Arzneimittel und Therapie

ASS in der Primärprophylaxe bisher ohne Nutzen

Für Patienten mit kardiovaskulärer Erkrankung oder nach Herzinfarkt und Schlaganfall ist eine dauerhafte Sekundärprophylaxe mit niedrig dosierter Acetylsalicylsäure (low dose ASS) etabliert. Doch welche Intervention kann verhindern, dass Patienten dieses gefährliche Krankheitsstadium erreichen? Eine schottische Studie untersucht nun den Nutzen von niedrig dosierter Acetylsalicylsäure bei nicht-symptomatischen Patienten, bei denen aber aufgrund eines erniedrigten Knöchel-Arm-Index ein erhöhtes Risiko für Gefäßerkrankungen festgestellt wurde.
Knöchel-Arm-Index Bei der Bestimmung des Knöchel-Arm-Index wird am liegenden Patienten zuerst am Knöchel und dann am Oberarm der systolische Blutdruck gemessen. Der Knöchel-Wert wird durch den gemessenen Druck des Arms geteilt. Ist dieser sogenannte Ankle Brachial Index (ABI) kleiner als 0,9, so deutet das auf eine bereits bestehende Durchblutungsstörung der Beine hin.
Foto: Helios Kliniken GmbH

Bei der Bestimmung des Knöchel-Arm-Index, auch Ankle Brachial Index (ABI) genannt, wird mittels Dopplerultraschall der Quotient aus dem systolischen Blutdruck an den Knöcheln und an den Armvenen bestimmt. Ein ABI unterhalb von 0,9 sichert die Diagnose periphere arterielle Verschlusskrankheit (paVK). Die vorliegende Studie stellt sowohl das Konzept eines ABI- Screening als auch die Therapie mit Acetylsalicylsäure als Primärprophylaxe auf den Prüfstand.

Einschlusskriterium niedriger ABI

Aus einem schottischen kommunalen Gesundheitsregister hatten sich zwischen 1998 und 2001 28.980 geeignete Probanden einer Messung des ABI unterzogen. Im Vorhinein wurden alle Probanden mit bestehenden Gefäßerkrankungen oder entsprechender Medikation von der Teilnahme ausgeschlossen. Wichtigstes Einschlusskriterium war ein niedriger Knöchel-Arm-Index von ≤ 0,95. 3350 verbleibende Teilnehmer, 72% davon weiblich, konnten in zwei gleichstarke Therapiearme randomisiert werden und erhielten entweder einmal täglich 100 mg Acetylsalicylsäure in magensaftresistenter Zubereitung oder Placebo. Der geplante Nachbeobachtungszeitraum von zunächst fünf Jahren wurde im Verlauf der Studie um weitere viereinhalb Jahre verlängert, um eine statistisch aussagefähige Anzahl an Ereignissen auswerten zu können.

 

Acetylsalicylsäure ohne Vorteil

Der primäre Endpunkt, eine Kombination aus frühen tödlichen oder nicht-tödlichen koronaren Ereignissen, Schlaganfall oder Bypass-Operation wurde von 357 Probanden erreicht. Dabei gab es keinen signifikanten Unterschied zwischen den beiden Gruppen. Im Therapiearm unter ASS wurden 13,7, im Placeboarm 13,3 Ereignisse je 1000 Patientenjahre gezählt (Hazard ratio 1,03; 95% Konfidenzintervall 0,84 bis 1,27). Auch der sekundäre Studienendpunkt, die gemeinsame Auswertung von koronaren Ereignissen und Angina pectoris, Claudicatio intermittens und transistorischen ischämischen Attacken trat in beiden Therapiegruppen in gleicher Häufigkeit auf (ASS: 22,8 vs. Placebo: 22,9 je 1000 Patientenjahre). Die Mortalität konnte durch Acetylsalicylsäure ebenfalls nicht statistisch signifikant reduziert werden.

Allerdings traten in der ASS-Gruppe mehr Blutungsereignisse auf. Unter den 34 Ereignissen waren drei tödlich verlaufende subarachnoidale oder subdurale Blutungen. Im Placeboarm wurden 20 Blutungsereignisse registriert, darunter betraf keines das ZNS.

Wie geht es weiter?

Die Studie wirft die Frage auf, ob der Knöchel-Arm-Index ein geeignetes Screeninginstrument für kardiovaskuläre Risikopatienten sein kann und wie eine solche Risikopopulation zu therapieren ist. Angesichts der insgesamt recht geringen Ereignisrate, unter anderem bedingt durch einen generellen Rückgang in Schottland im Studienzeitraum, konnte auch durch den verlängerten Nachbeobachtungszeitraum kein Vorteil für eine Therapie mit Acetylsalicylsäure ermittelt werden. Selbst die aus den Ergebnissen theoretisch errechenbare relative Risikoreduktion von 16% würde bedeuten, dass ungefähr 500 Patienten der Normalbevölkerung über acht Jahre behandelt werden müssten, um ein einziges kardiovaskuläres Ereignis zu verhindern (Number Needed to Treat, NNT). Ein weiteres Problem, das sich aus der langen Studiendauer ergibt, ist die nachlassende Compliance. Übereinstimmend mit anderen Studien ergab die Auswertung der Patiententagebücher, dass ungefähr lediglich 60% der Probanden ihre Medikation dauerhaft einnahmen. Soll das Konzept ABI-Screening eine weitere Chance bekommen muss im Vorhinein geklärt werden, ob man den "Einstiegs-ABI" auf < 0,9 heruntersetzt, um eine stärker gefährdete Patientenpopulation zu selektieren und ob ASS die geeignete Intervention ist. Das Editorial des Journal of the American Medical Association (JAMA) stellt die magenschonende Galenik der ASS-Tabletten und pharmakokinetische Konsequenzen bei adipösen Patienten als Grund für das Scheitern der Intervention mit Acetylsalicylsäure zur Diskussion. Ferner könnte die Messung der Thrombozytenfunktion eine zukünftige Option darstellen, Risikopatienten, die auf eine Therapie mit Acetylsalicylsäure ansprechen, zu bestimmen.

Quelle Fowkes, F.G.R. et al., Aspirin for Prevention of Cardiovascular Events in an General Population Screened for a Low Ankle Brachial Index- A Randomized Controlled Trial. J. Am. Med. Assoc. (2010) 303(9): 841 – 848 Berger, J.S., Aspirin as Preventive Therapy in Patients With Asymptomatic Vascular Disease, J. Am. Med. Assoc. (2010) 303(9): 880 – 882

 


Apotheker Peter Tschiersch

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