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Nur falsch informiert?

Dr. Klaus G. Brauer

Wer bietet mehr? Einsparvorschläge bei der Arzneimittelversorgung gefällig? Ganz frisch, im Sonderangebot! Herausragend wie immer: Karl Lauterbach – der Mann, der vieles übersieht, nie aber ein Mikrofon, in das er sprechen könnte. 1 Mrd. Euro könne man allein bei den Apothekern abschöpfen, rund ein Viertel des Rohertrages – meint er. Gerd Glaeske, Apotheker, assistiert, begnügt sich aber mit 600 Mio. Euro (siehe für beide: AZ 6 vom 8. 2. 2010: Karneval mit Zahlen). Auch der GKV-Spitzenverband pfeift die gleiche Melodie. Er glaubt, 830 Mio. Euro abschöpfen zu können (AZ 7 vom 15. 2. 1010). Doris Pfeiffer, Vorsitzende des Kassen-Spitzenverbandes, hat im AZ-Interview in dieser Woche (AZ 12 vom 22. 3. 2010) präzisiert, was wohl auch den Vorschlägen von Lauterbach und Glaeske zugrunde liegt: Erstens der feste Glaube, es gebe zu viele Apotheken in Deutschland. Und zweitens die betriebswirtschaftlich allerdings wenig plausible Hoffnung: Wenn man ein Drittel oder die Hälfte der Apotheken in den Ruin treibt, konzentriert sich der Umsatz und die, die übrig bleiben, können mit deutlich geringeren Margen überleben. Frau Pfeiffer argumentiert zusätzlich: In den neuen Bundesländern sei die Apothekendichte nur halb so groß wie in den alten, ohne dass dort die Arzneimittelversorgung problematisch sei. Wie bitte?

Schauen wir uns die Argumente näher an. Erstens: "Deutschland hat zu viele Apotheken" – an welchem Maßstab wird diese Behauptung festgemacht? Im europäischen Vergleich liegt Deutschland jedenfalls ziemlich in der Mitte. Mit unseren 3800 Einwohnern pro Apotheke liegen wir auf Rang 13 von 25 Ländern. Die Dänen haben die weitesten Wege zur nächsten Apotheke: eine Apotheke muss 16.800 Einwohner versorgen, Wettbewerb gibt es dort nicht. Am anderen Ende der Skala stehen die Griechen: 1200 Einwohner pro Apotheke ist dort die Relation. Eine größere Apothekendichte als bei uns gibt es auch in Ländern, die am ehesten mit Deutschland vergleichbar sind: Frankreich (2700 Einwohner pro Apotheke) oder Italien (3300 Einwohner pro Apotheke). Großbritannien hat zwar weniger Apotheken als Deutschland (1 Apotheke auf 4900 Einwohner), auf dem Land aber – wo es für Ketten uninteressant ist – subventioniert der Staat Apotheken, um die Versorgung sicherzustellen.

Anders bei uns: In Deutschland stellt sich eine sehr gleichmäßige Versorgung mit Apotheken ohne staatlichen Eingriff wie von selbst ein. Wo es ein Umfeld mit ausreichend Ärzten und Einwohnern gibt, sorgt die Niederlassungsfreiheit (übrigens eine liberale deutsche Besonderheit) dafür, dass dort auch eine Apotheke nicht weit ist. Das Hilfsargument von Frau Pfeiffer, dass in den neuen Bundesländern die Apothekendichte nur halb so groß sei wie im "Westen", ist schlicht falsch. In "Westdeutschland" ist die Apothekendichte nur geringfügig größer als im Bundesdurchschnitt (gut 1,5%), im Osten (mit Berlin) ist sie nur wenig geringer als der Schnitt (– 6,5%).

Wenig überzeugend ist – zweitens – auch die Hoffnung, dass größere Apotheken mit einem relativ deutlich geringeren Rohertrag auskommen würden. Der weitaus größte Teil der Kosten in Apotheken ist (weil abhängig von der Zahl der abgegebenen Packungen) variabel oder sprungfix – wie z. B. die Personalkosten. Fixkosten sind überwiegend durch die Apothekenbetriebsordnung, also aus Verbraucherschutzgründen, vorgegeben. Eine relevante Fixkostendegression durch Größe ist also kaum realisierbar.

Weniger Apotheken – das heißt übrigens auch: Weitere Wege, weniger Wettbewerb und weniger Druck, guten Service zu bieten. Mit Auswirkungen überall, auch in den Innen- und Vorstädten, nicht nur auf dem Land.

Frau Pfeiffer sollte noch einmal genau hinsehen, wo bei den GKV-Arzneimittelausgaben die Treiber und wo die Bremser zu finden sind (AZ 12 vom 22. 3. 2010, S. 8.). Der auf Großhandel und Apotheken (den "Distributionssektor") entfallende Wertschöpfungsanteil ist seit 1995 von 31,1% bis 2008 auf 19,5% gefallen; die Wertschöpfung dieser beiden Bereiche lag je Versichertem 2008 nur 8,2% über dem Wert von 1995. Zum Vergleich: Der Staat kassierte 2008 (auch bedingt durch zwei MwSt.-Erhöhungen) 112,4% mehr als 1995, der Herstellersektor legte immerhin um 99,1% zu – was eine gesonderte Analyse wert ist.

Die Zahlen zeigen: Der in der Tat kräftige Anstieg der GKV-Arzneimittelausgaben je Versichertem (+ 72,6% zwischen 1995 und 2008) hat viele Ursachen, der Distributionsbereich zählt aber nicht dazu. Er wirkte vielmehr als Bremse, die Einsparungen in diesem Bereich waren heftig. Dadurch sanken die Umsatzrenditen dort fast überall deutlich unter 1%. Apotheken und Großhandlungen stehen inzwischen mit dem Rücken zur Wand.

Kann man das auch von der GKV sagen? Den Zahlen nach nicht. Denn die Netto-Verwaltungskosten der GKV-Kassen legten von 1995 bis 2008 von 6,14 auf 8,28 Mrd. Euro, also um 34,8% zu (zum Vergleich der "Distributionssektor": + 8,2%). Allein in den letzten zwei Jahren (2007: 8,18 Mrd. Euro; 2009: 8,95 Mrd. Euro) stiegen die Netto-Verwaltungskosten um 9,4% – und das übrigens trotz der Fusionswelle bei den Krankenkassen. Was lehrt uns das, Frau Pfeiffer?


Dr. Klaus G. Brauer

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