Kongress

Kontroverse um HPV-Impfung

Die Impfung gegen Humane Papilloma-Viren zur Vermeidung von Gebärmutterhalskrebs wird weiterhin kontrovers diskutiert. Auf dem Kongress stellten zwei Wissenschaftler ihre unterschiedlichen Positionen dar. Prof. Dr. Lutz Gissmann, Heidelberg, stammt aus dem Arbeitskreis des Nobelpreisträgers Prof. Harald zur Hausen und hat maßgeblich an der Entwicklung der Impfung mitgewirkt. Prof. Dr. Ingrid Mühlhauser, Hamburg, hat erst kürzlich gemeinsam mit anderen Wissenschaftlern ein Statement gegen den breiten Einsatz der Impfung unterzeichnet.

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Gissmann beschrieb das Zervixkarzinom als späte und seltene Folge der häufigen Infektion mit Humanen Papilloma-Viren (HPV). Während 60 bis 80 Prozent aller Frauen infiziert sind, erkranken nur 1 bis 4 Prozent. Die Persistenz des Virus ist eine Voraussetzung für die Entwicklung des Karzinoms, aber die Trigger für die maligne Transformation sind unbekannt. HP-Viren gelten zudem als Auslöser für Karzinome der Vulva, des Penis, für viele Tumoren des Hals-Nasen-Ohren-Traktes und möglicherweise für Lungenkarzinome. Der Impfstoff Cervarix® richtet sich gegen die Hochrisikotypen HPV 16 und 18, der Impfstoff Gardasil® zusätzlich gegen die Typen 6 und 11.

Konzept des Impfstoffes

Der Impfstoff besteht aus nicht infektiösen virus-like particles mit jeweils 360 immunogenen Proteinfragmenten. Die natürliche Infektion schützt nur partiell gegen die Reinfektion mit dem gleichen Virustyp. Dennoch ist eine Impfung mit guter Schutzwirkung möglich. Denn der Impfstoff enthält größere Antigenmengen und Adjuvanzien, außerdem wird die Impfung systemisch verabreicht. Bei der natürlichen, lokal begrenzten Infektion im Epithel unterdrücken die Viren das Immunsystem aktiv. Doch wirkt dieser Abwehrmechanismus nicht bei der systemischen Impfung, sodass dabei neutralisierende Antikörper entstehen können. Die Schutzwirkung korreliert mit dem Titer dieser Antikörper.

Nach Einschätzung von Gissmann liefern die bisherigen Daten keine Hinweise auf ernsthafte unerwünschte Wirkungen der Impfung. In amerikanischen Nebenwirkungsregistern seien unerwünschte Effekte nicht häufiger als in der nicht geimpften Bevölkerung. Der Schutz wirke nach bisherigen Erkenntnissen mindestens acht Jahre lang, längere Beobachtungen stehen aus. Gissmann sieht zudem Hinweise auf eine Kreuzprotektion zu anderen Virustypen, aber klare Daten dazu fehlen bisher. Häufig wird argumentiert, die Impfung gegen einzelne Typen des HP-Virus könne diese Typen zurückdrängen, sodass andere Typen die Lücke füllen ("Replacement") und stärker pathogen werden. Diese Befürchtung teilt Gissmann jedoch nicht, denn die HP-Viren sind sehr stabil. Sie würden sich weltweit fast nicht unterscheiden und sollten sich daher nicht schnell in ihren Eigenschaften verändern.

Schutzwirkung

Die Daten zur Schutzwirkung bzw. zur Vermeidung von Zervixkarzinomen unterscheiden sich je nach statistischer Betrachtungsweise erheblich und sind daher schwer zu bewerten. Voraussichtlich wird der Nutzen bei längeren Betrachtungen zunehmen, da die Karzinome zumeist erst nach langer Latenz ausbrechen. Wie bei jeder Impfung ist der größte Nutzen zu erwarten, wenn nicht Infizierte geimpft werden. Da die HP-Viren vorzugsweise durch Geschlechtsverkehr übertragen werden, gelten Mädchen zu Beginn der Pubertät als ideale Zielgruppe. Nach Einschätzung von Gissmann muss der Impfstoff weiter entwickelt werden, damit auch für die Dritte Welt eine bezahlbare und nicht kühlpflichtige Impfung verfügbar wird. Dafür biete sich statt der virus-like particles ein Agglomerat von jeweils nur fünf Proteinfragmenten an, das sogar gefriergetrocknet werden könnte.

Kritische Sicht der Daten …

Nach Einschätzung von Mühlhauser geht die bisherige Bewertung der HPV-Impfung von unrealistischen Annahmen aus. Die Stiko habe 2007 für ihre Impfempfehlung eine Impfeffektivität von 92,5 Prozent und eine Durchimpfungsrate von 70 Prozent angenommen. Mit neueren Daten zur Impfeffektivität habe die Impfempfehlung 2009 nur unter der unrealistischen Annahme einer hundertprozentigen Durchimpfung aufrechterhalten werden können. Auch die Dauer des Impfschutzes sei unklar. Falls im weiteren Lebensverlauf eine Nachimpfung nötig sein sollte, würde sich auch die Kosten-Nutzen-Bewertung der Impfung verändern. In den Niederlanden werde die Impfung auf der Grundlage der bisherigen Daten als nicht kosteneffektiv eingestuft, obwohl der Impfstoff dort billiger als in Deutschland ist.

… und kritische Sicht der Vorsorgestrategie

Zudem bedauerte Mühlhauser, dass die Impfung zusätzlich zum bisherigen Screening durchgeführt werden muss. Das Screening sei aber in Deutschland nicht qualitätsgesichert, die Daten würden nicht systematisch ausgewertet. Die Frauen würden zu oft und zu früh untersucht. Das Screening beginne in Deutschland mit 20 Jahren, in vielen anderen Ländern mit 30 Jahren. So würden zu viele verdächtige Befunde erzeugt und zu viele Frauen durch Operationen ohne hinreichende histologische Abklärung belastet und durch die Entnahme von Zervixgewebe geschädigt. Diese Manipulationen würden das Frühgeburtsrisiko erhöhen. Angesichts der relativen Seltenheit des Karzinoms sei der Schaden durch das nicht hinreichend qualitätsgesicherte Screening beträchtlich.

Mühlhauser plädiert daher für seltenere Früherkennungsuntersuchungen und wünscht sich eine Impfung, die das Screening überflüssig machen würde.




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Prof. Dr. Walter Raasch, Lübeck – der Moderator.

Fortbildung in Damp: mit bewährtem Konzept


Das Programm des Kongresses auf dem Schleswig-Holsteinischen Apothekertag setzte das Konzept der jährlichen Frühjahrskongresse der Apothekerkammer Schleswig-Holstein im Ostseebad Damp fort und wurde wieder von Prof. Dr. Walter Raasch, Lübeck, zusammengestellt und moderiert. Bereits 2008 ging es in Damp um das Thema "Gender Medicine". Dabei wurden unterschiedliche Arzneimittelwirkungen und Krankheitsverläufe bei Frauen und Männern betrachtet. In diesem Jahr wurden nun Krankheiten angesprochen, die spezifisch für das jeweilige Geschlecht sind. Für 2011 stehen Atemwegserkrankungen auf dem Programm.








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