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Preisunterschiede machen Kassenkunden wieder mobil

BERLIN (lk). Über 400.000 Mitglieder haben in den letzten Tagen und Wochen ihrer gesetzlichen Krankenkasse den Rücken gekehrt. Die Erhebung von Zusatzbeiträgen hat eine regelrechte Wechselkarawane in Bewegung gesetzt. Eine "Abstimmung mit den Füßen" gab es schon vor der Einführung des Gesundheitsfonds, als die Beitragsunterschiede noch größer waren als heute.
Lohnt sich ein Wechsel der Krankenkasse? Vor einem Kassenwechsel kann sich der Versicherte im Internet über Kassentarife und -leistungen informieren.

Torsten Leidloff hat endlich wieder viel Arbeit. Der Betreiber des Internetportals www.krankenkasseninfo.de, spezialisiert auf den Vergleich von Kassentarifen, kann sich seit der Ankündigung der Erhebung von Zusatzbeiträgen vor Anfragen kaum mehr retten. Von Januar auf Februar hat sich die Klick-Zahl seiner Internetseiten von 500.000 auf über eine Million verdoppelt. "Das Intereresse an den Kassentarifen ist wieder so groß wie vor Einführung des Einheitsbeitrages", bringt Leidloff die Entwicklung der letzten Wochen auf den Punkt.

Überhaupt nichts Sensationelles findet daher auch Florian Lanz, Sprecher des GKV-Spitzenverbandes, an der neuen Mobilität: "Ein Jahr war es relativ ruhig, nun zeigt sich die Wirkung des Preiswettbewerbs." In der Tat. Denn vor Einführung des Gesundheitsfonds mit dem Einheitsbeitrag gab es jahrelang erhebliche Wechselströme zwischen den Krankenkassen und Krankenkassenarten. Vor allem die Betriebskrankenkassen profitierten vom harten Preiskampf angesichts regelmäßig steigender Beiträge. Rund eine Million neue Mitglieder pilgerten in wenigen Jahren dorthin.

Seit Januar 2010 zahlen alle gesetzlich Versicherten gleichviel, zunächst 15,5, später 14,9 Prozent – somit gab es kaum Anreize, Leidloffs Portal zu besuchen. Sparen ließ sich ja nichts. "Und die Leistungen der einzelnen Krankenkassen zu vergleichen, war vielen Kunden schlichtweg zu mühsam", sagt Leidloff.

Das hat sich gewaltig geändert: Elf Krankenkassen erheben inzwischen extra Beiträge von ihren Mitgliedern. Ab dem 1. April verlangt mit der City BKK die zwölfte Kasse eine Extra-Zahlung von acht Euro im Monat. Bei zwei weiteren Kassen prüft das Bundesversicherungsamt noch. Bislang gibt es aber nur gerade einmal drei Krankenkassen, die von der Möglichkeit Gebrauch machen, Geld an ihre Kunden auszuschütten. Wer von der einen in die andere Kasse wechselt, kann nun im Idealfall mehr als 500 Euro im Jahr sparen.

Besonders hart trifft die zusätzliche Abgabe derzeit die Versicherten bei der "BKK für Heilberufe" und bei der "Gemeinsame BKK Köln". Denn bei diesen beiden Kassen richtet sich die Höhe des zusätzlichen Obolus nach der Höhe des Verdiensts. Ein Prozent kassiert die Kasse. Für Besserverdiener, die monatlich 3750 Euro oder mehr verdienen, summiert sich die extra Abgabe somit auf 450 Euro im Jahr. Wenn die Betroffenen ihrer Krankenkasse den Rücken kehren und beispielsweise in die "hkk" wechseln, sparen sie 510 Euro im Jahr. Denn die bundesweit geöffnete "hkk" überweist ihren Kunden 60 Euro im Jahr. Die "BKK Alp" plus schüttet mindestens 50 Euro aus. Sogar 70 Euro sind es bei Mitgliedern, die den Höchstbeitrag zahlen. "Viele Versicherte, deren Kassen Zusatzbeiträge erheben, suchen nach Alternativen", sagt Leidloff.

Trotz der explosionsartig gestiegenen Zahl von abwandernden Versicherten stehen vom Mitgliederschwund betroffene gesetzliche Krankenkassen aber keineswegs vor der Insolvenz. Das Bundesversicherungsamt hat entsprechende Spekulationen zurückgewiesen. Zwar sei es seit der jüngsten Gesundheitsreform rein formal möglich, dass auch Krankenkassen Insolvenz anmelden müssten. "Doch das wäre das allerletzte Mittel", sagte eine Sprecherin des Bundesversicherungsamts. "Bevor das passiert, würden die Kassen gezwungen, mit anderen Anbietern zu fusionieren."

Versicherte müssten sich in diesem Fall überhaupt keine Sorgen machen. "In Deutschland gibt es eine Versicherungspflicht. Zur Not müssten andere Kassen einspringen", erklärte ergänzend Rotraud Mahlo, Rechtsberaterin bei der Verbraucherzentrale Niedersachsen. Verbraucher, die dann mit ihrer neuen Kasse nicht zufrieden seien, könnten spätestens nach 18 Monaten die Mitgliedschaft kündigen. Ein Sonderkündigungsrecht gibt es bei Kassenfusionen nicht. Doch die Zeit, die der Kunde bereits in der alten Kasse verbracht hat, wird angerechnet, sodass ein Wechsel – falls gewünscht – schnell möglich ist.

Seit der Erhebung von Zusatzbeiträgen durch inzwischen elf gesetzliche Krankenversicherer ist ein regelrechter Wechselboom eingetreten. Über 400.000 Mitglieder kehrten ihrer bisherigen Kasse den Rücken. Genaue Gesamtzahlen liegen nicht vor. Hinweise auf die Dimensionen liefern aber Krankenkassen, die besonders von der Entwicklung profitieren. So geht der AOK-Bundesverband von mehr als 150.000 Zugängen für die Ortskrankenkassen aus. Die Barmer-GEK verzeichnete im 1. Quartal 113.000 Aufnahmeanträge, die Techniker Krankenkasse (TK) freut sich über 151.000 zusätzliche Beitragszahler.

Nach Ansicht des SPD-Gesundheitsexperten Karl Lauterbach wird sich der Trend noch beschleunigen. "Die Kassen, die heute noch den Pauschal-Zusatzbeitrag von acht Euro erheben, werden auch wegen des Mitgliederverlusts damit nicht auskommen. Sie werden dann auch ein Prozent des beitragspflichtigen Einkommens verlangen, also bis zu 37,50 Euro monatlich. Das wird Gutverdiener erst recht zum Wechsel veranlassen", prognostiziert der gesundheitspolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion. "Es ist nicht dramatisch, wenn Kassen mit schlechtem Management vom Markt verschwinden, aber unerträglich ist es, wenn sie insolvent gehen, weil sie die gesunden Gutverdiener verlieren."

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