Arzneimittel und Therapie

Chemotherapie des alten Tumorpatienten

Unter Berücksichtigung altersabhängiger Besonderheiten können auch alte Tumorpatienten von einer zytotoxischen Behandlung profitieren. Grundlage für die Therapieentscheidung sind ein geriatrisches Assessment und entsprechend adaptierte Behandlungsprotokolle.

Aufgrund des demografischen Wandels werden immer mehr ältere Menschen ein Krebsleiden entwickeln. Legt man die epidemiologischen Daten von 2004 zugrunde, so waren zu diesem Zeitpunkt bereits mehr als 62% aller Tumorpatienten älter als 65 Jahre. Bei zunehmender Lebenserwartung wird sich dieser Anteil in Zukunft noch erhöhen. Bei der Überlegung, ob ein alter Krebspatient adjuvant behandelt werden soll, ist immer die altersbezogene Lebenserwartung zu berücksichtigen. Sie beträgt bereits heute bei Frauen im Alter von 65 Jahren weitere 20 Jahre, im Alter von 80 Jahren zusätzliche neun Jahre; bei 65-jährigen Männern sind es zusätzliche 17 Jahre, bei 80-jährigen Männern weitere acht Jahre. Diese Zahlen werden aufgrund der steigenden Lebensqualität und Fortschritten in der medizinischen Versorgung ebenfalls anwachsen.

Geriatrisches Assessment

Vor einer Therapieentscheidung steht die Frage, ob der Patient mit oder an seiner Tumorerkrankung sterben wird und in welchem Verhältnis Toxizitäten und Nutzen einer Therapie stehen. Bei der Einschätzung, ob ein geriatrischer Tumorpatient von einer Behandlung profitiert, müssen mögliche Komorbiditäten, das biologische Alter des Betroffenen sowie dessen soziales und ökonomisches Umfeld berücksichtigt werden. Ferner muss zwischen fitten alten und nicht fitten alten Patienten unterschieden werden. Zu diesem Zweck wird mithilfe verschiedener Skalen (ADL-Score, Barthel-Index, Mini Mental State Examination, Geriatrische Depressionsskala) ein geriatrisches Assessment erstellt. Diese Differenzierung wird derzeit noch zu selten vorgenommen, wie auch ältere Tumorpatienten bei Vorsorgeuntersuchungen unterrepräsentiert sind. Ein weiteres Anliegen der geriatrischen Onkologie sind Studien für ältere Patienten und bei Bedarf die Behandlung in speziellen Zentren.

Derzeitige Situation

Ein großer Anteil aller Brustkrebspatientinnen ist beim Zeitpunkt der Diagnose über 65 Jahre alt, die geschätzte altersbezogene Lebenserwartung liegt je nach Komorbidität zwischen neun und 20 Jahren. Trotzdem erhalten nicht alle Patientinnen eine adäquate Therapie. Einer amerikanischen Studie zufolge erhalten nur knapp 20% aller Betroffenen mit hohem Rezidivrisiko überhaupt eine Chemotherapie. Eine ähnliche Unterversorgung zeigt sich beim Einsatz zielgerichteter Substanzen wie etwa Trastuzumab (Herceptin®) oder Bevacizumab (Avastin®), die auch beim alten Patienten mit Erfolg eingesetzt werden können.

Auch beim kolorektalen Karzinom werden alte Patienten häufig nicht adäquat versorgt. Sie nehmen seltener an Screening-Untersuchungen teil, werden weniger häufig operiert und seltener zytotoxisch therapiert, obwohl der alte Patient von einer Chemotherapie profitiert, wenn seine geschätzte Lebenserwartung mehr als drei Jahre beträgt. Adaptierte Behandlungsprotokolle sind bereits in die aktuelle S3-Leitlinie aufgenommen. So sollte bei über 70-Jährigen das relativ neurotoxische Oxaliplatin nur noch nach strenger Abwägung eingesetzt werden und statt infusionalem 5-Fluorouracil ist das oral einzunehmende Fluoropyrimidin Capecitabin (Xeloda®) zu bevorzugen. Die zusätzliche Gabe von Bevacizumab zeigt beim älteren Patienten ähnliche Vorteile wie beim jüngeren.

Erkranken ältere Patienten an einem Bronchialkarzinom, so profitieren sie eher von einer Chemotherapie als von best supportive care. Aufgrund ihrer häufig bestehenden Komorbiditäten werden weniger Platin-basierte Regime eingesetzt, fitte Patienten können aber auch ein standardmäßiges, ihrer Nierenfunktion angepasstes Therapieregime erhalten. Der Benefit von Bevacizumab scheint für über und unter 65-Jährige der gleiche zu sein.

Für alte Lymphompatienten gibt es derzeit keine klaren Therapievorgaben. Von einer watch-and-wait-Strategie ist abzuraten, da Lymphome im Alter mit einem abnehmenden Gesamtüberleben einhergehen. Für den fitten Patienten wird derzeit eine Standardtherapie (CHOP-Protokoll mit Cyclophosphamid, Doxorubicin, Vincristin und Prednisolon; bei B-Zell-Lymphomen zusätzlich Rituximab) empfohlen; die Gabe von Wachstumsfaktoren (G-CSF-Support) ist dabei zwingend notwendig.

Fazit

  • Alte Tumorpatienten sind im Hinblick auf Vorsorge, Studienteilnahme und Therapie unterversorgt.
  • Alte Tumorpatienten profitieren von einer, ihrem biologischen Alter und bestehenden Komorbiditäten angepassten Chemotherapie.
  • Auch alte Tumorpatienten können von Neuerungen wie etwa zielgerichteten Substanzen profitieren.
  • Vor der Behandlung ist ein geriatrisches Assessment zu erstellen.

Quelle Priv.-Doz. Dr. Ulrich Wedding, Jena; Priv.-Doz. Dr. Arnd Hönig, Würzburg; Priv.-Doz. Dr. Volker Heinemann, München; Priv.-Doz. Dr. Wolfgang Schütte, Halle; Dr. Valentin Goede, Köln: "Therapie des alten Tumorpatienten: tägliche Herausforderung auf dünner Datenbasis?" beim 29. Deutschen Krebskongress, Berlin, 26. Februar 2010 veranstaltet von der Roche Pharma AG, Grenzach-Wyhlen. 

 


Apothekerin Dr. Petra Jungmayr

Die häufigsten Krebserkrankungen im Alter


Anteil einiger Tumorentitäten bei 65-jährigen und älteren Patienten (Neudiagnosen)

  • Lungenkrebs: 14% der Männer, 6% der Frauen
  • Darmkrebs: 22% der Frauen, 17% der Männer
  • Brustkrebs: 20% der Frauen
  • Prostatakrebs: 28% der Männer

[Quelle: Beiträge zur Gesundheitsberichterstattung des Bundes: Gesundheit und Krankheit im Alter, Robert Koch-Institut, Berlin 2009].

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