Gesundheitspolitik

Rabattverträge: AOK droht Apotheken

Apotheker: ein ungeheuerlicher Affront / LAV: fehlerhaftes AOK-Schreiben / Kein Interview

STUTTGART (diz). Ein Seriendrohbrief der AOK Baden-Württemberg, verschickt am 15. März an alle Apotheken dieses Bundeslandes, sorgt derzeit für Kopfschütteln, Empörung und Wut unter den Apothekerinnen und Apothekern. Dr. Christopher Hermann, stellvertretender Vorsitzender der AOK Baden-Württemberg und Chefunterhändler für die AOK-Rabattverträge, wirft den Apotheken vor, im vergangenen Jahr erhebliche Verstöße gegen § 129 Abs. 1 SGB V (Abgabe preisgünstiger Arzneimittel, aut idem) begangen zu haben. Den Apotheken wird vorgehalten, exorbitante Summen (bis 50.000 Euro und mehr) an substitutionspflichtigen Arzneimitteln nicht richtig abgerechnet zu haben. Hermann droht den Apotheken Vertragsstrafen und Retaxationen an, wenn sie nicht umgehend "eine vollumfängliche Substitution sicherstellen".

Dr. Christopher Hermann vollumfängliche Substitution, sonst Vertragsstrafen.
Foto: DAZ-Archiv

Die Apotheken Baden-Württembergs sind entsetzt. Einen solchen Brief vom "Partner" AOK haben sie nicht erwartet: Die AOK Baden-Württemberg teilt ihnen mit, dass alle Apotheken Baden-Württembergs und alle national wie international tätigen Versandapotheken "auf rechtskonforme Substitution zugunsten von Arzneimitteln geprüft" wurden, "für die ein vergaberechtlich abgeschlossener Rabattvertrag mit der AOK Baden-Württemberg besteht". Es folgt eine Belehrung über bekannt strittige Rechtsauffassungen zum Austausch von Arzneimitteln, beispielsweise dann, wenn ein gleicher Indikationsbereich vorliegt. Die AOK geht beispielsweise davon aus, dass substituiert werden muss, "wenn mindestens eine Indikation beider Arzneimittel deckungsgleich ist". Zu dieser Frage gibt es nach wie vor unterschiedliche Auffassungen. Ein ähnlich strittiger Fall ist die AOK-Auffassung bei identischen Packungsgrößen. Hier beruft sich die AOK auf die Normpackungsgröße, d. h. für diese Kasse können schon mal 56 = 98 = 100 sein, da es sich jedes Mal um eine N3-Packung handeln kann. Beide Punkte sind nach wie vor nicht eindeutig geklärt.

Verwarnung, Geldstrafe, Ausschluss

Im Brief folgt eine Aufzählung der Sanktionsmöglichkeiten, wenn sich die Apotheke nicht daran hält, nämlich Verwarnung, Vertragsstrafen bis 25.000 Euro und "bei gröblichen und wiederholten Verstößen Ausschluss des Apothekenleiters/der Apothekenleiterin von der Versorgung der Versicherten bis zu einer Dauer von zwei Jahren".

Nach diesen allgemeinen Belehrungen folgt der apothekenindividuelle Teil, in dem die AOK der Apotheke die Ergebnisse der Überprüfung der einzelnen Apotheke für das Jahr 2009 mitteilt. Aufgeführt ist der Anteil an substitutionspflichtigen Packungen für die jeweilige Apotheke, den die AOK wie auch immer berechnet hat.

Und dann der zentrale Passus des Drohschreibens: "Das Abrechnungsvolumen nicht rabattierter, gleichwohl substitutionspflichtiger Arzneimittel ohne Berücksichtigung von Verordnungen, für welche ein ärztlicher Substitutionsausschluss (Aut-idem-Kreuz) vorliegt, wie auch der Verordnungen, für welche von Ihnen auf dem Rezept pharmazeutische Bedenken geltend gemacht wurden, beträgt für 2009 xxxxx Euro [hier steht eine Cent-genaue Summe, die 10.000, 20.000 aber auch 50.000 Euro und mehr betragen kann]. Erhebliche Verstöße gegen §129 Abs. 1 SGB V im Jahr 2009 sind somit für Ihre Apotheke evident."

Hermann weist die Apotheken ferner darauf hin, dass sie sich nicht auf eine fehlerhafte oder lückenhafte Darstellung in der Apothekensoftware berufen können.

