Arzneimittel und Therapie

Dabigatran zur oralen Antikoagulation

Dabigatran ist ein oraler Thrombozytenhemmer, der direkt in die Gerinnungskaskade eingreift. Unter dem Namen Pradaxa® ist er seit einem Jahr zur Primärprävention von venösen thromboembolischen Ereignissen nach Hüftoder Kniegelenkersatz-Operationen zugelassen. In Studien konnte der klinische Nutzen hinsichtlich Wirksamkeit und Sicherheit auch bei der Behandlung akuter venöser Thromboembolien und zur Schlaganfallprävention bei Vorhofflimmern nachgewiesen werden. Daher werden auch für diese Indikationen Zulassungen erwartet.
Vereinfachte Therapie. Die Behandlung mit dem oralen Antikoagulans Phenprocoumon (Marcumar®) erfordert eine regelmäßige Bestimmung der Blutgerinnung. Unter dem neuen oralen Antikoagulans Dabigatran ist das nicht mehr erforderlich.
Foto: DAZ/Alex Schelbert

Dabigatran ist ein oraler reversibler direkter Thrombininhibitor. Er entfaltet seine antithrombotischen Effekte, indem er spezifisch und selektiv die Aktivität sowohl von freiem als auch von im Gerinnsel gebundenem Thrombin hemmt. Thrombin ist das Schlüsselenzym für die Bildung von Blutgerinnseln (Thromben) und für die Umwandlung von Fibrinogen in Fibrin verantwortlich. Der neue Gerinnungshemmer wird als Prodrug (Dabigatranetexilat) eingesetzt und nach oraler Gabe rasch resorbiert und in seine aktive Form (Dabigatran) umgewandelt. Die Wirkung tritt schnell ein. Bei gesunden Probanden wurde die Spitzenplasmakonzentration innerhalb von zwei Stunden nach der Applikation erreicht. Die Halbwertszeit beträgt unabhängig von der Dosis 12 bis 14 Stunden. Die Ausscheidung erfolgt überwiegend renal (bis zu 85%).

Anwenderfreundliche Eigenschaften

Da Dabigatran nicht über das Cytochrom-P-450-System metabolisiert wird, hat es keinen Einfluss auf die Verstoffwechselung anderer Wirkstoffe über dieses Enzymsystem. Daher ist auch sein Potential für Wechselwirkungen mit anderen Arzneimitteln gering, zudem zeigt er keine Nahrungsmittelinteraktionen. Darüber hinaus weist der Wirkstoff ein vorhersagbares und zuverlässiges pharmakokinetisches Profil auf, so dass weder ein routinemäßiges Gerinnungsmonitoring noch eine Dosisanpassung notwendig ist.

All diese Eigenschaften machen den neuen Gerinnungshemmer einfach in der Anwendung. Die herkömmlich zur Behandlung akuter venöser Thromboembolien (VTE) sowie zur Schlaganfallprävention eingesetzten Antikoagulanzien haben dagegen zahlreiche Nachteile. Einige müssen injiziert werden (z. B. niedermolekulares Heparin), andere weisen Einschränkungen auf, die eine Einstellung der Blutgerinnungswerte auf den engen therapeutischen Bereich erschweren und die Anwendung in der klinischen Praxis komplex und umständlich machen (z. B. Vitamin-K-Antagonisten wie Warfarin oder Phenprocoumon): Langsames Einsetzen und Abklingen der Wirkung, Interaktion mit Nahrungsmitteln und Getränken, zahlreiche Wechselwirkungen mit Arzneimitteln, enger therapeutischer Bereich sowie Notwendigkeit regelmäßiger Laborkontrollen (INR-Wert-Bestimmung, INR = International Normalized Ratio) und Dosisanpassungen zur Beibehaltung des therapeutischen Bereichs.

Boehringer Ingelheim untersucht in dem umfangreichen Studienprogramm RE-VOLUTION™ mit mehr als 38.000 Patienten die Wirksamkeit und Sicherheit von Dabigatran im Vergleich zu aktuellen Standardtherapien. Im Rahmen des Studienprogramms werden unter anderem Studien zur akuten Behandlung venöser Thromboembolien (RE-COVER™-Studie) und zur Schlaganfall-Prävention bei Vorhofflimmern (RE-LY™-Studie) durchgeführt.

RE-COVER™-Studie

RE-COVER™ ist die am weitesten fortgeschrittene Studie zu einem oralen Gerinnungshemmer in der klinischen Entwicklung für die Behandlung akuter venöser Thromboembolien (VTE). Dabei handelt es sich um eine randomisierte, doppelblinde Phase-III-Studie, an der 2539 Patienten in 228 Prüfzentren in 29 Ländern teilnahmen. Alle Patienten erhielten als Standardtherapie entsprechend den aktuellen Leitlinien zur Behandlung von venösen Thromboembolien eine initiale Therapie über fünf bis zehn Tage mit einem parenteralen Antikoagulans (niedermolekulares oder unfraktioniertes Heparin) und wurden dann mit einem oralem Gerinnungshemmer weiterbehandelt. Dafür wurden die Patienten für eine Behandlung mit Dabigatran in einer fixen Dosierung von 150 mg zweimal täglich oder mit dosisangepasstem Warfarin (zur Beibehaltung einer INR von 2,0 bis 3,0) randomisiert. Diese Therapie wurde sechs Monate lang durchgeführt.

