. Im AMNOG sind entsprechende Vorschläge zur Regelung dieser Fragen enthalten. Ich kann hier nur an die Vernunft der Krankenkassen appellieren, solange abzuwarten, bis eine Lösung gefunden ist, die auf gesetzlich sauberer Grundlage steht.


DAZ: Was ist eigentlich aus dem Drohbrief von Christopher Herrmann, dem Verhandlungsführer der AOK für Rabattverträge, an die Apotheke geworden?
Er forderte in seinem Schreiben die Apotheker auf, peinlich genau die Rabattverträge im Sinne der AOK zu erfüllen. Ansonsten kämen hohe Retaxationen auf die Apotheker zu.

Becker: Ich gehe davon aus, dass ich mit Herrn Herrmann in Gesprächen eine Basis gefunden habe. Wir haben gemeinsam eine Initiative gestartet, um Rechtssicherheit in Zusammenarbeit mit dem Spitzenverband der Krankenkassen herzustellen. Ich denke, wir sind jetzt auf einem vernünftigen Weg.


DAZ: Zur Apothekenbetriebsordnung: Ein vorab bekannt gewordener Arbeitsentwurf zur Novellierung der Apothekenbetriebsordnung zeigt, wohin das Ministerium will. Mehr Qualität, mehr Beratung soll es in den Apotheken geben. Wie sieht der Deutsche Apothekerverband diese Intentionen?

Becker: Keine Frage, auch von unserer Seite ein klares Bekenntnis zu mehr Qualität. Aber sie muss machbar, umsetzbar, patientenfreundlich und finanzierbar sein. Nur ein Beispiel: Die im Arbeitsentwurf bekannt gewordenen Anforderungen an die Rezeptur sind nach meiner Ansicht überzogen. Bedingungen, wie sie in der Großherstellung gefordert werden, auf die Apotheke zu übertragen, halte ich für überzogen. Also, Qualität ja, aber finanzierbar.


DAZ: Herr Becker, vielen Dank für dieses Gespräch.

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