Praxis

Eine erste "Abrechnung"

Entwurf der neuen Apothekenbetriebsordnung

Dr. Reinhard Herzog

Als wäre das "Gesetz zur Neuordnung des Arzneimittelmarktes in der gesetzlichen Krankenversicherung" (kurz AMNOG) mit der geplanten Kappung der Großhandelsrabatte nicht genug, steht zum nächsten Jahr zusätzlich die schon lange angekündigte neue Apothekenbetriebsordnung (ApBetrO) an. Für viele Apotheken könnte sich das zu einem schweren Doppelschlag auswachsen. Selbst wenn bisher nur ein inoffizieller und schon wieder zurückgezogener Entwurf kursiert, der an vielen Punkten noch modifiziert werden wird – wir umreißen dennoch bereits einmal die möglichen wirtschaftlichen und sonstigen Konsequenzen dieser für den Apothekenbetrieb wichtigsten Verordnung.

Schwere Wetter ziehen über den deutschen Apotheken auf – wo schlägt der Blitz tatsächlich ein?
Foto: Herzog

Ohne Zweifel steht die geplante Neufassung der Apothekenbetriebsordnung unter dem Motto "mehr Pharmazie, höhere Qualität und größere Sicherheit”. Damit verbunden ist eine erhebliche Heraufsetzung verschiedener Standards, und das von einem bereits heute hohen Niveau ausgehend.

Die unter Aufwandsaspekten wesentlichen Punkte des Entwurfes lassen sich in die drei Kernbereiche

  • verpflichtendes QMS
  • Vordringen der GMP-Anforderungen in den Apothekenalltag
  • erhöhte Raum- und Technikanforderungen

zusammenfassen.

Verpflichtendes QMS

Der Nutzen von QM-Systemen, erst recht von zwangsverordneten, bleibt umstritten. Dennoch haben sie Zug um Zug Eingang in das Gesundheitswesen gefunden – bis hin in die Arztpraxen, denen inzwischen ebenfalls vielfältige QM-Maßnahmen auferlegt sind.

Da in Teilbereichen (Hilfsmittelbelieferung, Heimverträge usw.) das QMS bereits durch die Hintertür mehr oder weniger etabliert wurde, kommt eine allgemeine, gesetzliche Verpflichtung nicht wirklich überraschend.

Gleichwohl bedeutet dies für die Mehrheit der noch nicht zertifizierten Apotheken erst einmal einen erheblichen Aufwand.

Eine ernsthaft betriebene Einführung dürfte bis zur Zertifizierung mindestens 200 bis 300 Arbeitsstunden auf verschiedenen Qualifikationsebenen (v. a. Apotheker und PTA) verschlingen. Allein ein zweistündiges Team-Meeting schlägt schon in einer durchschnittlichen Apotheke mit zwölf bis 15 Arbeitsstunden zu Buche, und mit einem Treffen ist es beileibe nicht getan. Zusammen mit der Dokumentation und der Aufarbeitung der einzelnen Prozesse bis hin zur schlussendlichen Zertifizierung sind die oben angesetzten Stunden absolut realistisch.

Setzt man zurückhaltend etwa 25 Euro je Stunde an, so resultiert hieraus ein Personalaufwand von 5000 bis 7500 Euro. Es kommen die Zertifizierungsgebühren sowie ggf. etwas Literatur sowie gewisse Materialkosten für die Dokumentation hinzu. Insgesamt dürfte also ein Betrag von mindestens 5000 bis 10.000 Euro für eine durchschnittliche Apotheke bei ehrlichem Ansatz des Aufwandes zu Buche stehen. Kleine Bemerkung am Rande: Der Gesetzgeber setzt bei der Abschätzung der "Bürokratiekosten" für eine PTA-Stunde bereits 26,90 Euro an, für eine Apotheker-Stunde 43,10 Euro. Damit würde der oben genannte Kostenrahmen noch mal nach oben verlassen.

Nicht zu vergessen ist die jährliche Rezertifizierung (auch im Entwurf konkret genannt), quasi die "Rente" für die diversen Zertifizierungsdienstleister. 1000 Euro jährlich sind hierbei bereits konservativ niedrig geschätzt, setzt man den Gesamtaufwand an. Schließlich soll ein QMS ja mit "Leben" erfüllt werden ...

