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Politisches Getöse und ausufernde Spekulationen

BERLIN (lk). Begleitet von politischem Getöse und ausufernden Spekulationen hat die Regierungskommission zum Umbau des Finanzsystems im Gesundheitswesen ihre Arbeit aufgenommen. Bei der ersten Sitzung ließen sich die acht Kabinettsmitglieder vom Präsidenten des Bundesversicherungsamtes, Maximilian Gaßner, über die dramatische Finanznot der GKV informieren. Elf Mrd. Euro fehlen im nächsten Jahr. Proportional zum Kassendefizit steigt die Lautstärke der politischen Begleitmusik.

Für neue Aufregung sorgte ein Bericht des "Handelsblattes", im Kampf gegen ausufernde Arzneimittelausgaben knöpfe sich Bundesgesundheitsminister Philipp Rösler (FDP) neben den Arzneimittelpreisen jetzt auch die Vertriebskette vom Großhandel bis zur Apotheke vor: Die gesetzlich definierten Handelsspannen des Pharmagroßhandels sollen laut einem Konzeptpapier des Ministeriums um 400 Mio. Euro im Jahr gekürzt werden.

Alte Vorschläge neu aufgetischt

Das Ziel des Vorschlages: Nicht die Gewinne des Großhandels sollen sinken, sondern die angeblich versteckten Rabatte an die Apotheken wegfallen. Die bisherigen prozentual nach Preis gestaffelten Zuschläge sollen weitgehend durch einen Fixzuschlag abgelöst werden. Bisher betragen die Großhandelszuschläge 6 bis 15 Prozent, maximal aber 72 Euro pro Packung. Künftig wären es pauschal nur noch 70 Cent – plus eines einheitlichen Aufschlags von 1,5 Prozent des Herstellerabgabepreises. Die neuen Handelsspannen seien so kalkuliert, dass der Großhandel ohne Ertragseinbußen nur noch Rabatte von 200 Mio. Euro an die Apotheken überweisen kann. Würde die Idee Realität, gerieten die Apotheken weiter unter Finanzdruck. Denn mit dem Apothekenabgabepreis sänken auch die Zuschläge für die Apotheken.

Wie ernst Rösler die Vorschläge seiner Beamten nimmt, steht derzeit noch in den politischen Sternen. Das Gesundheitsministerium bestätigt nur, dass ein Konzept dieses Inhaltes im Haus existiert. Der Vorschlag ist allerdings nicht neu. Er zeichnet exakt den letzten Verhandlungsstand zur 15. AMG-Novelle nach. Damals wollte SPD-Gesundheitsministerin Ulla Schmidt die Handelsspannen kürzen. Die Union blockte das Vorhaben in letzter Sekunde ab. Daher steht jetzt die Frage im Raum, ob der FDP-Minister bereits verworfene SPD-Ideen wiederbeleben will oder ob ein Beamter mit SPD-Parteibuch seine Schreibtischschublade geöffnet hat, um mit verstaubten Papieren das politische Geschäft zu befeuern.

Spekulationen um Einstiegsprämie

"Alles Spekulation", lautet auch der offizielle Kommentar des Bundesgesundheitsministeriums zur zweiten Idee der Woche: Angeblich will Rösler für die gesetzliche Krankenversicherung 2011 eine Gesundheitsprämie in Höhe von 29 Euro im Monat einführen. Diese Kopfpauschale müsste von jedem Versicherten neben den Beiträgen gezahlt werden. Um die Bürger auch zu entlasten, wolle Rösler den 2005 eingeführten Zusatzbeitrag der Arbeitnehmer in Höhe von 0,9 Prozent wieder streichen. Für eine Einstiegsprämie in Höhe von 29 Euro ist danach nur ein Sozialausgleich von deutlich weniger als fünf Mrd. Euro erforderlich. Woher das Geld kommen soll, ist allerdings auch bei dieser relativ geringen Summe völlig offen.

Genscher: Liebgewordene Zukunftspläne überdenken

Das gilt umso mehr, seitdem der FDP-Ehrenvorsitzende Hans-Dietrich Genscher in einem Namensartikel die Wahlkampfrhetorik der Freien Demokraten infrage gestellt hat. Man müsse sich der "Realpolitik stellen", mahnte der Oberliberale seine Partei. Der Hintergrund: Die Krise des Euro wegen der drohenden Zahlungsunfähigkeit Griechenlands. Eine wirtschafts-, finanz- und sozialpolitische Verantwortungspolitik sei die zentrale Aufgabe der Regierungskoalition. Hier liege die Zukunft – und nicht in den Scharmützeln der letzten Monate. Im Klartext: Muss die Bundesregierung für Griechenlands Schulden geradestehen, müsste wohl auch die FDP aus Geldmangel neben der Steuerpolitik ihre Pläne zur Gesundheitsprämie aufgeben.

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