Selbstmedikation

Falsche Versprechungen lassen keine Haare wachsen

Der anlagebedingte Haarausfall ist ein weit verbreitetes Phänomen. Dem Schwinden der Haarpracht kann mit wissenschaftlich gut dokumentierten Präparaten entgegengewirkt werden. Auf einer Konsensuskonferenz zur Behandlung der androgenetischen Alopezie haben Experten aus den Bereichen Dermatologie, Gynäkologie und Pharmazie kürzlich eine gemeinsame Stellungnahme verabschiedet, in welcher der äußerlich aufzutragenden Minoxidil-Lösung eine besondere Rolle zukommt. Zudem wird die notwendige Beratung des Apothekers hervorgehoben.
Wachstumszyklus eines Haares Ein Haar befindet sich zwei bis sechs Jahre lang in der Wachstumsphase und wächst im Monat rund einen Zentimeter. Durchschnittlich befinden sich 85 bis 90% aller Haare in dieser Phase. In einer anschließenden kurzen Übergangsphase von ein bis zwei Wochen wird die Haarwurzel umgebaut. In dieser Katagenphase hört das menschliche Haar auf zu wachsen, ca. 4% des menschlichen Haares befindet sich in dieser Phase. Danach folgt eine fünf- bis sechswöchige Ruhephase, in der das Haar von der Wurzel und somit auch von der Nährstoffversorgung getrennt ist. Das eigentliche Ausfallen der Haare beginnt erst mit dem Einsetzen des nächsten Wachstumszyklus, bei dem ein neuer Haarschaft gebildet wird.
Foto: Roche Deutschland GmbH

Von Haarausfall spricht man, wenn über einen längeren Zeitraum täglich mehr als 100 Haare ausgehen. Der anlagebedingte Haarausfall (androgenetische Alopezie) ist die häufigste Form, von der in Europa schätzungsweise jeder zweite Mann und jede zehnte Frau betroffen ist. Bei beiden Geschlechtern ist eine erbliche Veranlagung für den Verlust des Haupthaares ursächlich verantwortlich. Durch genetische Veränderungen am Androgenrezeptor kommt es bei normalen Mengen an männlichen Sexualhormonen zu einer verstärkten Wirkung der Androgene. Folge ist eine genetisch bedingte Überempfindlichkeit der Haarfollikel gegenüber Dihydrotestosteron (DHT), einem Metaboliten des Testosterons, was letztendlich zu einer zunehmenden Schrumpfung und schließlich zum Untergang von Kopfhaarfollikeln führt.

Geschlechterspezifisches Haarausfallmuster

Da der anlagebedingte Haarausfall nicht durch eines, sondern durch mehrere Gene vererbt wird (polygene Vererbung), ist nicht vorauszusagen, welchen Verlauf der Haarverlust im Laufe des Lebens nehmen wird. Er kann zeitweilig zum Stillstand kommen und dann wieder einen aktiven Schub durchlaufen. Welche Ausprägung im Einzelfall eintreten wird, hängt von der ererbten Veranlagung ab.

Allerdings unterschiedet sich das klinische Bild bei Männern und Frauen erheblich. Bei Männern sind zumeist als erstes Anzeichen das Zurücktreten der Haare an der Stirn und die Bildung von Geheimratsecken zu beobachten. Im weiteren Verlauf kommt es zur Lichtung der Haare im oberen Hinterkopf (Vertexbereich). Bei starker Ausprägung kann es schließlich zum völligen Verlust der Haare unter Belassung eines Haarkranzes am Hinterkopf kommen. Eine Einteilung der verschiedenen Entwicklungsstadien ist von Hamilton und von Norwood erarbeitet worden. Heute wird meist eine kombinierte Hamilton-Norwood-Klassifikation mit sieben Stadien verwendet. Anders als beim Mann beginnen sich bei der Frau die Haare zunächst im Scheitelbereich zu lichten, so dass der Scheitel immer breiter wird. Dies ist der Anfang eines fortschreitenden Prozesses mit meist schubweisem Verlauf: Phasen von aktivem Haarverlust wechseln ab mit Perioden, in denen sich der Haarausfall scheinbar normalisiert. Später werden die Haare auch am Oberkopf dünn. Kahle Stellen oder gar einen völligen Haarverlust gibt es bei Frauen praktisch nicht. Auch bleibt der Haaransatz an der Stirn erhalten. Das typische weibliche Haarlichtungsmuster wurde von dem Hamburger Dermatologen Ludwig beschrieben, bei dem drei Stadien unterschieden werden. Das Ludwig-Schema beschreibt einen eher diffusen Haarausfall um den Mittelscheitelbereich, bei dem die Haardichte im Bereich von Schläfen und Hinterkopf normal bleibt. Dieses Schema ist typisch für den androgenetischen Haarausfall bei Frauen, tritt aber auch bei etwa einem Fünftel der betroffenen Männer auf.

