Fortbildung

Wirkstoff und Arzneiform individuell wählen

Die Entwicklung moderner Darreichungsformen für Opioide hat in den letzten Jahren einen bedeutenden Beitrag zur Schmerztherapie geleistet. Laufende Neuentwicklungen lassen eine weitere Optimierung der Schmerzbekämpfung und damit der Steigerung der Lebensqualität leidender Menschen erwarten, wie Prof. Dr. Johannes Bartholomäus, pharmazeutischer Entwicklungsberater aus Aachen, zeigte.

Inhaltsverzeichnis: "48. Internationale Fortbildungswoche der Bundesapothekerkammer in Meran"


Johannes Bartholomäus
Foto: DAZ/ck

"Schmerz ist das, was der Patient als solchen empfindet; wann und wo immer er es empfindet", damit, so Bartholomäus, ist Schmerz immer ein individuelles Erlebnis. Durch die Vielfalt an Arzneiformen können Apotheker und Arzt Schmerzpatienten heute wesentlich individueller beraten und behandeln als noch vor einigen Jahren. Je nach Art und Dauer können individuell für jeden Patienten Wirkstoff und die entsprechende Arzneiform ausgewählt werden.

Akuten Schmerz rasch lindern

Der schnellste Weg, einen akuten Schmerz zu lindern, ist eine intravenöse Injektion. Allerdings gilt diese Darreichungsform als unangenehm und ist äußerst unbeliebt bei den Patienten. Lösung, Tropfen oder Säfte werden bevorzugt, sie sind angenehm einzunehmen und die Wirkung tritt schneller als nach der Einnahme einer Tablette ein. Vor allem für Kinder sind Säfte, die auch in verschiedenen Geschmacksrichtungen angeboten werden – auch aus Sicht der Eltern – eine angenehme Darreichungsform. Probleme sieht Bartholomäus in der Dosiergenauigkeit. Doch stehen mittlerweile mit Pumptropfern oder Kalibrierspritzen Hilfsmittel zur Verfügung, die eine individuelle Dosierung in mg pro kg Körpergewicht ermöglichen. Erwachsene bevorzugen oft eher Brausetabletten, die auch exakt dosierbar sind und schneller einen hohen Wirkstoffspiegel ermöglichen, als aus herkömmlichen Tabletten, was besonders in der Behandlung von Kopfschmerzen von Vorteil ist. Heute stehen neben der klassischen Aspirin®-Brausetablette für eine Reihe von Analgetika diese Darreichungsform zur Verfügung, wie für Paracetamol, Tramadol und Tramadol-Paracetamol-Kombinationen. Für die schnelle Anwendung für unterwegs auf Reisen oder bei der Arbeit wurden zum Einnehmen ohne Wasser Kautabletten oder Direktgranulate im Stickpack entwickelt, die direkt im Mund mit dem Speichel den Wirkstoff freisetzen. Ein besonders schneller Wirkeintritt wird von Patienten mit Migräneanfällen gewünscht, da der Leidensdruck hier sehr groß ist. Für die Triptane wurde versucht, Darreichungsformen zu entwickeln, mit denen der Wirkeintritt gegenüber einer Tablette beschleunigt werden kann. So tritt bei Sumatriptan nach oraler und rektaler Gabe die Wirkung nach 30 Minuten ein, nach subkutaner Selbstinjektion schon nach 10 bis 15 Minuten. Als eine Alternative zum teuren Pen wurde ein Nasenspray mit schnellem Wirkungseintritt nach etwa 15 Minuten entwickelt. Allerdings, so Bartholomäus, haben Untersuchungen gezeigt, dass bei diesem Applikationsweg sehr viel Wirkstoff verschluckt wird. Sein Tipp: Der Patient sollte während des Sprühens in die Nase nicht hochziehen, sondern versuchen, gleichzeitig durch den Mund auszuatmen. So wird physiologisch der Nasen-Rachen-Weg durch das Gaumensegel verschlossen und damit ein Niederschlagen der Lösung im Nasenraum begünstigt.

Retardformen bei chronischen Schmerzen

Als ein Durchbruch in der Therapie schwerer chronischer Schmerzen gelten Retardtabletten. Die kurze Halbwertszeit von Morphin erforderte früher eine hohe Einnahmefrequenz. Vier- bis sechsmal täglich mussten Tabletten, Kapseln oder orale Lösungen eingenommen werden. Durch eine Retardmatrix aus hydrophoben und hydrophilen Bestandteilen wurde pH-Wert-unabhängige Freisetzung über acht bis zwölf Stunden möglich, die Einnahmefrequenz sank auf zwei- bis dreimal täglich. Allerdings besteht bei diesen Retardformen auch die Gefahr des Fehl- oder Missbrauchs, ein versehentliches Freisetzen (dose dumping) oder ein gezieltes Zermörsern sind vorstellbar. Das Zerkleinern lässt sich verhindern, indem Hilfsstoffzusammensetzung und Herstellverfahren verändert werden, damit die Retardtabletten so widerstandsfähig sind, dass sie mit Mörser und Pistill oder einem Hammer nicht in ein schnell freisetzendes Pulver überführt werden können. Die Kunst besteht darin, dass die Tabletten den Wirkstoff bei bestimmungsgemäßem Gebrauch wie eine gewöhnliche Retardtablette freisetzen. Eine Weiterentwicklung sind Retardpellets. Der Arzneistoff ist auf eine große Zahl einzeln retardierter Kügelchen verteilt, die häufig in Kapseln gefüllt sind. Da jedes Pellet den Wirkstoff retardiert freisetzt, ist die Gefahr des dose dumpings gering. Allerdings muss die Möglichkeit einer Interaktion mit Alkohol beachtet werden, wenn der Retardüberzug im Alkohol-Wasser-Gemisch löslich ist. Unsere Haut dient als Schutz und ist eigentlich kein Resorptionsorgan. Das Stratum corneum ist eine sehr lipophile Barriere, es können weder hydrophile Stoffe noch größere Wirkstoffmengen transdermal appliziert werden. Bartholomäus stellte Systeme vor, bei denen das Stratum corneum mit einer größeren Zahl von Mikroporen versehen wird. Die Löcher werden durch Mikronadeln oder durch kurzzeitiges punktuelles Erhitzen in die äußeren toten Hautschichten eingebracht. Durch die sich bildenden, wässrig gefüllten Kanäle können hydrophile Stoffe oder auch größere Mengen Wirkstoff eindringen. Gebräuchlicher sind transdermale Pflaster. Im Vergleich zu den älteren Reservoirpflastern, die den Wirkstoff in einer flüssigen Formulierung enthielten und die Freigabe über eine Diffusionsmembran steuerten, enthalten die heute üblichen Matrixpflaster den Wirkstoff in die Klebeschicht eingearbeitet, die damit die Reservoir- und Abgabesteuerungsfunktion übernimmt. Mit dieser Darreichungsform kann die Applikation auf alle drei Tage reduziert werden. ck

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