GMP dringt verstärkt in die Apotheken vor

Mit dem auf den ersten Blick einleuchtenden Argument, dass Arzneimittelsicherheit nicht teilbar sein darf, wird der Apotheke nach dem ApBetrO-Entwurf ein Quasi-Industriestandard in Bezug auf die Gute Herstellungspraxis für Arzneimittel auferlegt.

Im Enzelnen wird eine stringente Dokumentationspflicht nunmehr für alle Rezepturen eingefordert, also auch für jede einzelne, individuell verordnete Rezeptur. Das bedeutet: Herstellanweisungen, Herstell- und Prüfprotokolle. Der Zeitaufwand je Rezeptur erhöht sich dadurch erheblich. Eine sorgfältige, sachgerechte und gesetzestreue Dokumentation bedeutet einen Zusatzaufwand von mindestens fünf bis zehn Minuten je Rezeptur. Bei PTA-Kosten von etwa 0,40 Euro je Minute sind das zwei bis vier Euro Zusatzaufwand – bei Rezeptur-Arbeitshonoraren, die meist nur fünf Euro betragen. Bei etwa 12 Mio. Rezepturen pro Jahr (knapp 600 je Apotheke, ohne Spezialanfertigungen von Methadon- und Zytostatikazubereitungen) für GKV und Privatkassen bedeutet das je Apotheke eine Belastung von mindestens 1000 bis 2000 Euro. Dies entspricht ca. 50 bis 100 Arbeitsstunden zusätzlich pro Jahr.

Räumlich könnten Rezepturen demnächst zwingend an einem abgetrennten Arbeitsplatz angefertigt werden müssen, andere Tätigkeiten wären hier explizit nicht mehr erlaubt. Der Arbeitsplatz muss dann allseitig raumhoch von anderen Bereichen abgetrennt sein, mit leicht zu reinigenden Oberflächen. Je nach Auslegung besteht in vielen Apotheken Handlungsbedarf, der durchaus Investitionen von einigen tausend Euro bedeuten kann, auch wenn bereits seit etlichen Jahren eine klarere Abtrennung gefordert wird.

Völlig missverständlich ist die enthaltene Forderung nach einem Herstellraum bzw. Herstellbereich, der explizit zusätzlich zum Laboratorium und Rezepturarbeitsplatz genannt wird. Für diesen Herstellraum werden weiterhin Anforderungen an die Belüftung sowie den Reinheitsgrad der Luft erhoben, je nach Art der Herstellung. Dieser Punkt verlangt dringend nach einer Klarstellung, andernfalls droht hier tatsächlich eine "Großbaustelle".

Ansonsten hält der Entwurf weitere, auf den ersten Blick unbedeutend erscheinende Überraschungen bereit. Zwar wird die Pflichtausstattung (liebevoll bisweilen als "Glasmuseum" bezeichnet) tatsächlich erheblich abgebaut. Andererseits wird eine Ausrüstung nach dem Stand von Wissenschaft und Technik verlangt. Das klingt vernünftig und unverfänglich. Tatsächlich kann es ein Quell‘ steter Freude werden – für zahlreiche Geräteanbieter! Eingangskontrolle mit NIR-Spektrometern? Stand der Technik! Gutes Photometer? Ja, welches Prüflabor kommt denn da heute noch ohne aus ... Das mag übertrieben klingen, aber eine solche Formulierung öffnet manchen Begehrlichkeiten und überzogenen Anforderungen Tür und Tor. Oder muss das dann alles erst einmal gerichtlich geklärt werden? Es bleiben ernstzunehmende Fragen offen.

