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Koalition einigt sich auf Eckpunkte

BERLIN (ks). Während die Regierungskoalition bei der künftigen Finanzierung der GKV noch um eine gemeinsame Linie ringt, ist sie sich bei den im Koalitionsvertrag angekündigten Änderungen in der Arzneimittelversorgung bereits über Eckpunkte einig. Bundesgesundheitsminister Philipp Rösler (FDP) und Vertreter der Fraktionen von Union und FDP präsentierten am 26. März die Ergebnisse ihrer Verhandlungen.
Es ist geschafft, die Eckpunkte zur Arzneimittelversorgung liegen vor. Hier bei der Bekanntgabe (v. l.): Johannes Singhammer, Jens Spahn, Philipp Rösler, Ulrike Flach und Heinz Lanfermann.
Foto: Sket

Hersteller und Krankenkassen sollen künftig aufgrund einer Nutzenbewertung über Rabatte auf patentgeschützte Arzneimittel verhandeln, die Rabattverträge im Generikamarkt bleiben erhalten, werden aber weiterentwickelt und die Großhandelsvergütung wird umgestellt. Bereits ab August soll auf Arzneimittel ohne Festbetrag ein erhöhter Herstellerabschlag gelten, verbunden mit einem Preismoratorium.

Noch sind es Eckpunkte – doch die Koalitionäre zeigten sich Ende vergangener Woche sehr zufrieden mit dem Erreichten. "Erstmals können die Pharmaunternehmen nicht mehr einseitig die Preise bestimmen", erklärte Rösler. Man sei sich der Verantwortung für Arbeitsplätze in der Industrie bewusst gewesen und habe letztlich eine Balance gefunden zwischen Innovationsfähigkeit und Bezahlbarkeit. Johannes Singhammer (CSU) betonte, dass die Koalition Handlungsfähigkeit bewiesen habe. Der gesundheitspolitische Sprecher der Union, Jens Spahn (CDU) sprach von einer "fast historischen, zumindest fast revolutionären Entscheidung". Seine FDP-Kollegin Ulrike Flach sieht den Systemwechsel ebenfalls geschafft: Weg von reiner Kostendämpfung, hin zu strukturellen Reformen. Sie betonte, dass der innovative Bereich durch die Regelungen nicht beschädigt werde: "Damit kann die Industrie leben".

Kurzfristige Sparmaßnahmen

Bevor die neuen Zeiten für die Preisbildung beginnen, geht es allerdings doch nicht ganz ohne Kostendämpfung. Möglichst ab August soll der Herstellerrabatt auf neue Arzneimittel von sechs auf 16 Prozent erhöht werden. Dieser kann durch Verträge abgelöst werden, wenn sie einen Rabatt in mindestens gleicher Höhe vorsehen. Zugleich sollen die Arzneimittelpreise bis Ende 2013 auf dem Niveau vom 1. August 2009 eingefroren werden. Allein mit diesen Maßnahmen lassen sich Rösler zufolge 100 bis 120 Mio. Euro monatlich sparen. Die gesetzlichen Kassen könnten damit bereits 2010 um mindestens 500 Mio. Euro entlastet werden. Es wird erwartet, dass die Koalitionsfraktionen noch im April einen entsprechenden Gesetzentwurf in den Bundestag einbringen werden.

Pick-up-Stellen unterbinden

Bei allen anderen vorgesehenen Maßnahmen wird das Bundesgesundheitsministerium noch feilen müssen, ehe sie in einen ersten Referentenentwurf fließen können. Ein für Apotheken wichtigster Punkt ist die Bekräftigung, dass Pick-up-Stellen für Arzneimittel unterbunden werden sollen. Gerade hier gibt es noch keine konkreteren Ausführungen – obwohl die Frage, ob ein solches Verbot überhaupt möglich ist, keinesfalls unumstritten ist. Doch die Apotheken sind nicht nur Nutznießer der Reform: Über die geplante Umstellung der Großhandelsvergütung auf einen preisunabhängigen Fixzuschlag und einen prozentualen Zuschlag sollen die "Funktionsrabatte an Apotheken berücksichtigt" werden. Wie stark man bei diesen Rabatten für die Apotheken abschöpfen wird, will man im Ministerium noch nicht beziffern. Die ins Spiel gebrachten Beträge von mehreren 100 Mio. Euro hält man nicht zwingend für realistisch. Seit der 15. AMG-Novelle liegen Vorschläge für die Umstellung auf dem Tisch – damals flog die Regelung kurz vor der Abstimmung über den Gesetzentwurf überraschend raus. Für welche konkrete Lösung man sich nun entscheiden wird, ist noch offen.

Zytostatika-Regelungen auf dem Prüfstand

Klärungsbedarf besteht auch in Sachen Zytostatikaversorgung. Unter den kurzfristigen Maßnahmen heißt es im Eckpunkte-Papier, dass die mit der 15. AMG-Novelle geänderten Regelungen dahingehend überprüft werden sollen, ob die angestrebten Verbesserungen zur wirtschaftlichen Versorgung tatsächlich erreicht wurden. "Der erwünschte Erfolg der AMG-Novelle ist an dieser Stelle so nicht eingetreten", räumt man im Ministerium ein. Tatsächlich haben die neuen Preisregelungen für Zubereitungen für viel Verwirrung und rechtliche Probleme gesorgt. Sie gelten als handwerklich wenig sauber. Man darf gespannt sein, wie nun nachjustiert wird.

