Gesundheitspolitik

Karneval mit Zahlen

Klaus G. Brauer

Vorsicht, die Jecken sind unterwegs. Auch im Gesundheitswesen. Report Mainz (Karnevalshochburg) ließ am letzten Montag Gerd Glaeske (Apotheker, Arzneimittelexperte) und Karl Lauterbach (neuer gesundheitspolitischer Sprecher der SPD) in die Bütt. Sie präsentierten, passend zu den tollen Tagen, tolle Vorschläge, wie man bei den Apotheken leicht zugunsten der GKV sparen kann: Gut 600 Millionen pro Jahr, meinte Gerd Glaeske. Karl Lauterbach noch schneidiger: Durch Erhöhung des "Kassenrabattes" könne man den Apotheken mindestens 1 Milliarde Euro zusätzlich aus den Rippen schneiden. Frohsinn ist angesagt.

Fatal nur: Die beiden möchten ernst genommen werden. Aber auch im Karneval bleiben die Grundrechenarten in Kraft. Eine Milliarde Einsparung bei den Apotheken – die Durchschnittsapotheke (in 2008 1,75 Mio. Gesamtumsatz, darin annähernd 1,15 Mio. GKV-Nettoumsatz inkl. Zuzahlungen) hätte also an die GKV über den bisherigen "Kassenrabatt" hinaus eine Zwangsspende von rund 50.000 Euro jährlich abzuführen.

Das ist absurd (siehe Tabelle). Schauen wir uns die Zahlen an: In 2008 erzielte die Durchschnittsapotheke aus ihren Umsätzen mit GKV-Versicherten (1141 TEuro) einen Rohertrag von 21,1% (241 TEuro). Nach Abzug der anteiligen Personal- und sonstigen Kosten (18,8%) blieb ihr aus dem GKV-Segment ein Gewinn vor Steuern von 2,3%, also 26 TEuro. Damit ist nicht einmal die Arbeitsleistung des Apothekenleiters für die GKV angemessen bezahlt. Wenn zusätzlich 50 TEuro aus der Durchschnittsapotheke herausgepresst würden, kippte im GKV-Segment der derzeit schon unzureichende Gewinn von 26 TEuro in einen Verlust von 24 TEuro pro Jahr und Apotheke.

Dem Ganzen setzt Lauterbach noch zwei Narrenkappen auf: Erstens kämpft das Mitglied des Aufsichtsrates der Rhön Kliniken (!) dafür, dass Kapitalgesellschaften und Berufsfremde Apotheken betreiben dürfen. Das widerspricht der Linie, die die SPD u. a. mit Ulla Schmidt bisher vehement und erfolgreich vertreten hat. Carola Reimann (SPD), inzwischen zur Vorsitzenden des Gesundheitsausschusses aufgestiegen, hat gerade eben in einem DAZ-Interview bekräftigt, dass sie nach wie vor dagegen ist, das Fremdbesitzverbot zu schleifen. Ist da ein Machtkampf in Gang?

Damit nicht genug: Lauterbach will zweitens den Vor-Ort-Apotheken auch noch bei den apothekenpflichtigen Arzneimitteln ans Leder, ein Bereich, wo Erträge anfallen, mit denen die Versorgung der GKV-Patienten subventioniert wird: Unser Mann mit der Fliege hat nichts gegen den rosinenpickenden Versandhandel, auch nichts gegen Pick-up-Stellen. Na denn: Köln alaaf. Apothekenpolitisch ist Lauterbach so nicht mehr ernst zu nehmen. Aber seine Medienwirkung als Dampfplauderer ist nicht zu unterschätzen.


Klaus G. Brauer

Nach Lauterbachs Karneval in Zahlen – eine nüchtern-ernüchternde Klarstellung für die Zeit ab Aschermittwoch
1
GKV Ausgaben in 2008
160,76 Mrd. €
2
16,7% von 1 für Arzneimittel (Hersteller, Großhandel, Apotheke, MWSt.)
26,797 Mrd. €
inkl. MWSt., nach Abzug aller gesetzlichen Rabatte der Apotheken und Hersteller nach
§ 130 und § 130a SGB V; ohne Zuzahlungen der Patienten.
3
Zuzahlungen der Versicherten
1,674 Mrd. €
inkl. MWSt.
4
Herstellerrabatt
0,842 Mrd. €
Gemäß § 130a Abs. 1 – 4 SGB V, aber ohne die Rabatte aus Rabattverträgen nach
§ 130a Abs. 8 SGB V
5
GKV-Arzneimittelumsatz der Apotheken inkl. Zuzahlungen (Brutto, d. h. inkl. MWSt.)
29,313 Mrd. €
inkl. MWSt., aber ohne Berücksichtigung der unbekannten GKV-Erträge aus Rabattverträgen nach § 130a Abs. 8 SGB V
6
(5) ohne MWSt. (Netto)
24,633 Mrd. €
7
Zahl der Apotheken im Jahresschnitt 2008
21.586
8
GKV-AM-Umsatz o. MWSt. inkl. Zuzahlungen je Apotheke
1141 TEuro
9
Rohertrag (Wertschöpfung) je Apotheke aus (8) inkl. aller Einkaufsrabatte
241 TEuro
21,10% von (8)
10
Anteilige Personalkosten
114 TEuro
10,00% von (8)
11
Sonstige anteilig steuerlich abzugsfähige Kosten
101 TEuro
8,80% von (8)
12
Gewinn vor Steuern aus GKV-AM-Umsätzen in der Durchschnittsapotheke
26 TEuro
Müsste die Honorierung der Arbeitsleistung des Apothekenleiters für die GKV und die Zinsen auf dafür eingesetztes Kapital abdecken – ist aber sicher schon jetzt völlig unzureichend.

Quelle: ABDA (Zahlen, Daten, Fakten 2008); IfH-Betriebsvergleich 2008; ARZ Haan AG; Eigene Berechnungen (Dipl. Math. Uwe Hüsgen, Essen/bra)

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