Auch das Wörtchen "Qualifizierung" hat es in sich – auch sie soll nunmehr vor der Inbetriebnahme "wesentlicher Ausrüstungen" verbindlich werden. Die alte Waage tut nicht mehr? Heute: Apothekenbedarfs-Katalog aufgeschlagen, vielleicht den Vertreter angerufen, und eine neue Waage rollt an. Aufgestellt und Stecker rein, ein Kalibriergewicht zur Sicherheit aufgelegt – und gut ist es. Aber nicht mehr, wenn die bereits seit vielen Jahren in der Industrie geltenden Qualifizierungsvorgaben gelten. Angefangen von einem schriftlichen Anforderungsprofil ("Design-Qualification") bis hin zur Inbetriebnahme und Leistungsqualifizierung ("zeigt die Waage unter definierten Betriebsbedingungen das an, was sie soll") – ein GMP-gerechter Qualifizierungsprozess ist vielstufig und bedeutet einen beträchtlichen Dokumentations- und Prüfaufwand. Einiges lässt sich davon auf die Gerätehersteller delegieren – diese liefern dann bedeutende Teile der Unterlagen mit. Gegen Extra-Geld, versteht sich. Hier droht also ein weiterer Kosten- und Bürokratieschub, der schließlich dazu führt, dass man sich die Anschaffung so mancher Geräte zweimal überlegen wird. Übrigens: War das Gerät in Reparatur, wird selbstverständlich eine Requalifizierung fällig. Die Waage könnte ja nun etwas anderes anzeigen ...

Ach ja, und wo die Qualifizierung Einzug gehalten hat, ist die Validierung nicht mehr weit. Freuen Sie sich also schon einmal darauf, nach der nächsten Verordnungsnovelle auch alle Herstellverfahren – bis hin zum Salbenrühren im Unguator® oder TopiTec® – zu validieren, mit drei Validierungsansätzen je Rezeptur und lückenloser Dokumentation. Sicher, das mag wieder übertrieben und sarkastisch klingen – aber dieser Entwurf ist nun einmal so formuliert, dass er für die fernere Zukunft schlimmsten Dokumentations-Overkill befürchten lässt. Bekanntermaßen zieht Bürokratie noch mehr Bürokratie nach sich. In der Pharmaindustrie lebt eine ganze Phalanx spezialisierter Dienstleister (nicht selten ehemalige Industriemitarbeiter) gut von der ganzen GMP-Problematik. GMP wird ja scherzhaft auch als "Give More Paper ..." übersetzt.

Zytostatikaherstellenden Apotheken wird darüber hinaus gleich der EG-GMP-Leitfaden verbindlich an die Hand gegeben. Das kann im Einzelfall ganz erhebliche Konsequenzen haben. Die de facto selten praktizierte Herstellung von Rezepturen im Großmaßstab erfordert möglicherweise künftig eine Herstellerlaubnis nach dem Arzneimittelgesetz, die von einer üblichen Apotheke wohl nicht zu erlangen sein dürfte. Das gilt jedoch nicht für die klassischen Defekturen, denen aber nachweislich häufige Verschreibungen zugrunde liegen müssen.

Zwischenfazit: Hier wird teilweise beträchtlich über das Ziel hinausgeschossen. So hat der Kunde ohne Zweifel Anspruch auf eine qualitativ einwandfreie Rezeptur. Doch es handelt sich eben um eine Individualrezeptur und keine industrielle Massenherstellung. Sicher sind im Detail Verbesserungen bei der heutigen Rezepturpraxis möglich, nur sollten dazu andere, der Situation der Apotheken angepasste Wege beschritten werden. Und wenn das Hohelied der Qualität über alles gesungen wird, dann muss auch der Chor dazu bezahlt werden. Mit 5 Euro Arbeitspreis ist es dann bei Weitem nicht mehr getan ... Ein Blick in die benachbarte Schweiz zeigt, wie es möglicherweise trotzdem gehen kann – indem man bereit ist, für die Konsequenzen solcher Auflagen finanziell gerade zu stehen. Hier werden nämlich Rezepturen im Vergleich zu uns deutlich besser honoriert.

