Pharmazeutische Betreuung bessert Compliance bei Diabetikern
Wirklich gut ist Compliance nur in klinischen Studien. Bleibt der Behandlungserfolg im Alltag (Effectiveness) hinter dem Studiensetting (Efficacy) zurück, so ist der häufigste Grund eine verminderte Therapietreue. Deren Ausmaß lässt sich auf verschiedenen Wegen abschätzen, erläuterte Dr. Renate Quinzler vom Deutschen Arzneiprüfungsinstitut, Eschborn.
- Den quantitativen Versorgungsgrad über ein Zeitintervall gibt die Medication Possession ratio (MPR) an.
- Das Medikationsprofil der Apotheke deckt Lücken oder Schwankungen auf.
- Die "elektronische Pillendose" (Medication Event Monitoring System MEMS® hält die Entnahmevorgänge fest.

Durchschnittliche jährliche Gesamtkosten bei Diabetes-Patienten mit geringer und hoher Therapietreue: mit steigender Therapietreue, also steigendem medikamentösem Versorgungsgrad (Medication Possession ratio - MPR) sinken die Gesamtkosten.
Foto: ABDA
Bei einer Dauermedikation liegt die Therapietreue im Mittel bei rund 50%. Patienten wie Ärzte neigen dazu, sie zu überschätzen: Bezeichneten sich in einer Studie 92% der Diabetiker als therapietreu, wies die Kontrolle mittels MEMS® nur 74% korrekte Einnahmevorgänge nach. Je nach Messmethode, Beobachtungszeit und Therapieregime nehmen zwischen 36 und 93% der Patienten orale Antidiabetika (OAD) wie verordnet ein. Bedenklich erscheint, dass gerade bei der Insulintherapie Adhärenz (rund 62%) und Persistenz (rund 80% über 24 Monate) oft unzureichend sind, so Quinzler.
Generell verbinden sich mit Non-Compliance höhere Gesamtkosten. Bei geringer Therapietreue haben Diabetespatienten höhere HbA1c-Werte und müssen häufiger zum Arzt oder ins Krankenhaus (Diabetes Care 2007). Die steigenden Versorgungskosten dieser Patienten fressen "Einsparungen" durch geringere Arzneimittelkosten bei Weitem auf. Es wurde berechnet, dass eine Steigerung der Therapietreue um 10% die Versorgungskosten von Diabetikern senken könnte, um mindestens 8%. Warum halten Patienten sich nicht daran, was der Arzt sagt? Die Arzt-zentrierte Sicht, wonach die Schuld überwiegend beim Patienten liegt – ja überhaupt von einer Schuld die Rede ist –, weicht heute mehr und mehr einem differenzierten Blick. Wenn der Arzt keine Zeit aufbringt,
- die Therapie zu erläutern,
- Sinn und Zweck der Medikation zu erklären,
- Einnahmehinweise zu geben,
- mögliche Nebenwirkungen zu besprechen,
stehen selbst bei einem "willigen" Patienten die Chancen für "Therapietreue" schlecht. Womöglich entscheidet er bewusst, die Therapie zu unterlaufen, was Dr. Alexander Risse, Leiter des Diabeteszentrums der Dortmunder Klinik Nord als "intelligente Non-Compliance" bezeichnete. Als Ursache macht der Diabetologe bei vielen seiner Kollegen Defizite im Umgang mit Patienten aus. Reine "Organmediziner" machten sich keine rechte Vorstellung davon, was für den Patienten "Lebensqualität" bedeutet. Es reiche keinesfalls, einseitig weltfremde Therapieziele und Handlungsanweisungen vorzugeben, und seien sie auch Leitlinien-gemäß. An Patienten würden oft Anforderungen ohne jede empathische Instruktion gestellt, die kaum zu lösen sind. Dies führe zu Aggression oder Resignation.
