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Selbstmedikation – was die Zukunft bringt

POTSDAM (diz). Der Markt der Selbstmedikation wird, angetrieben durch die demografische Entwicklung, in Zukunft wachsen. Die Apotheke wird einen weiterhin starken Wettbewerbsdruck spüren, ausgelöst durch Versandapotheken und den Massmarket. Multinationale Hersteller werden den Markt mit starken Marken dominieren. Diese Prognosen stellte Dr. Frank Wartenberg, Geschäftsführer von IMS Health, in seinem Vortrag auf dem Wirtschaftsforum am 28. April in Potsdam. Die Frage, wie sich Apotheken im Wettbewerb positionieren sollen, blieb allerdings offen.


Inhaltsverzeichnis: "Wirtschaftsforum 2010"


"Der Alte Fritz" hatte ein strenges Auge auf das diesjährige DAV-Wirtschaftsforum in Potsdam.
Fotos: DAZ/diz

Während der Gesundheitsmarkt in Deutschland nur leicht wächst, legt der Versandhandel derzeit kräftig zu und hat bereits einen Anteil von neun bis zehn Prozent erreicht. Getrieben wird dieses Wachstum vor allem durch den demografischen Wandel. Immer mehr ältere Menschen bestellen heute bei Versandapotheken, nicht unbedingt und immer übers Internet, sondern auch per Katalog. Da die GKV mehr und mehr unter Druck gerät (steigende Ausgaben, sinkende Einnahmen), ist weniger Geld im System vorhanden. Die Patienten gehen dazu über, mehr selbst zu zahlen. So hat sich mittlerweile auch das Grüne Rezept, die arztgestützte Selbstmedikation, durchgesetzt.

Starke Marken, starke Hersteller

OTC-Marken werden stärker und internationaler, so Wartenberg, das wiederum fördert starke Lieferanten und möglicherweise einen Konzentrationsprozess der Hersteller. Ungefähr zehn Prozent aller Hersteller erwirtschaften heute schon rund 80 Prozent des Umsatzvolumens im OTC-Markt, im Kosmetikmarkt sogar schon 90 Prozent. Die Hälfte des OTC-Umsatzes machen Apotheken mit zehn Firmen. Dieser Konzentrationsprozess wird weiter zunehmen. In stärker liberalisierten Märkten wie Großbritannien und Schweiz ist diese Konzentration bereits höher.

Wirklich neue Ausbietungen wird es im OTC-Markt immer seltener geben. Zunehmen wird dagegen der Switch eines Produktes vom verschreibungspflichtigen zum OTC-Produkt. Jüngste Beispiele dafür sind Orlistat- und Pantoprazol-Präparate. Hersteller wählen hier zunehmend den Weg über eine europäische Zulassung, mit der sie dann mit einem Schlag mit dem neuen OTC-Präparat in allen europäischen Ländern auf den Markt kommen können.

Für Wachstum im OTC-Markt sorgen auch "line extensions": Ein Markenprodukt wird leicht verändert und kommt mit einem Namenszusatz auf den Markt (beispielsweise Nurofen und Nurofen express), eine Vorgehensweise, die, wie Wartenberg erklärte, vom Massmarket in den OTC-Markt übertragen wird.

Profilierung ist angesagt

Hersteller werden sich in Zukunft auf profilierte Apotheken konzentrieren. Schon heute zeichnet sich ab, dass etwa 40 Prozent der Apotheken rund 60 Prozent der OTC-Umsätze generieren, im Kosmetikmarkt erwirtschaften dies sogar nur 25 Prozent. Dies bedeutet, dass sich Apotheker mehr und mehr profilieren müssen.

Der Versandhandel ist in den letzten drei Jahren auf zehn Prozent gewachsen, vor allem mit OTC- und Gesundheitsmitteln. Schwerpunkte sind Herz-Kreislaufmittel, Tonika und Geriatrika.

