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Gesundheit als Wachstumsmotor

BERLIN (tmb). Gesundheitsökonomie muss nicht Sparen und Rationieren bedeuten – die wissenschaftliche Beschäftigung mit dieser Disziplin kann auch zu ganz anderen Ergebnissen führen und sogar Argumente für verstärkte Investitionen in Gesundheit liefern. In politischen Debatten gehen solche Thesen meist unter, aber die Deutsche Gesellschaft für Gesundheitsökonomie bot auf ihrer wissenschaftlichen Jahrestagung am 1. und 2. März in Berlin solche Blicke über den Tellerrand.

Das Gesundheitswesen ist üblicherweise auf nationaler Ebene und häufig isoliert von den anderen Teilen des sozialen Sicherungssystems organisiert, erklärte Dr. Michael Stolpe, Institut für Weltwirtschaft, Kiel. Dagegen entwickeln sich medizinische Technologien auf einem weltweiten Markt. Nach seinen Untersuchungen geben die nationalen Gesundheitssysteme dabei zu wenig Anreize für die Entwicklung von Innovationen, sodass das gesamtwirtschaftliche Optimum verfehlt wird. So verdecke die Trennung von Renten- und Krankenversicherung den Zusammenhang zwischen Rentenhöhe, Renteneintrittsalter und Gesundheitspolitik. Mehr präventive Leistungen könnten die Gesundheit verbessern, die Menschen wären dann länger arbeitsfähig und könnten mehr erwirtschaften. Dann stünde auch mehr Geld für Gesundheitsleistungen zur Verfügung. Zudem seien Menschen mit höherem Einkommen und späterem Renteneintritt zu höheren Gesundheitsausgaben bereit. So könne die Gesundheitsquote in der Volkswirtschaft steigen und zugleich das Volkseinkommen zunehmen. Medizinische Technologien würden oft als Kostentreiber und damit als Problem dargestellt, doch könnten sie zur Lösung für volkswirtschaftliche Probleme werden. Empfehlungen zur Reduzierung der Gesundheitsquote, wie sie beispielsweise von einem Planungsbüro für das Sozialwesen in den Niederlanden formuliert wurden, könnten sich dagegen als Fehler erweisen. So empfiehlt Stolpe, in die Gesundheit zu investieren, damit die Menschen gesund alt werden könnten. Zudem mahnte er an, das Sozialsystem im Zusammenhang zu betrachten. Reformen im Gesundheitswesen sollten mit dem Rentensystem verknüpft werden.

Krankenversicherung als Exportschlager

Prof. Dr. Konrad Obermann, Universität Heidelberg, rückte das deutsche Krankenversicherungssystem in einen internationalen Zusammenhang und beschrieb es als "Exportschlager". Im Laufe von drei Jahrzehnten haben sehr viele Länder, insbesondere in Asien, Südamerika und Osteuropa soziale Krankenversicherungen aufgebaut, die sich grob am Vorbild der Bismarckschen Sozialversicherung orientieren, jedoch ohne Wettbewerb unter den Krankenversicherungen. Einige Länder wechselten von steuerfinanzierten Systemen zu Versicherungen nach deutschem Vorbild, andere in umgekehrter Richtung. Daraus ergeben sich viele Vergleichsmöglichkeiten. Nach Untersuchungen von Obermann besteht bei den Sozialversicherungssystemen ein Trend zu höheren Pro-Kopf-Ausgaben und geringerer Beschäftigung im Vergleich zu den steuerfinanzierten Systemen.

Beiträge oder Steuern?

Prof. Claude le Pen, Präsident der französischen Gesellschaft für Gesundheitsökonomie, verwies auf die grundsätzlichen Unterschiede zwischen steuerfinanzierten Systemen und Sozialversicherungen nach dem Konzept von Bismarck. Die steuerfinanzierten Systeme zielen ausdrücklich nur auf eine Minimalversorgung, die mit den Steuerzahlungen abgegolten und damit für Bedürftige kostenfrei ist. Dagegen sollen die Sozialversicherungen allen Versicherten ein einheitliches und hohes Versorgungsniveau bieten, wobei Rationierung kaum akzeptiert wird. Nach Einschätzung von le Pen erscheint eine Auflösung dieses sozialen Kontraktes kaum vorstellbar, in Frankreich hält er es für unmöglich. Dagegen würden viele Bürger in Ländern mit steuerfinanzierten Systemen einen besseren Zugang zu Arzneimitteln fordern. Die Gesundheitsökonomie sieht le Pen primär als analytisches Werkzeug zur Beschreibung von Verteilungsmöglichkeiten im Gesundheitswesen und weniger als technisches Mittel für rechtliche Regelungen.

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