Feuilleton

Chelsea Physic Garden – ein Kleinod inmitten von London

Am 1. April hat der Chelsea Physic Garden für diese Saison wieder seine Pforten für das Publikum geöffnet. Nicht weit vom Sloane Square (U-Bahnstation) befindet sich der 1673 von Apothekern gegründete und damit älteste Arzneipflanzengarten Londons immer noch an seinem ursprünglichen Standort. Die Freunde des Gartens feiern in diesem Jahr den 350. Geburtstag von Sir Hans Sloane, dem größten Förderer des Gartens.
Sir Hans Sloane (1660 – 1753) war in den Anfangsjahren der wichtigste Förderer des Gartens.
Fotos: C. Schäfer

Um dem Nachwuchs eine wissenschaftlich-praktische Ausbildung in Botanik und Pharmakognosie zu ermöglichen, legte die Society of Apothecaries im Jahr 1673 in Chelsea, westlich von London, einen Garten der Medizin – "physic garden" – an. In ihm sollten einheimische und exotische Pflanzen wachsen, doch waren die Bemühungen, Pflanzen aus fremden Ländern anzusiedeln, in den Anfangsjahren noch wenig erfolgreich. Der Zugang zum Garten führte ursprünglich über eine Anlegestelle an der Themse, man konnte ihn also nur per Schiff erreichen. Heute ist die Themse einige Meter vom Garten entfernt; dazwischen liegen eine Straße und die Uferbefestigung. Nur ein großes Eingangstor erinnert noch an die einstige Anlegestelle.

Hans Sloane und Philip Miller

Hans Sloane, 1660 in Nordirland geboren, kam als 19-Jähriger nach London, um "chemist" zu werden. Auch er absolvierte einen großen Teil seiner Ausbildung in diesem Garten in Chelsea. 1687 begleitete er Christopher Monk, Duke of Albemarle, der zum britischen Gouverneur von Jamaika ernannt worden war, auf die karibische Insel und erforschte deren Flora. 1693 ließ Sloane sich in London als "physician" – Arzt – nieder. 1713 erwarb er ein an den "physic garden" angrenzendes, etwa 1,5 Hektar großes Grundstück und verpachtete es an die Apothekervereinigung unter der Bedingung, dass diese jedes Jahr der Royal Society 50 neu beschriebene Pflanzen für deren Herbarium liefert.

Aufgrund seiner Vermittlung leitete ab 1721 Philip Miller (1691 – 1771) den Apothekergarten und übte dieses Amt 50 Jahre lang bis zu seinem Tode aus. Miller verstand es hervorragend, die vielen neuen Pflanzen aus den unterschiedlichsten Regionen der Welt zu kultivieren. So gelang es ihm auch, Ananas zu züchten. Sein Expertentum spiegelt sich in dem von ihm verfassten "Gardeners Dictionary" wider, eines der wichtigsten Gartenbaubücher seiner Zeit, das viele Auflagen erlebte und auch ins Deutsche und Französische übersetzt wurde.

Neue Arzneidrogen: Chinarinde und Kakao

Sloane hat als einer der ersten Ärzte Chinarinde zur Behandlung der Malaria, die damals noch in Teilen Englands auftrat, eingesetzt. Weiterhin hat er eine Rezeptur für Milchschokolade entwickelt. Diese wurde zunächst als "Sir Hans Sloane’s Milk Chocolate" von Nicholas Sanders in Soho vertrieben, später dann von der Schokoladenfabrik Cadbury’s. Sowohl ein Chinarindenbaum als auch ein Kakaobaum befinden sich neben vielen anderen interessanten Gewächsen im kleinen, aber feinen Tropenhaus in Chelsea.

Botanisches System: Linné gegen Sloane

Der Garten in Chelsea war auch für Carl von Linné ein mehrfaches Reiseziel. Allerdings war er mit Sloane – und vielen anderen Botanikern – uneins über die Klassifizierung der Pflanzen. Nachdem Linné 1735 sein Sexualsystem, das primär auf der Anzahl und Stellung der Staubblätter beruht, vorgestellt hatte, publizierte er 1753, im Todesjahr Sloanes, seine "Species plantarum" mit der binären Nomenklatur; beides hat sich dann schnell durchgesetzt, auch in Chelsea.