Ein Blick in die Schweiz und Großbritannien zeigt, dass das Wachstum im OTC-Markt von den Ketten und Kooperationen getrieben wird, ausschlaggebend dafür sind eine gute Lage der Läden und gut platzierte starke Marken.

Preisliberalisierung geht weiter

In Deutschland versuchen Drogeriemärkte den Markt der Apothekenexklusivität aufzuweichen. Herstellern gefällt diese Entwicklung nicht, da dadurch die Wertigkeit der Produkte verloren geht. Beliefert werden die Drogeriemärkte aus grauen Kanälen, in aller Regel von Apotheken. Mit Vertriebsbindungsverträgen versuchen sich die Hersteller zu wehren und diese Abwanderung zu unterbinden.

Die Preisliberalisierung, so Wartenberg, wird im OTC-Bereich weitergehen. Die Schere zwischen dem unverbindlichen Apothekenverkaufspreis und dem effektiven Verkaufspreis, getrieben durch den Versandhandel, wird weiter auseinander gehen. Eine Vor-Ort-Apotheke wird hier nicht mithalten können. Deshalb: "Die Serviceleistung muss in der Apotheke immer besser sein – andere sind immer billiger."

Die Mitgliedschaft in einer Kooperation wird hier nicht viel helfen, auch wenn sich mittlerweile bereits drei Viertel aller Apotheken einer oder sogar mehreren Kooperationen angeschlossen hat. Untersuchungen zeigen, dass die Mitgliedschaft in einer Kooperation wenig Einfluss auf die OTC-Verkaufsquote hat. Wartenbergs Fazit dazu: Die bestehenden Kooperationen sind noch nicht ausgereift.

Dr. Frank Wartenberg: Apotheken müssen sich besser profilieren.

Selbstmedikation – was die Kunden wollen

Eine Podiumsdiskussion zum Thema "Selbstmedikation – was die Kunden wollen" versuchte das Thema OTC und Selbstmedikation zu vertiefen. Die Produkte sind das eine, so Mitdiskutant Professor Theo Dingermann, Goethe-Universität, aber für ihn steht in der Apotheke die Kommunikation im Mittelpunkt. Apotheker sollten sich noch mehr auf die Kunden konzentrieren und ihre Beratung verstärken: "Der Apotheker ist ein kommunikativer Beruf."

Diese Beratung sollte der Apotheker aber noch stärker in der Öffentlichkeit herausstellen, so Wartenberg: "Was nützt eine tolle Beratung und keiner merkt es?" Die Kunden orientieren sich auch an Marken, fügte er hinzu. Die Marke "Apotheke" sei heute noch undifferenziert. Der Apotheker müsse dafür sorgen, dass diese Marke stark bleibt.

Die Möglichkeit zur diskreten Beratung müsse ausgebaut werden, wünscht sich Mitdiskutantin Dr. Siiri Ann Doka von der BAG Selbsthilfe e.V.. Es sollte mehr Beratungsräume in Apotheken geben. Die "gute Beratung" sollte zur Marke Apotheke gehören.

Wartenberg hob auf Markenprodukte ab: Marken erzeugen eine Sog. Die Nachfrage der Kunden werde sich auf Marken konzentrieren, was im Prinzip nichts Schlechtes sei, wenn das Preis-Leistungsverhältnis stimme.

Wenn aber Produkte mit Methoden der Waschmittelhersteller in den OTC-Markt gedrückt werden, so Dingermann, dann sehe er darin eine Gefahr. Hier müsse der Apotheker verstärkt als Filter dienen und Selbstbewusstsein an den Tag legen. Der Apotheker solle mit rationalen Kriterien an die Auswahl von Marken herangehen. Dingermann schlug vor, in der Apotheke eine Art interne Arzneimittelkommission einzurichten, die nach rationalen Kriterien die Präparate auswählt, die in der jeweiligen Apotheke empfohlen werden: So wissen alle Apothekenmitarbeiterinnen und -mitarbeiter, auf welche Präparate man sich verständigt.

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