DAZ aktuell

Arzneimittelabgabe über Visavia "im Wesentlichen unzulässig"

BERLIN (ks). Das Rowa-Apothekenterminal "Visavia" darf nur in äußerst eng umgrenzten Fällen Apothekenwaren ausgeben: OTC-Arzneimittel können während der Apothekenöffnungszeiten aus dem Automaten gezogen werden, ansonsten muss sich das Angebot auf das Nebensortiment beschränken. Für verschreibungspflichtige Arzneimittel ist das Terminal tabu, das gleiche gilt für freiverkäufliche Medikamente, die ohne Videotelefon-Kontakt zum Apotheker gezogen werden können. Dies hat das Bundesverwaltungsgericht Leipzig in den Klageverfahren zweier selbstständiger Apotheker aus Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg entschieden. (Urteile des Bundesverwaltungsgerichts vom 24. Juni 2010, Az.: BVerwG 3 C 30.09 und 3 C 31.09)
Hart für Rowa Das Apothekenterminal Visavia darf nur noch sehr begrenz eingesetzt werden – und verliert damit seine Attraktivität.
Foto: Rowa

Bei der Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände – ABDA – freut man sich über das mit Spannung erwartete Urteil: "Heute wurden erneut Patientenschutz und Arzneimittelsicherheit höchstrichterlich gestärkt", kommentierte ABDA-Präsident Heinz-Günter Wolf den Richterspruch in einer ersten Stellungnahme. Das Bundesverwaltungsgericht habe in einer zentralen Fragestellung "klargestellt, dass die persönliche Verantwortung des Apothekers beileibe kein Selbstzweck ist, sondern entscheidend für die sichere Arzneimittelversorgung von Patienten", betonte Wolf. Zuletzt hatte das Leipziger Gericht im März 2008 die Apothekerschaft erschüttert, als es die Pick-up-Stellen der Europa Apotheek Venlo in dm-Supermärkten abgesegnet hatte. Im Fall Visavia war es den obersten Verwaltungsrichtern des Landes um einiges wichtiger, dass die Arzneimittelabgabe in direktem Kontakt mit dem Apotheker erfolgt.

Dokumentationspflicht wird nicht genügt

Die Abgabe von Arzneimitteln mittels Apothekenterminals hat das Gericht in seiner mündlichen Urteilsbegründung für "im Wesentlichen unzulässig" erklärt. Soweit es um verschreibungspflichtige und verschriebene Arzneimittel geht, werde bei der Abgabe mittels Automaten auch bei Videokontakt nicht den gesetzlichen Dokumentationspflichten des Apothekers genügt. Dieser müsse die Angaben auf dem Rezept bei der Abgabe des Arzneimittels abzeichnen und eventuelle Änderungen unterschreiben; das sei bei einer automatisierten Abgabe über ein Terminal nicht möglich. Hinsichtlich apothekenpflichtiger, aber nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel kamen die Richter zu dem Schluss, dass diese nicht zur Nachtzeit abgegeben werden dürfen, sondern nur, wenn sich auch in der Apotheke Personal befindet. Auch hier besteht Beratungsbedarf, weshalb ebenfalls ein Kontakt via Videotelefon zwischen Apotheker und Kunden hergestellt wird. Doch ein solcher könne durch das Terminal nicht ausreichend sichergestellt werden, erklärte eine Sprecherin des Gerichts gegenüber der DAZ. Daher sei es nötig, dass stets auch persönlich ein Apotheker erreicht werden könne. Was freiverkäufliche Arzneimittel betrifft, so gab Visavia diese Produkte bislang automatisch und ohne Videotelefon-Kontakt mit dem Apotheker aus. Dies sei ein Verstoß gegen das Automatenverbot des § 52 Abs. 1 AMG, so die Gerichtssprecherin. Lediglich Apothekenwaren, die keine Arzneimittel sind und auch sonst im Einzelhandel gekauft werden können, bleiben damit ein unproblematisches Produkt für Visavia.

Persönliche Verantwortung verpflichtet

Darüber hinaus hält das Bundesverwaltungsgericht den Betrieb der Abgabeterminals für unzulässig, soweit die Geräte nicht vom Personal der Apotheke, sondern über ein Servicecenter bedient werden. Die klagenden Apotheker hatten für die Bedienung der Geräte außerhalb der Öffnungszeiten jeweils Serviceverträge mit einer GmbH geschlossen, die die Arzneimittelabgabe mit angestellten Apothekern über ein Servicecenter organisiert, mit dem die Terminals per Internet verbunden sind. Wie die Leipziger Richter ausführten, sei der Apotheker nach dem Apothekengesetz zur persönlichen Leitung der Apotheke in eigener Verantwortung verpflichtet. Damit lasse sich nicht vereinbaren, die Abgabe von Arzneimitteln aus der Apotheke einschließlich der Beratung und Information der Kunden auf einen gewerblichen Dienstleister zu übertragen. In dem Servicevertrag vereinbarte Weisungsrechte des Apothekers gegenüber dem Personal der Serviceagentur seien kein gleichwertiger Ersatz für die Aufsichts- und Kontrollbefugnisse gegenüber dem Personal seiner Apotheke. Die insoweit durch das Apothekengesetz bewirkte Einschränkung der Berufsausübungsfreiheit nach Art. 12 Abs. 1 des Grundgesetzes sei durch die vom Gesetzgeber bezweckte Sicherheit der Arzneimittelabgabe gerechtfertigt.

Rowa will weiteres Vorgehen prüfen

Noch liegt das schriftliche Urteil nicht vor – die Entscheidungsgründe sind voraussichtlich für Ende August zu erwarten. Beim Visavia-Hersteller Rowa will man diese abwarten, ehe man dort eine weitere Vorgehensweise festlegt, erklärte Rowa-Geschäftsführer Dr. Christian Klas. Er sieht das Positive in dem Urteil: So habe das Gericht sich intensiv mit der Beratungsqualität von Visavia auseinandergesetzt und sie "letztlich als ausreichend erachtet". Klas: "Wir werden mit Zugang der Begründung prüfen, inwieweit Möglichkeiten bestehen, den Anforderungen hinsichtlich der Dokumentationspflichten sowie der Aufsichts- und Kontrollbefugnisse in der Servicegesellschaft gerecht zu werden." Unabhängig von der Rechtslage in Deutschland gehe Rowa aber von einem weiter wachsenden Markt im Ausland aus. Hier entwickle sich die Nachfrage nach Visavia weiter positiv.

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