Auch in den nachfolgenden Jahren fanden sich immer wieder fähige Gärtner und Kuratoren, die im Garten wirkten. So beispielsweise der Orchideenspezialist und Botanikprofessor John Lindley (1799 – 1865), der zahlreiche neue Arten im Gewächshaus ansiedelte. Robert Fortune (1812 – 1880), der jahrelang durch China reiste, entwickelte den Ward’schen Kasten, ein von Nathaniel Ward erfundenes Mini-Gewächshaus, weiter, um Pflanzen möglichst geschützt auf See- oder anderen langen Reisen transportieren zu können. Die Kästen sind aus Holz und haben ein steiles Satteldach aus Fensterglas. Auf diese Weise war es Fortune u. a. gelungen, Teepflanzen aus China nach Indien zu bringen und dort zu kultivieren – damit war der Grundstein für die indische Teeproduktion gelegt.

Luftverschmutzung sorgt für Gewächshaus

Ein weiterer Gärtner und Kurator, Thomas Moore (1821 –1887), richtete ein Farngewächshaus ein – Cool Fernery. Dieses Kalthaus wurde im Gegensatz zu den anderen Gewächshäusern nicht beheizt, es war aber notwendig, um die Pflanzen, insbesondere die sehr empfindlichen Farne, vor der massiv verschmutzten Luft im London des viktorianischen Zeitalters zu schützen. Moore galt zu seiner Zeit als der beste Farnkenner in England und Irland.

Die Society of Apothecaries gab den Garten Ende des 19. Jahrhunderts auf. Seither wird dieser von der Stadt unterhalten. Studenten nutzten die Einrichtung weiterhin als Ausbildungsstätte. Der Öffentlichkeit wurde der "secret garden", wie er auch heißt, erst 1983 zugänglich gemacht, nachdem kurz zuvor eine Stiftung zum Erhalt und zur allgemeinen Nutzung des Gartens gegründet worden war.


Dr. Constanze Schäfer

Informationen


Chelsea Physic Garden, 66 Royal Hospital Street, SW 3 London

www.chelseaphysicgarden.co.uk

U-Bahn Sloane Square, dann in die Lower Sloane Street, weiter in die Royal Hospital Road einbiegen (ca. 15 Minuten zu Fuß) oder zwei Stationen mit Bus 170 bis Flood Street.

Eingang Seitenstraße: Swan Walk

Geöffnet vom 1. 4. – 31. 10. Mittwoch bis Freitag 12 –17 Uhr, Sonntag 12 –18 Uhr

Laurustinus oder Lorbeer-Schneeball Blütenknospen, Blüten und Früchte von Viburnum tinus ‘Gwenllian‘.
Korsische Nieswurz

Helleborus argutifolius stammt aus Korsika und Sardinien.

Clianthus puniceus ‘Albus‘ Cremefarbene Sorte einer baumförmigen, in Neuseeland heimischen Fabacee.
Bergenia purpurascens – ein leuchtender Farbklecks im Frühjahr.
Insektenfalle Röhrenförmiges Laubblatt einer "fleischfressenden" Schlauchpflanze (Sarracenia).
Pracht-Himbeere Rubus spectabilis aus dem westlichen Nordamerika.
Transportkasten für Pflanzen

Solche Boxen kamen speziell für den Transport auf langen Seereisen zum Einsatz, weil die Pflanzen währenddessen nicht gewässert werden konnten und außerdem massiven Temperaturschwankungen unterworfen waren.

Sir Hans Sloane’s Milk Chocolate Diese Anzeige lobte ihre gute Verdaulichkeit und ihren Nutzen bei allen Formen von Auszehrung ("consumptive cases"), was sich insbesondere auf Tuberkulose und Krebserkrankungen bezogen haben dürfte.

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