Fachmedien kurz rezensiert

Möglichkeiten und Grenzen der Alternativmedizin

Simon Singh und Edzard Ernst

Gesund ohne Pillen

Was kann die Alternativmedizin? 405 Seiten, 21,50 Euro.

Carl Hanser Verlag München 2009. ISBN 978-3-446-23301-0

Es ist eigentlich erstaunlich: auf der einen Seite ist unsere Umwelt und sind unsere alltäglichen Tätigkeiten technisierter denn je und durchdrungen von Naturwissenschaft, auf der anderen Seite ist der Glaube an Übernatürliches und Parawissenschaftliches ungebrochen oder gar zunehmend. Dies zeigt sich im Bereich der Medizin am Boom alternativer und ungesicherter Heilsversprechen wie der Homöopathie [1]. Es ist für Heilberufler wie Apotheker schier unmöglich, Fragen von Kunden und Patienten beispielsweise nach Magnet- oder Kristalltherapie, Ohrkerzen oder Reiki fachlich fundiert zu beantworten. Einen Führer durch diesen Dschungel will nun das Buch "Gesund ohne Pillen" von Edzard Ernst und Simon Singh bieten. Edzard Ernst ist seit 1993 weltweit der erste Professor für Alternativmedizin im englischen Exeter. Zuvor war er viele Jahre als Arzt und zeitweise auch als Homöopath tätig. Außerdem trat er erst kürzlich als wissenschaftlicher Berater des britischen Parlaments zu der Frage auf, ob die Homöopathie mehr ist als nur ein Placebo. Hintergrund für diese Anhörung war die Frage, ob der britische Staat in Form des Nationalen Gesundheitsdienstes NHS für homöopathische Therapien aufkommen soll oder nicht [2]. Simon Singh ist Physiker und Wissenschaftsjournalist bei der BBC und Autor zahlreicher populärwissenschaftlicher Bücher.

Mit ihrem Buch gehen die beiden Autoren mit einem gehörigen Anspruch an den Start, nämlich mit dem Ziel "die Wahrheit über die Elixiere, Wässerchen, Pillen, Nadeln, Massagen und Energieübungen zu enthüllen, die außerhalb des schulmedizinischen Fel-des liegen, für viele Patienten jedoch immer attraktiver werden". Und das auch noch leicht lesbar und für medizinische Laien verständlich.

Ihr Hauptaugenmerk legen sie auf drei alternative Heilverfahren, die Akupunktur, die Homöopathie und die Chiropraktik, denen sie jeweils ein ausführliches Kapitel widmen. Die Darstellung der pflanzlichen Medizin nimmt ebenfalls breiten Raum ein. Im Anhang werden dann noch 36 weitere alternative Therapien von Alexandertechnik bis Zelltherapie nach den Grundsätzen der evidenzbasierten Medizin auf den Prüfstand gestellt. Was evidenzbasierte Medizin ist, wird anschaulich erklärt, wobei sich die Autoren hauptsächlich eines historirischen Ansatzes bedienen, wie das Buch überhaupt eine medizinhistorische Schatzkiste darstellt, die auch dann noch sehr bereichernd sein kann, wenn man die Schlüsse zur (fehlenden) Wirksamkeit der aufgeführten Therapien nicht nachvollziehen möchte. Dies aber dürfte den meisten Lesern schwer fallen, denn die Ausführungen zur Akupunktur, Homöopathie und Chiropraktik, in denen die Evidenz dieser Therapien von ihrer jeweiligen Entstehung an konsequent aufgearbeitet wird, sind überzeugend und werden dem Anspruch, die Wahrheit über die jeweiligen Therapien herausfinden zu wollen, so gerecht wie kein anderes Buch.