Ärztliche Verlaufskontrollen compliancefördernd

Die Diagnose eines anlagebedingten Haarausfalls wird meist durch das klinische Erscheinungsbild der Haarlichtung und mittels einer Trichogrammuntersuchung (Haarwurzeluntersuchung) gestellt. Dafür ist ein auf Haarausfall spezialisierter Arzt – im Regelfall ein Dermatologe – der richtige Ansprechpartner. Auf den Internetseiten www.haarerkrankungen.de und www.trichocare.de lassen sich derartige Spezialisten finden. Der Haarspezialist kann nicht nur die androgenetische Alopezie exakt diagnostizieren, sondern hat darüber hinaus die Möglichkeit, den Status Quo initial fotografisch festzuhalten und den Verlauf mittels regelmäßiger Kontrolluntersuchungen (Übersichtsfotografien, Fototrichogramm) objektiv zu dokumentieren. So kann der Betroffene Therapieerfolge gut beobachten und wird zum Weitermachen motiviert.

Wissenschaftlich gesicherte Therapieoptionen empfehlen

Für die Therapie der androgenetischen Alopezie stehen zum einen verschreibungspflichtige systemische Mittel zur Verfügung. Bei Männern kann der 5-alpha-Reduktase-Hemmer Finasterid vom Arzt verordnet werden. Zugelassen sind die 1-mg-Finasterid-Tabletten zur Behandlung früher Stadien des Haarausfalls bei Männern zwischen 18 und 41 Jahren. Eine Wirksamkeit beim bitemporalen Zurückweichen des Haaransatzes (,,Geheimratsecken‘‘) und beim Haarverlust im Endstadium ist nicht nachgewiesen. Allerdings muss Finasterid um das Fortschreiten des Haarausfalls aufzuhalten kontinuierlich eingenommen werden. Beim Absetzen fallen die Haare wieder aus. Bei Frauen wirkt Finasterid nicht und ist zudem wegen einer möglichen Fötenschädigung bei Frauen im gebärfähigen Alter kontraindiziert.

Bei Frauen können Hormonpräparate mit androgenwirksamen Gestagenen verordnet werden. Auch für diese Therapieoption liegen klinisch wissenschaftliche Daten zur Wirksamkeit vor.

Außerdem kann für die äußerliche Behandlung bei beiden Geschlechtern die wissenschaftlich gut dokumentierte rezeptfrei erhältliche Minoxidil-Lösung (Regaine®) eingesetzt werden. Diese steht für Männer in fünf- und für Frauen in zweiprozentiger Konzentration zur Verfügung.

Topische Minoxidil-Therapie

Das ursprünglich als orales Antihypertonikum entwickelte Minoxidil wirkt äußerlich aufgetragen durch eine Erweiterung der Kapillaren, Bildung von vascular endothelial growth factor (VEGF) und Öffnung ATP-abhängiger Kaliumkanäle, was zu einer Vergrößerung der Haarfollikel und Verlängerung der Wachstumsphase der Haare führt. Hierdurch kann ein Stopp des Haarverlustes sowie eine Umkehr des durch die androgenetische Alopezie eingesetzten Miniaturisierungsprozesses des Haarfollikels bewirkt werden. Damit die Minoxidil-Lösung ihre Wirksamkeit entfalten kann, muss die Lösung regelmäßig zweimal täglich (morgens und abends) auf die trockene Kopfhaut aufgetragen werden. Nach Applikation sollte mindestens vier Stunden gewartet werden, bevor Kopfhaut oder Haare angefeuchtet werden können.

