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Zwangsabschläge, Preismoratorium, Zuzahlung

Peter Ditzel

Die Arbeit der Bundesregierung zur neuen Gesundheitsreform nimmt konkrete Formen an. Anfang der Woche haben die Gesundheitspolitiker der CDU/CSU- und FDP-Fraktionen kurzfristige Maßnahmen im Arzneimittelbereich beraten, nämlich eine Erhöhung der Zwangsabschläge und ein Preismoratorium für die pharmazeutische Industrie. Es soll, so die Beratungsergebnisse, darauf hinauslaufen, dass zeitlich befristet vom 1. August 2010 bis 31. Dezember 2013 der Abschlag für verschreibungspflichtige Arzneimittel (ohne Festbetrag) von 6 auf 16% angehoben werden soll (mit Ausnahmen für solche Arzneimittel, die dem Generikaabschlag unterliegen, und OTC-Arzneimittel zulasten der GKV). Gute dreieinhalb Jahre werden die Arzneimittel für die GKV günstiger. Außerdem hat man sich für den gleichen Zeitraum auf einen Preisstopp verständigt, Bezugspunkt soll der Preisstand am 1. August 2009 sein, für danach eingeführte Arzneimittel der Preis bei Einführung. Eine weitere Regelung soll verhindern, dass die Hersteller das Moratorium durch eine Änderung der Packungsgröße oder Wirkstärke umgehen können. 500 Millionen sollen allein durch diese Maßnahmen noch in diesem Jahr eingespart werden. Schön sind solche dirigistischen Maßnahmen für die Pharmaindustrie sicher nicht. Überhaupt bringen derartige Zwangsmaßnahmen letztendlich keine Verbesserungen im System, sondern sind nur rasch greifende Notoperationen. Aber wenn es ein Teilnehmer an unserem Gesundheitssystem relativ schmerzlos verkraften kann, dann die Pharmaindustrie – möchte man meinen. Für die großen Konzerne trifft dies sicher zu. Beim generikaproduzierenden Mittelstand sieht es schon anders aus. Er ist zum Teil bereits direkt oder indirekt durch Rabattverträge gebeutelt. Folgen dieser Politik zeigen sich bereits: Um Gewinne zu machen, wird gespart, wo es geht, beispielsweise beim Wirkstoffeinkauf. Wie viele Wirkstoffe kommen heute bereits aus Indien und China? Waren der Heparinskandal und der Clopidogrelrückruf nur der Anfang? Warten wir‘s ab.

Auf Neuregelungen beim Großhandelszuschlag und auf eine Verbesserung der Regeln zur Zytostatikaversorgung konnten sich die Koalitionspartner noch nicht verständigen – die Materie sei komplizierter. Da heißt es in Kürze: Genau hinsehen, denn bei einer Margenkürzung des Großhandels wären die Apotheken betroffen, der Großhandel könnte den Apotheken Rabatte in heutiger Größe nicht mehr gewähren. Das würde für viele Apotheken eine Existenzbedrohung bedeuten. Ist das Rösler bewusst?

Interessant dürfte die Ausgestaltung der Mehrkostenregelung werden, die ebenfalls noch aussteht. Gesundheitsminister Rösler favorisiert ein Modell, wonach Versicherte ein anderes als das Rabattpräparat ihrer Kasse wählen können und dafür Kostenerstattung im Rahmen einer Mehrkostenregelung erhalten. Zum Thema der Mehrkostenregelung hat sich in der vergangenen Woche Karl Lauterbach, seines Zeichens Sprecher der Arbeitsgruppe Gesundheit der SPD-Bundestagsfraktion, zu Wort gemeldet. Was er sich im Gespräch mit der Frankfurter Rundschau leistete, ist starker Tobak. Lauterbach unterstellt dort Ärzten und Apothekern, sich von der Pharmaindustrie kaufen zu lassen. Wie anders könnte man es interpretieren, wenn er meint, dass Ärzte und Apotheker von den Pharmaherstellern mit gut dotierten Verträgen zu "Patientenberatung" und "Anwendungsbeobachtungen" veranlasst würden, um den Patienten teure Präparate zu empfehlen, die die Kassen nicht voll ersetzten? Lauterbach: "Eine solche Regelung wäre selten dumm und ginge tatsächlich auf Kosten der Versicherten."

Derzeit ist es nicht erlaubt, dass ein Patient durch Aufzahlung sein Wunschpräparat erhalten kann, wenn er mit dem verordneten Billig-Rabattarzneimittel nicht klarkommt. Eigentlich ein Unding. Das versteht kein Kunde, kein Patient. Einen aus Kundensicht wirklich nachvollziehbaren Grund gibt es dafür eigentlich nicht. Da wäre der Vorstoß von Rösler, dass die Kunden durch Aufzahlung ihr Wunschpräparat bekommen können, nur mehr als sinnvoll: Die Therapietreue der Patienten würde steigen, da Nebenwirkungen und Verträglichkeit rapid abnehmen. Viele Patienten sind einfach an "ihr" Präparat gewohnt. Nur weil es einer Kasse einfällt, einen Rabattvertrag mal mit diesem oder jenem Hersteller abzuschließen, muss sich auch der Patient auf das Produkt des Herstellers, das andere Hilfsstoffe, eine andere Freisetzungsrate etc. haben kann, einstellen.

Wie das Modell der Mehrkostenregelung aussehen könnte, dürfte ebenfalls zum Bereich der komplizierteren Materie gehören. Denn: niemand außer den Kassen und den Herstellern weiß, wie teuer eigentlich das abgegebene Rabattarzneimittel letztlich ist. Die von den Herstellern an die Kassen gewährten Preisnachlässe sind geheim. Wie viel also müsste der Patient denn nun zuzahlen, wenn er von seinem verordneten Rabattarzneimittel auf sein Wunschpräparat wechseln will? Man darf gespannt sein, welche Regelung sich das Gesundheitsministerium dazu einfallen lässt. Aber es ist und bleibt unerträglich, wenn Lauterbach Apotheker und Ärzte von Anfang an unter Generalverdacht stellt.


Peter Ditzel

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