Der orale direkte Thrombininhibitor Dabigatran (150 mg zweimal täglich) zeigte eine Wirksamkeit in der Prävention rezidivierender venöser Thromboembolien, die mit einer gut eingestellten Warfarin-Therapie vergleichbar war (2,4% vs. 2,1% der Patienten). Hinsichtlich der Sicherheit zeigte Dabigatran bei schweren oder klinisch relevanten nicht-schweren Blutungen eine signifikante Reduktion um 37%. Die schweren Blutungen waren unter Dabigatran (20 Patienten, 1,6%) und Warfarin (24 Patienten, 1,9%) vergleichbar häufig. Bei den Blutungen jeglicher Art führte Dabigatran zu einer signifikanten Reduktion um 29% verglichen mit Warfarin. Diese positiven Ergebnisse wurden ohne jegliche Hinweise auf Leberprobleme erzielt.

RE-LY-Studie

Die randomisierte Phase-III-Studie RE-LY™-Studie ist mit 18.113 Patienten in mehr als 900 Prüfzentren in 44 Ländern die bisher größte Endpunktstudie zur Schlaganfallprävention bei Vorhofflimmern. Sie verglich Dabigatran mit Warfarin. Die Studie untersuchte, ob Dabigatran (in zwei verblindeten Dosierungen, zweimal täglich 110 mg sowie zweimal täglich 150 mg) Patienten mit Vorhofflimmern ebenso wirksam vor Schlaganfällen schützt wie gut kontrolliertes Warfarin (INR-Bereich von 2,0 – 3,0), das offen verabreicht wurde. Eingeschlossen wurden Patienten mit nicht-valvulärem Vorhofflimmern und mindestens einem weiteren wichtigen Risikofaktor für einen Schlaganfall. Die Patienten wurden im Durchschnitt zwei Jahre lang, mindestens jedoch ein Jahr lang beobachtet. Der primäre Endpunkt der Studie war die Inzidenz von Schlaganfällen (einschließlich hämorrhagischer Schlaganfälle) und systemischen Embolien. Die sekundären Endpunkte umfassten die Gesamtmortalität sowie die Inzidenz von Schlaganfällen, systemischen Embolien, Lungenembolien, akutem Myokardinfarkt und vaskulär bedingten Todesfällen.

Dosisabhängige Reduktion des Schlaganfallrisikos

Die Ergebnisse belegen bei Patienten mit Vorhofflimmern eine signifikante Reduktion des Risikos für Schlaganfälle und systemische Embolien um 34% durch Dabigatran in der Dosierung 150 mg zweimal täglich verglichen mit gut kontrolliertem Warfarin. Dabei wurde das Risiko für schwere Blutungen nicht erhöht. Unter der zweiten getesteten Dosierung von Dabigatran, 110 mg zweimal täglich, zeigte sich eine vergleichbare Reduktion des Risikos für Schlaganfälle und systemische Embolien wie unter gut kontrolliertem Warfarin. Die Rate von schweren Blutungen war dabei unter Dabigatran um 20% niedriger als unter Warfarin.

Die Ergebnisse zu den wichtigsten sekundären und weiteren Endpunkten zeigten, dass beide Dosierungen von Dabigatran (150 mg bzw. 110 mg zweimal täglich) zu einer Reduktion hämorrhagischer Schlaganfälle (RRR 74%, bzw. RRR 69%) im Vergleich zu Warfarin führten. Unter der höheren Dosierung (150 mg zweimal täglich) kam es zu einer Reduktion der vaskulären Mortalität (RRR 15%). Hinsichtlich der Sicherheitsendpunkte zeigten beide Dabigatran-Dosierungen eine überlegene Reduktion lebensbedrohlicher und intrakranieller Blutungen sowie der Blutungen insgesamt. Dabei wurde keine Lebertoxizität beobachtet.

Quelle Prof. Dr. Heyder Omran, Bonn; Dr. Hans-Martin Fritsche, Garmisch-Partenkirchen; Prof. Dr. Sebastian M. Schellong, Dresden; Prof. Dr. Harald Darius, Berlin: Satelliten-Symposium "Paradigmenwandel in der Antikoagulation? – Innovative Therapieansätze mit Dabigatranetexilat" im Rahmen der 54. Jahrestagung der Gesellschaft für Thrombose und Hämostaseforschung, Nürnberg, 26. Februar 2010, veranstaltet von Boehringer Ingelheim, Ingelheim am Rhein. 

 


Apothekerin Gode Meyer-Chlond

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DAZ 2009; Nr. 31, S. 42 - 79

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