Beratung in der Apotheke von hoher Bedeutung

Therapiepausen, die zum Voranschreiten der androgenetischen Alopezie führen, sind zu vermeiden. Das ist eine Botschaft, die bei der Beratung in der Apotheke an den Betroffenen weitergegeben werden muss. Nur eine regelmäßige Anwendung führt zur erwünschten Wirksamkeit. Zudem ist der Betroffene darüber zu informieren, dass mit den ersten Effekten frühestens nach einigen Monaten Minoxidil-Behandlung zu rechnen ist. Daher ist bei Männern eine Kontrolluntersuchung zur Beobachtung der Wirksamkeit erst nach acht Wochen und bei Frauen nach drei bis vier Monaten sinnvoll. Zudem sollten die Patienten über das Phänomen des "Sheddings" aufgeklärt werden. Darunter versteht man einen verstärkten Haarausfall in der Anfangsphase der Minoxidil-Therapie. Eine positive Vermittlung dieses Sachverhaltes mit den Worten "Daran erkennen Sie, dass das Mittel wirkt" verhindert, dass der Betroffene die Behandlung vorzeitig abbricht. Die Beratung sollte auch erwähnen, dass es im Laufe jahrelanger Therapie häufig irgendwann zusätzlich zu einem verstärkten diffusen Haarausfall kommt, der von dem anlagebedingten Haarausfall unabhängig ist und nicht als eine fehlende Wirksamkeit missverstanden werden darf.

Keine falschen Versprechungen

Um Enttäuschungen vorzubeugen, sollten grundsätzlich dem Betroffenen keine falschen Versprechungen gegeben werden. Das primäre Ziel bei der Behandlung ist, den Haarausfall zu stoppen und somit ein Voranschreiten der androgenetischen Alopezie zu verhindern. Dies ist mit einer Minoxidil-Behandlung bei 80% der Patienten möglich, wenn die Therapie bereits im Initialstadium begonnen wird. Eine Verdichtung des Haarkleides kann nicht so häufig erreicht werden.

Laufende Zusammenarbeit mit dem Arzt sinnvoll

Abschließend bleibt festzustellen, dass die Apotheke für viele Menschen mit Haarausfall eine wichtige Anlaufstelle ist. Doch selbst wenn eine androgenetische Alopezie von der PTA oder dem Apotheker eindeutig zu erkennen sein sollte, ist es in der Regel sinnvoll, den Betroffenen nicht sofort mit freiverkäuflichen Mitteln zu versorgen, sondern ihn vorab zu einem auf Haarausfall spezialisierten Arzt zu schicken, damit dieser vor Behandlungsbeginn die androgenetische Alopezie von anderen Formen des Haarausfalls eindeutig abgrenzt. Außerdem ist dem Betroffenen eine regelmäßige ärztliche Verlaufskontrolle anzuraten, damit Behandlungserfolge anschaulich dokumentiert werden können. Dieses Verfahren trägt im Allgemeinen zu einer erhöhten Patientencompliance bei und hilft somit, Therapieabbrüche zu verhindern. Da es sich bei der Behandlung des anlagebedingten Haarausfalls um eine lebenslange Dauertherapie handelt, ist es wichtig, den Betroffenen in seiner Therapietreue zu unterstützen.

Quelle Prof. Dr. Hans Wolff, München, Dr. Christian Kunte, München und Dr. Uwe Schwichtenberg, Bremen: Seminar "Interdisziplinäres Management der androgenetischen Alopezie" anlässlich der 14. Jahrestagung der GD – Gesellschaft für Dermopharmazie e. V., Berlin, 24. März 2010, veranstaltet von der Johnson & Johnson GmbH, Neuss.