Schließlich werden die Apotheken gebeten, bis zum 30. April 2010 "eine vollumfängliche Substitution in diesem Sinne sicherzustellen. Andernfalls verwirken Sie ggf. eine Vertragsstrafe …, die sich am Abrechnungsvolumen der betreffenden, nicht rabattierten Arzneimittel zum Apothekenverkaufspreis orientieren würde. Weitere Vertragsstrafen sowie Retaxierungen müssten wir uns – auch für das Jahr 2009 – vorbehalten."

LAV Ba-Wü stellt sich vor seine Mitglieder

Der Landesapothekerverband Baden-Württemberg stellte sich mit einem Antwortschreiben an Hermann vor seine Mitglieder. Man teile, heißt es dort, die AOK-Rechtsauffassungen hinsichtlich identischer Packungsgröße und gleichem Indikationsbereich nicht. Diese abweichende Auffassung habe man bereits unmissverständlich in einem Gespräch Mitte Februar zum Ausdruck gebracht. Man sei so verblieben, so der LAV, dass nur die Apotheken verwarnt werden sollten, die unter Zugrundelegung der Rechtsauffassung des LAV mit mangelhaften Substitutionsumsetzungsquoten auffällig geworden seien.

Der LAV bringt des Weiteren sein Unverständnis über den zentralen Passus des AOK-Briefes zum Ausdruck. So fragt der LAV, was die AOK den Apotheken überhaupt vorwerfen will, wenn es um die Substitutionsverpflichtung nicht rabattierter Arzneimittel geht, bei denen die ärztliche Verordnung kein Substitutionsverbot beinhaltet. Denn hier gilt, dass die Apotheke entweder das verordnete Arzneimittel oder eines der drei preisgünstigsten abgeben kann. Der LAV: "Ein erheblicher Verstoß gegen § 129 Abs. 1 SGB V ist damit für die betroffene Apotheke hierdurch gerade nicht evident."

Das AOK-Schreiben sei fehlerhaft, man erwarte eine umgehende Richtigstellung, fügt der LAV hinzu.

Kein Interview-Termin mit der AOK

Die DAZ bemühte sich um einen Interview-Termin bei Dr. Hermann. doch "leider ist ein persönliches Interview mit Dr. Hermann aus terminlichen Gründen nicht möglich", lautete die Antwort aus der AOK-Zentrale in Stuttgart. Immerhin, einige Fragen beantwortete man kurz schriftlich. Auf unsere Frage nach dem eigentlichen Hintergrund des Briefes teilte man uns lapidar mit: "Die Überprüfung aller Apotheken innerhalb Baden-Württembergs als auch aller Versandapotheken außerhalb des Landes hat ergeben, dass die überwiegende Mehrheit der Apotheken den gesetzlichen Verpflichtungen zum Austausch zugunsten rabattierter Arzneimittel nicht umfänglich nachkommt." Die Auswertung der AOK sei systematisch nach einheitlichen Kriterien erfolgt, die die rechtlichen Vorgaben der Substitution abgriffen, heißt es weiter.

Auf die Frage, wie man das Substitutionsverhalten aller Apotheken überhaupt durchleuchtet habe, hieß es nur: "Die Daten wurden im Rahmen der regelmäßigen Abrechnungsprüfung ermittelt."

Und was ist das Ziel des Drohbriefes? Die schriftliche Antwort der AOK: "Das Schreiben der AOK Baden-Württemberg vom 15. März 2010 bezieht sich ausschließlich auf gesetzliche bzw. Vertragspflichten der Apotheker, da hier durch Substitutionsausfälle allein im Jahr 2009 ein erheblicher Betrag an Versichertengeldern verloren ging. Ziel des Schreibens ist die nachdrückliche Information der Apotheken mit dem Anspruch, eine nachhaltige Verbesserung des Austauschverhaltens von Apotheken zugunsten rabattierter Arzneimittel zu erreichen.

Schließlich wollten wir auch wissen, wie sich ein solcher Brief mit dem von der AOK vielbeschworenen "partnerschaftlichen Verhalten" verträgt. Die Antwort: "Die AOK Baden-Württemberg ist selbstverständlich auch weiterhin an einem partnerschaftlichen Verhältnis mit den Apothekern interessiert. Zu einer Partnerschaft gehört allerdings auch das Einhalten gesetzlicher wie auch vertraglicher Regelungen. Wenn es durch – wissentliches oder unwissentliches – Nichtbeachten dieser Regelungen zu einem Schaden für einen Partner kommt, muss dieser gerade im Sinnes des partnerschaftlichen Verhältnisses darauf aufmerksam machen und auf mögliche Folgen hinweisen. Dies und nicht mehr ist geschehen. Der eingehaltene, aber in der vorliegenden Konstellation keineswegs zwingende Grundsatz, Information vor Sanktion‘ spricht für sich."

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