Diabetes und NoncomplianceDiese Faktoren sind mit einer verminderten Therapietreue bei Diabetikern assoziiert:
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Medikationsmanagement in der Apotheke
Apotheker Manfred Krüger, Krefeld, berichtete von einer Machbarkeitsstudie zum häuslichen Medikationsmanagement, durchgeführt mit zwei Hausarztpraxen und 47 multimorbiden insulinpflichtigen Diabetikern. Ziel war u. a. die Optimierung von Arzneimitteltherapie und Selbstmanagement des Patienten. Als bedeutsame Instrumente machte Krüger die Medikationsliste für Patient, Arzt und Apotheke aus, an relevanten Interventionen das Lösen Arzneimittel-bezogener Probleme sowie die Analyse von Selbstmanagement und Compliance des Patienten. Die Studie ergab für die Apotheke einen Arbeitsaufwand von vier Stunden pro Patient (zwei Termine). Die Patienten taten sich teils schwer, Inhalt und Ziele der Interventionen zu erfassen, zogen aber dennoch mit, berichtete Krüger. Probleme betrafen, bei grundsätzlich guten kollegialem Austausch, Terminvereinbarungen mit den Ärzten und deren zum Teil mangelhafte Dokumentation.
Den Auftrag klären!
"Arzt und Patient müssen jedes Quartal zusammen klären, was sie miteinander wollen, und zwar nach einem strukturierten, qualitätsgesicherten Muster", forderte Risse. Das nennt er Auftragsklärung. Es könne zum Beispiel bedeuten, dass man den Patienten zwar über das ideale Ziel einer Behandlung informiert, aber lediglich ein realistisches, erreichbares Ziel bindend vereinbart. Die Einhaltung dieses optimalen Ziels müsse kontrolliert werden. Weil diese Form von "informed consent" in der Praxis nur ein Schattendasein führe, sei fehlende "Therapietreue" die logische Folge. Diese Feststellung ergänzte Risse um ein Lob – oder waren es Vorschusslorbeeren? – für die Apotheke: Pharmazeuten könnten Patienteninformation vielfach besser durchführen als der Arzt, es sei unabdingbar, die Apotheke in die Diabetikerversorgung stärker einzubinden. Dieses Konzept verfolgt die Kommission EADV (Einbindung der Apotheker in die Diabetikerversorgung) der Deutschen Diabetes-Gesellschaft. Ein Basisrezept dafür hatte Quinzler parat: Wenn die Therapie versagt, soll man nicht reflexartig die Dosis erhöhen, die Medikation umstellen oder Wirkstoffe hinzunehmen. Zunächst muss die Therapietreue beleuchtet werden. Ausmaß und Gründe für Noncompliance sind zu ermitteln, als Voraussetzung für jede weitere Therapieentscheidung.
Praktisches Diabetesmanagement in der Apotheke
[Quelle: nach Prof. Dr. Martin Schulz, Berlin/Frankfurt] |
Therapie vereinfachen heißt Compliance bessern
Zahlreiche Interventionen zur Verbesserung der Adhärenz wurden untersucht, mit teilweise widersprüchlichen Ergebnissen, die Prof. Martin Schulz (ABDA/DAPI) darstellte. Sicher ist:
"Je einfacher die Einnahme, desto besser die Adhärenz." Verringerung der Einnahmefrequenz auf einmal täglich und Wechsel zu fixdosierter Kombinationstherapie besserte in Studien signifikant die Einnahmetreue. Bei kurzzeitigen Behandlungen können die persönliche Beratung, schriftliche Informationen oder Telefonanrufe hilfreich sein. Hingegen erfordern Dauerbehandlungen komplexe Interventionen, um auch nur kleine Verbesserungen zu erzielen. Hierzu zählte Schulz u. a. strukturierte Diabetikerschulungen, eine stärkere Einbeziehung des Betroffenen und seiner individuellen Präferenzen, den vermehrten Einsatz von Erinnerungs- und Monitoringmaßnahmen und Programme zur Motivation und Behandlungseinbindung. Besondere Beachtung verdient die Depression als häufige Diabeteskomorbidität, betonte Schulz. Sie trifft Diabetiker mit einer Wahrscheinlichkeit von 1,3 bis 1,9. Die Komorbidität ist prädiktiv für niedrige Therapietreue. Die resultierende schlechte Diabeteskontrolle steigert das Risiko für Folgeschäden der Gefäße und für Demenz.
Quelle Dr. Renate Quinzler, Eschborn/Heidelberg; Prof. Dr. Martin Schulz, Berlin/Frankfurt; Dr. med. Alexander Risse, Dortmund: Therapietreue bei Diabetes: Aktuelle Ergebnisse und Konzepte. Symposium der DDG-Kommission "Einbindung der Apotheker in die Diabetikerversorgung", 12. Mai 2010, Stuttgart.
Apotheker Ralf Schlenger