Ja zu Festbeträgen und Rabattverträgen

Weiterhin bekennt sich die Koalition zum Festbetragssystem. Es soll erhalten bleiben, künftig sollen bei der jährlichen Anpassung der Festbetragshöhen aber die Zuzahlungsbefreiungsgrenzen berücksichtigt werden. So soll eine Preisspirale nach unten vermieden werden ("Kellertreppeneffekt"). Weiterentwicklung ist auch bei den Rabattverträgen angesagt – hier hat sich die FDP klar gegen die Vorschläge aus der Union durchgesetzt. Von einer Aufgabe des Substitutionsgebots ist keine Rede mehr. Stattdessen sollen die Vertragsbedingungen der Rabattverträge "verstetigt" werden – etwa hinsichtlich ihrer Laufzeiten. Zudem sollen nur noch die Zivilgerichte für Streitigkeiten über das Vergabeverfahren zuständig sein. Um den Wettbewerb zu erhalten, insbesondere eine Oligopolbildung zu verhindern, sind "flankierende Regelungen" geplant. Um dem Vorwurf entgegenzutreten, die Rabattverträge gefährdeten die Patienten-Compliance, ist eine Mehrkostenregelung vorgesehen: Versicherten, die ihr bewährtes Arzneimittel anstelle der Rabattarznei behalten möchten, soll eine Kostenerstattungsmöglichkeit eingeräumt werden. Wie dies im Detail aussehen kann, ist nun Sache der Fachleute im Ministerium. Nicht zuletzt soll das Kartellrecht vollständig auf Rabattverträge anwendbar sein.

Patentgeschützter Markt

Die größten Neuerungen kommen sicherlich auf die forschenden Hersteller zu. Allerdings hätten die nun von ihnen zu schluckenden Kröten noch größer ausfallen können. Grundsätzlich wird es beim freien Marktzugang für neue Arzneimittel bleiben. Im ersten Jahr der Einführung dürfen die Hersteller weiterhin den Preis frei bestimmen – nach einem Jahr, spätestens nach 15 Monaten, ist damit jedoch Schluss. Zum Zeitpunkt der Markteinführung müssen die Hersteller künftig ein Dossier zu Kosten und Nutzen einreichen. Auf dessen Grundlage veranlasst dann der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) eine Nutzenbewertung durch das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG), die in der Regel spätestens drei Monate nach der Zulassung vorliegen soll. Das IQWiG entscheidet, ob es sich um einen Solisten handelt oder nicht.

Vertragslösungen für Solisten

Bei Innovationen mit Zusatznutzen kommt es innerhalb des ersten Jahres nach der Zulassung entweder zu Verträgen über einen Rabatt zwischen dem Hersteller und dem GKV-Spitzenverband. Dabei bleibt der Listenpreis auch bei der Vereinbarung eines Rabattes unverändert. Darüber hinaus soll der Vertrag Vereinbarungen zur Versorgung und Qualität sowie zur Ablösung der Richtgrößenprüfung enthalten. Misslingt eine Vertragslösung, entscheidet innerhalb von drei Monaten eine Schiedsstelle, die den Rabatt auf Basis internationaler Vergleichspreise festsetzt. Eine Klage gegen den Schiedsspruch hat keine aufschiebende Wirkung. Beide Seiten können nach der Entscheidung des Schiedsgerichts auch eine Kosten-Nutzen-Bewertung verlangen. Dazu muss der Hersteller in einer "angemessenen Frist" – maximal drei Jahre – Versorgungsstudien vorlegen. Die Ergebnisse dieser sowie der klinischen Studien bilden dann die Basis für die anschließende Kosten-Nutzen-Bewertung durch das IQWiG bzw. Direktverhandlungen zwischen Krankenkassen und Pharmaunternehmen. Neben den zentralen Verhandlungen sollen auch Einzelverträge möglich sein – im Blick hat die Koalition dabei Mehrwert- und Versorgungsverträge oder eine Beteiligung an Verträgen der Integrierten Versorgung. Auch für Solisten, die bei Inkrafttreten des Reformgesetzes bereits auf dem Markt sind, können Vertragsverhandlungen aufgenommen werden.

Analogarzneimittel unter Festbetrag

Neue Arzneimittel, für die das IQWiG keinen Zusatznutzen feststellt, werden künftig automatisch ins Festbetragssystem überführt. Dabei ordnet der G-BA Molekülvariationen der entsprechenden pharmakologischen Vergleichsgruppe zu. Dies soll binnen 90 Tagen nach Vorliegen der Nutzenbewertung geschehen. Klagen gegen die Entscheidung entfalten ebenfalls keine aufschiebende Wirkung. Bei diesen Analogarzneimitteln soll es grundsätzlich eine Umkehr der Beweislast geben: Das Unternehmen muss selbst darlegen, dass eine therapeutische Verbesserung vorliegt.

Ein weiterer Punkt des Papiers läuft unter dem Titel "Deregulierung": Die bestehenden Regelungsinstrumente sollen auf ihre Notwendigkeit hin überprüft werden. Als Beispiele sind hier die Verschlankung der Wirtschaftlichkeitsprüfung, die Bonus-Malus-Regelung, das Zweitmeinungsverfahren und die Regelungen zu Importarzneimitteln genannt.

Zur Umsetzung der mittel- und langfristigen Maßnahmen wird das Ministerium nun einen Gesetzentwurf erarbeiten. Inkrafttreten soll das Gesamtpaket am 1. Januar 2011.

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