Gesundheitspolitik

AVR 2010: Geändert hat sich nichts

Trotz der gelobten Rabattverträge und Festbeträge: Die Autoren des Arzneiverordnungs-Reports halten das deutsche Preisniveau für zu hoch

Berlin (ks). Der Arzneiverordnungs-Report (AVR) sorgt auch dieses Jahr für viel Diskussionsstoff. Die Herausgeber Prof. Ulrich Schwabe und Dr. Dieter Paffrath rechnen in gewohnter Manier vor, wo ihrer Ansicht nach gespart werden kann. Früher waren es vor allem die umstrittenen Arzneimittel, die ihnen ein Dorn im Auge waren, heute fokussieren sie sich auf die patentgeschützten. Aber auch die als preiswert geltenden Nachahmerpräparate sind aus Sicht der AVR-Autoren in Deutschland überteuert. 2008 zog man den Vergleich mit Großbritannien, 2009 prangerte man zu hohe Distributionskosten an – und in diesem Jahr verweist man auf wesentlich niedrigere Generika-Preise in Schweden. Am Pranger stehen 2010 zumindest nicht Ärzte und Apotheker, dafür umso mehr die Pharmaindustrie.

Schwabe ist der Meinung, dass 9,4 Mrd. Euro im Arzneimittelbereich gespart werden könnten (siehe DAZ Nr. 37 S. 28). Eine derartige "Preissubvention" an die Pharmaindustrie sei "weder ökonomisch noch gesundheitspolitisch vertretbar". Angesichts des großen deutschen Marktes müssten hier die Preise für Medikamente eigentlich billiger sein als in anderen Ländern.

Leonhard Hansen, Mitglied im Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA), Unterausschuss Arzneimittel, sitzt schon seit Jahren bei der Vorstellung des AVR mit auf dem Podium und kann Schwabe nur unterstützen. Er zeigte sich erfreut, nicht länger der "Watschenmann" zu sein. Allzu lange hätten die deutschen Ärzte sich anhören müssen, sie verordneten zu teuer. Doch mittlerweile seien sie Weltmeister in der Generikaverordnung. Nun ändere sich auch der Fokus der AVR-Autoren. Es habe lange gedauert, bis realisiert wurde, dass in Deutschland ein höheres Preisniveau als in anderen Ländern bestehe, so Hansen – selbst ein höheres als in der Schweiz oder den USA. Skandalöse Beispiele habe es in den vergangenen Jahren viele gegeben: Sei es Herceptin, Lucentis oder die HVP-Impfung. Insofern sei es nicht überraschend gewesen, dass Gesundheitsminister Philipp Rösler als erstes mit einem erhöhten Zwangsrabatt und einem Preismoratorium reagiert habe.

Rabattverträge bedroht?

Ebenfalls mit auf dem Podium bei der AVR-Vorstellung war Herbert Reichelt, Vorstandschef des AOK-Bundesverbandes. Er betonte, dass man auf dem Weg in eine hochwertige und wirtschaftliche Arzneimittelversorgung in den letzten Jahren "ein gutes Stück vorangekommen" sei. Wenn alle Beteiligten an einem Strang zögen, könnten Sparpotenziale ausgeschöpft werden. Er hielt zudem ein Plädoyer für die Rabattverträge. Sie sparten den Kassen nicht nur Geld, sondern seien auch für die Patienten vorteilhaft: Sie bekämen in der zweijährigen Laufzeit stets das gleiche Präparat und seien nicht mit wechselnden Farben und Formaten konfrontiert – eine Situation, die von anderer Seite zuweilen anders dargestellt werde, so Reichelt. Nun sieht der AOK-Mann jedoch die Erfolgsgeschichte der Rabattverträge bedroht. Nach dem AMNOG-Gesetzentwurf soll für die Kassen das Kartell- und Wettbewerbsrecht gelten, Rechtsstreitigkeiten sollen den Zivilgerichten zugewiesen werden. Es drohe eine "Kehrtwende in voller Fahrt". Reichelt sieht es kommen, dass die pharmazeutischen Unternehmen die Verträge abermals durch Rechtsstreitigkeiten blockieren werden. Zu seiner Freude teilt der Gesundheitsausschuss des Bundesrates diese Bedenken. Zumindest der Paradigmenwechsel bei den patentgeschützten Arzneien stimmt Reichelt positiv – hier habe Rösler viel Mut bewiesen. Ärgerlich sei jedoch, dass die Pharmalobby hinter den parlamentarischen Kulissen wieder aktiv sei. "Es wäre fatal, wenn dieser wichtige Fortschritt für den deutschen Arzneimittelmarkt auf der Zielgeraden den Interessen der Pharmaindustrie zum Opfer fiele und verwässert würde", so der AOK-Chef.

Pharma-Einfluss: Hansen bleibt gelassen

Was die angebliche Einflussnahme der forschenden Pharmaunternehmen auf das AMNOG-Verfahren betrifft – konkret die Idee, die Verfahrensregelungen für die Nutzenbewertung per Rechtsverordnung festzulegen und nicht dem G-BA zu überlassen – gab sich Hansen, als G-BA-Mitglied unmittelbar betroffen, erstaunlich gelassen: Keiner werde dem G-BA und dem IQWiG die Arbeit abnehmen, meint er. Wenn der G-BA die Kriterien selbst erstelle, mache er sich angreifbar – insoweit könne es ihm durchaus passen, dass das Ministerium diese Aufgabe nun übernehmen will. Der G-BA werde den Vorgang jedoch "mit Argusaugen bewachen". Klientelpolitik dürfe selbstverständlich keinen Eingang in die Verordnung finden. "Am Ende werden wir mit einer guten Verordnung arbeiten, die auch gute Ergebnisse bringt", gab sich Hansen zuversichtlich.

Schwabe: Nur das günstigste Generikum abgeben

Wie sich die vorgerechneten Einsparpotenziale bei Generika heben lassen – siehe Schweden – ließen die AVR-Herausgeber übrigens weitgehend offen. Schwabe betonte, es gehe darum, die Diskussion anzustoßen. Man müsse sich die Preise im Ausland ansehen. Was konkret zu tun ist, sei Sache der Fachleute. In Schweden gehört zur Beobachtung sicherlich, dass dort keine Mehrwertsteuer auf Arzneimittel fällig wird. Schwabe gefällt es aber offenbar besonders, dass dort Apotheker verpflichtet sind, immer das preisgünstigste Generikum abzugeben.

Warum die stets gelobten Festbeträge hier nicht weiterhelfen, verdeutlichte Reichelt: Der Orientierungsrahmen für die Festlegung der Festbeträge sei immer das deutsche Preisspektrum und gerade nicht das internationale Preisniveau. So sind schwedische Preise schwerlich zu erreichen.

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