Arzneimittel und Therapie

Selen auf der Intensivstation

Es ist nicht etwa der berühmte, zum Herz ziehende rote Streifen. Vielmehr beginnt eine Sepsis meist mit unspezifischen Allgemeinsymptomen. Sie kann im weiteren Verlauf zu Multiorganversagen führen und endet dann trotz intensivmedizinischer Behandlung in rund 50% der Fälle tödlich. Umso bemerkenswerter ist, dass ein Spurenelement die Letalitätsrate signifikant senken kann.

Ausgangspunkt einer Sepsis – Laien als Blutvergiftung bekannt – ist meist eine lokale Infektion, z. B. nach chirurgischem Eingriff, Atemwegsinfekt, Zahnabszess etc. Gelingt es dem Immunsystem nicht, die Infektion lokal zu begrenzen, überschwemmen die Infektionserreger (zu 95% Bakterien) bzw. deren Toxine den ganzen Körper.

Kompetenznetz Sepsis

Mit dem Kompetenznetz Sepsis SepNet wurde ein vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gefördertes Kompetenznetzwerk zum Krankheitsbild Sepsis geschaffen, das effizientere Strukturen für die klinische Erforschung der schweren Sepsis etablieren soll. Dazu gehört auch die professionelle Durchführung unabhängiger, innovativer, prospektiver Studien. Ziel ist ein besseres Verständnis und die effizientere und kostenadäquatere Behandlung der Sepsis, um der nicht akzeptablen extrem hohen Sterblichkeit der Sepsis zu begegnen. SepNet vereint Experten verschiedener Fachdisziplinen, die auf dem Gebiet der klinischen und experimentellen Sepsis-Forschung tätig sind.

www.kompetenznetz-sepsis.de

Amoklauf des Immunsystems

Das Immunsystem aktiviert dann sämtliche Abwehrmechanismen, in deren Folge systemische Entzündungsreaktionen mit massiver Sauerstoffradikalbildung in Gang gesetzt werden. Es kommt zu Gerinnungsstörungen mit Mikrothromben, zu Endothelschäden mit Ödembildung und zu Kapillarveränderungen mit Gewebshypoxie. Letztlich mündet diese Kaskade im septischen Schock mit Multiorganversagen – eine nach wie vor große intensivmedizinische Herausforderung mit noch unbefriedigender Erfolgsquote. Da das Mortalitätsrisiko eines unbehandelten Sepsispatienten pro Stunde um rund 5% steigt, muss jeder Verdachtsfall umgehend einer stationären Therapie zugeführt werden. Die richtige Diagnose wird allerdings durch die unspezifischen Symptome (Fieber, Abgeschlagenheit, Tachykardie, Bewusstseinstrübung, Atemdepression etc.) oft erschwert.

Die konventionelle Sepsistherapie umfasst neben operativer Herdsanierung und Antibiose intensivmedizinische kreislauf- und organstabilisierende Maßnahmen. In letzter Zeit hat die adjunktive parenterale Selengabe wegen ihrer vielfältigen positiven Effekte zunehmend Einzug in die Intensivmedizin erhalten. Der zusätzliche Nutzen des Spurenelements bei Sepsis zeigte sich eindrucksvoll in der SIC-Studie mit insgesamt 249 Patienten. Dabei wurde Natriumselenit-Pentahydrat (selenase®) eingesetzt. Die Sepsispatienten erhielten hierzu eine Selendosis von 2000 µg i.v., an den folgenden 13 Tagen jeweils 1000 µg. Die GCP-gerechte, prospektive, doppelblinde Multicenter-Studie ergab eine signifikante Reduktion der 28-Tage-Mortalität (primärer Endpunkt) um 14% gegenüber Placebo. Noch deutlicher war der Effekt in der Subgruppe der Patienten mit mehr als drei Organversagen (–23%) und mit septischem Schock (–26%). Keine andere begleitende Sepsistherapie erreicht derzeit so hohe Erfolgsraten. Die Patienten profitierten dabei umso mehr, je niedriger ihr initialer Selen-Spiegel lag. Die adjunktive Selen-Gabe war mit keinen unerwünschten Nebenwirkungen verbunden und kostete insgesamt pro Patient rund 100 Euro.

Definition

Sepsis ist definiert als eine Invasion von Mikroorganismen und/oder ihrer Toxine in den Blutstrom zusammen mit der Reaktion des Organismus auf diese Invasion

adjunktive Therapie: Behandlung gemeinsam mit und zusätzlich zur Standardtherapie

adjuvante Therapie: Behandlung nach Durchführung der Standardtherapie

In Leitlinie aufgenommen

Die beobachteten Seleneffekte beruhen vermutlich darauf, dass das Spurenelement die Aktivität wichtiger Selen-abhängiger Enzyme (Glutathionperoxidase, Thioredoxinreduktase, Selenoprotein P) im oxidativen pathophysiologischen Geschehen der Sepsis aufrecht erhält. In den letzten Jahren hat sich Selen auf den meisten Intensivstationen als fester Bestandteil der Sepsistherapie etabliert. Aktuell hat die Deutsche Sepsis-Gesellschaft Selen erstmalig als neue Therapieoption zur Senkung der Mortalität bei Patienten mit schwerer Sepsis oder septischem Schock in die erneuerte Leitlinie "Prävention, Diagnose und Therapie der Sepsis" aufgenommen. Vom SepNet wird derzeit in einer multizentrischen, randomisierten Studie der Einfluss von Natriumselenit auf die Gesamtmortalität an 1200 Patienten mit schwerer Sepsis und septischem Schock überprüft.

Dritthäufigste Todesursache

Die Sepsis ist nach Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Krebs die dritthäufigste Todesursache in Deutschland. Jährlich wird bei ca. 154.000 Menschen eine Sepsis diagnostiziert, ungefähr 60.000 Patienten sterben an den Folgen. Da oft nur die Sepsis-auslösende Erkrankung (z. B. Pneumonie, Apendizitis) als Todesursache in die Statistik eingeht, ist von einer erheblich höheren Sepsis-Dunkelziffer auszugehen. Experten bemängeln außerdem, dass die Sepsis trotz ihrer großen medizinischen und ökonomischen Relevanz in Laien- und Fachmedien bisher zu wenig thematisiert wird.

Quelle Prof. Dr. Konrad Reinhart, Jena: Pressegespräch, Fellbach, 26. November 2009, veranstaltet von der biosyn Arzneimittel GmbH, Fellbach. Angstwurm, M.W.A.; et al.: Selenium in Intensive Care (SIC), Crit Care Med (2007) 35: 1-9. webanae.med.uni-jena.de

 


Apothekerin Christiane Weber

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