 


Apothekerin Gode Meyer-Chlond

Ökotest: Belege für Wirksamkeit und Nutzen gesucht


Auch Öko-Test hat sich in seiner Aprilausgabe mit dem Thema Haarausfall beschäftigt und kann an der Mehrzahl der Produkte "kein gutes Haar lassen". Von den Arzneimitteln schneiden lediglich die Finasterid-haltigen, nur zur Anwendung bei Männern zugelassenen, rezeptpflichtigen Präparate mit "gut" ab. Die Nutzenbelege aller Nicht-Arzneimittel reichten nach Ansicht von Öko-Test hingegen nicht aus, um eine Anwendung bei Haarausfall zu rechtfertigen.

In Apotheken und Drogerien hat Öko-Test insgesamt 30 Mittel eingekauft, die auf das Problem Haarausfall abzielen: neun rezeptpflichtige und fünf nicht-verschreibungspflichtige Arzneimittel, ein Nahrungsergänzungsmittel, eine ergänzend bilanzierte Diät und 14 Kosmetika. Für alle Produkte wurde nach Wirksamkeits- beziehungsweise Nutzenbelegen gesucht.

Äußerlich anzuwendende Präparate hat Öko-Test auch auf umstrittene und bedenkliche Inhaltsstoffe untersuchen lassen.

Von den Arzneimitteln schneiden lediglich die Finasterid-haltigen, nur für Männer zugelassenen rezeptpflichtigen Präparate mit "gut" ab: Die Wirksamkeitsdaten für Finasterid (Propecia® und Generika) stuft Öko-Test als überzeugend ein.

Die Wirksamkeit von Minoxidil in den beiden nicht-verschreibungspflichtigen Regaine® -Präparaten wertet Öko-Test als "gut" belegt.

Für die Lösungen Ell-Cranell® alpha und Pantostin® mit dem Wirkstoff Alfatradiol wertet Öko-Test die Wirksamkeitsbelege als nur wenig überzeugend. Zwar war in einer Studie eine Zunahme des Anteils der Haare in der Wachstumsphase zu verzeichnen, mangels Übersichtsfotografien blieb jedoch ungeklärt, ob der Haarausfall damit gestoppt war. In einer Vergleichsstudie mit Minoxidil wirkte Alfatradiol aber einem beschleunigten Haarausfall entgegen.

Die verschreibungspflichtigen Cortisonabkömmlinge Flupredniden-21-acetat (Crinohermal® Fem, Lösung) und Prednisolon (Alpicort® F, Lösung) wirken zwar gegen Entzündungen der Kopfhaut. Einen positiven Effekt auf das Haarwachstum sieht Öko-Test jedoch als nicht belegt an, auch nicht in Kombination mit Estradiolbenzoat bzw. Estradiol und Salicylsäure.

Auch die Wirksamkeit von Pantovigar® Hartkapseln erachtete Öko-Test als nicht ausreichend belegt. Die Mischung aus B-Vitaminen, Trockenhefe, der Aminosäure Cystin und dem Protein Keratin soll als mild wirkendes Arzneimittel bei diffusem Haarausfall und brüchigen Fingernägeln helfen.

Kosmetische Mittel versprechen mit verschiedenen Inhaltsstoffen neuen Haarwuchs zu aktivieren, den Haarausfall einzudämmen oder ihm vorzubeugen, die Haarwurzel zu stärken, zu schützen oder ihren Energieumsatz zu erhöhen. Hinweise auf mögliche positive Effekte einzelner Inhaltsstoffe mögen zwar plausibel erscheinen, Daten aus konkreten produktbezogenen Studien, die die beanspruchte Wirksamkeit belegen, fehlen jedoch.

Auch für Nahrungsergänzungsmittel oder ergänzende bilanzierte Diäten, die mit ihren Inhaltsstoffen "die Haarwurzel stärken und Haarausfall verlangsamen wollen", findet Öko-Test keine publizierten Daten, die diesen Anspruch rechtfertigen würden.

Quelle: Mittel gegen Haarausfall - Kahlauer. Öko-Test April 2010.

ck

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