Weitere "Baustellen"

Von Brisanz sind einige weitere Punkte. So wird zum einen eine Beratungspflicht verankert (mit einem regelrechten "Pflichtkatalog" an Beratungspunkten, die selbst die Entsorgung der Medikamente umfassen), zum anderen wird die Vertraulichkeit der Beratung gefordert – möglichst durch bauliche Maßnahmen, notfalls organisatorisch sicherzustellen. Wie dies konkret ausschauen könnte, bleibt offen. Welcher Mindestabstand ist ausreichend? Benötigen wir Beratungskabinen oder eigene Schalter? Was macht eine nur sehr kleine, beengte Offizin – Nummern ziehen lassen wie auf dem Amt? Es bleibt zu hoffen, dass für dieses im Grunde berechtigte Anliegen pragmatische, vernünftige Lösungen gefunden werden – ohne die Erfordernis teurer Umbaumaßnahmen.

Künftig sollte nach dem ursprünglichen vorläufigen Entwurf das Nachtdienstzimmer nicht mehr zu der ansonsten unverändert belassenen Mindestgröße von 110 qm für die Apothekenräume zählen. Da der Nachtdienst nicht notwendigerweise in den Apothekenräumen abzuleisten ist, ergibt sich im Einzelfall ein Schlupfloch. Wer jedoch über beengte Räumlichkeiten verfügt und auch keine Möglichkeiten hat, in unmittelbarer Nähe der Apotheke eine Notdienstbleibe aufzutun, könnte ein Problem bekommen. Selbst wenn ein Bestandsschutz für die Altinhaber vorgesehen würde, wäre so manche Apotheke danach trotzdem faktisch unverkäuflich. Hier würde ein massiver Eingriff in bestehende Rechte stattfinden. Nach der jüngsten Anhörung im BMG wurde jedoch bereits ein Entgegenkommen signalisiert. So soll das Nachdienstzimmer weiterhin mitzählen, wenn es zur Raumeinheit gehört – nur extern gelegene Räumlichkeiten fallen heraus.

Inwieweit sich die engere Auslegung der Apothekenüblichkeit sowie eine Begrenzung der Verkaufsfläche für Nicht-Arzneimittel (30% der Offizinfläche?) wirtschaftlich auswirken, kann an dieser Stelle noch nicht zuverlässig abgeschätzt werden. Center- und Lauflagenapotheken mit großen und teuren Mietflächen könnten hier aber Probleme bekommen.

Fazit

Der Entwurf der neuen Apothekenbetriebsordnung legt den Apotheken ganz erhebliche Zusatzlasten auf. Dabei ist es die Summe vieler Kleinigkeiten (neben dem einen oder anderen, im Einzelfall größeren Brocken), die selbst heute gut organisierten Apotheken manch wirtschaftlichen Nadelstich versetzen dürfte. Wie hoch der Aufwand konkret für die einzelne Apotheke wird, hängt entscheidend von ihrer individuellen, heutigen Ausgangslage ab. Wer mit QMS, Rezepturabtrennung und modernen Geräten (z. B. elektronischen Waagen mit Dokumentationsfunktion) nachrüsten muss, für den kann es teuer werden – womöglich deutlich fünfstellig. Wer von einem hohen Niveau startet, kommt besser weg. Aber eine mindestens niedrig vierstellige Belastung über alle Punkte hinweg dürfte selbst in Top-Apotheken Jahr für Jahr zusätzlich zu Buche schlagen.

Kleinere Apotheken dürften, insbesondere im Doppelschlag mit den weitgehend wegfallenden Großhandelsrabatten, zunehmend in ernste Existenzprobleme geraten oder aber die Selbstausbeutung immer weiter treiben müssen. Und für alle gilt: Der Entwurf dürfte die Arbeitsfreude bei niemandem erhöhen, zieht er doch die Schlinge der Bürokratie und Fremdbestimmung nochmals enger.

Andererseits wird nichts so heiß gegessen, wie es gekocht wird. Warten wir also die Überarbeitung und die Konkretisierungen ab – doch Wachsamkeit ist angesagt. Auch bei den scheinbaren Kleinigkeiten und Nebensätzen ...

Hier finden Sie die wichtigsten Änderungen der novellierten Apothekenbetriebsordnung und eine erste wirtschaftsliche Bewertung.

Autor

Apotheker Dr. Reinhard Herzog

Philosophenweg 81

72076 Tübingen

E-Mail: Heilpharm.andmore@t-online.de

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