Dass die aufgeführten Therapien gehörig zurecht gestutzt werden, kann sich der geneigte Leser schon denken. Die gute Nachricht dabei ist, dass es durchaus Indikationen für einige alternative Heilverfahren wie Akupunktur, Chiropraktik oder Alexandertechnik geben kann, bei denen eine über Placebo hinausgehende Wirkung bis dato wissenschaftlich belegt ist. Für die Hochpotenz-Homöopathie fanden die Autoren bei Sichtung aller qualitativ hochwertigen Studien keine über den Placebo-Effekt hinausgehende Wirkung. Bei den Niedrigpotenz-Homöopathika – deren Abgrenzung von den herkömmlichen Phytotherapeutika teilweise kaum möglich ist – scheint das letzte Wort noch nicht gesprochen.

Dies ergab eine 2008 publizierte Neubetrachtung der letzten großen Metaanalyse zur Homöopathie aus dem Jahr 2005, die das Ende der Homöopathie einläuten sollte [3, 4, 5].

Das Kapitel zu den pflanzlichen Arzneimitteln, das ebenfalls mit vielen interessanten historischen Details aufwartet, siedelt diese zwischen der Alternativ- und Schulmedizin an, je nach wissenschaftlicher Evidenz des jeweiligen pflanzlichen Heilmittels. Zwei Tabellen ermöglichen es dem Leser, sofort zu erkennen, wie es um den belegten Nutzen der 35 aufgeführten Phytotherapeutika bestellt ist und welche Risiken in Form von Wechsel- und Nebenwirkungen mit ihnen verbunden sind. Mit dieser Thematik hat sich Edzard Ernst lange und eingehend befasst [6].

Das letzte Kapitel des Buches ist überschrieben mit "Warum nach der Wahrheit fragen?" und versucht eine Entgegnung auf eine immer wieder zu hörende Feststellung zu geben, die etwa folgendermaßen lautet: "Wer heilt, hat recht, auch wenn´s ein Placebo gerichtet hat." Die Autoren gehen ernsthaft auf diesen Einwand ein, indem sie schreiben: "Unsere Position – dass der routinemäßige Einsatz von Placebos nicht akzeptabel ist, weil Ärzte ihre Patienten nie anlügen sollten – mag drakonisch anmuten. Tatsächlich würden unsere Gegner behaupten, dass die nützlichen Effekte des Lügens unsere (…) Argumente ausstechen. Demnach seien Notlügen akzeptabel, wenn sie den Gesundheitszustand des Patienten verbessern. Dem entgegnen wir, dass sich (…) eine Kultur der Täuschung in der Medizin breitmachen würde (…)." Dass dieses Buch viel Spannendes zum Thema Placebo zu bieten hat, muss kaum extra erwähnt werden.

Zusammenfassend sei gesagt, dass das Buch seinem Anspruch der Wahrheitsfindung über viele alternative Therapien sehr gerecht wird, in weiten Teilen eine medizinhistorische Fundgrube darstellt und zudem noch einen hohen Gebrauchswert als Nachschlagewerk hat und dies alles in leicht leserlicher Form, so dass auch ein anstrengender und langer Tag in der Offizin keine Kontraindikation darstellt.

Dieter Kaag, Apotheke der Thoraxklinik Heidelberg

 


[1] Vertrauen auf Homöopathie wächst. Frankfurter Rundschau. http://www.fr-online.de/in_und_ausland/wissen_und_bildung/aktuell/?em_cnt=1891233&;, Zugriff am 1.2.2010. [2] United Kingdom Parliament. Evidence Check Homeopathy. http://www.parliamentlive.tv/Main/Player.aspx?meetingId=5221&player= windowsmedia, Zugriff am 1.2.2010. [3] Shang A, Huwiler-Müntener K, Nartey L, Jüni P, Dörig S, Sterne JAC et al. Are the clinical effects of homoeopathy placebo effects? Comparative study of placebo-controlled trials of homoeopathy and allopathy. Lancet 2005;366:726–32. [4] The Lancet. The End of Homoeopathy. Lancet 2005;366:690. [5] Lüdtke R, Rutten ALB. The conclusions on the effectiveness of homeopathy highly depend on the set of analyzed trials. J Clin Epidemiol 2008; 61:1197-1204. [6] Izzo AA, Ernst E. Interactions between herbal medicines and prescribed drugs: an updated systematic review. Drugs 2009; 69(13):1777–1798.

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