Gesundheitspolitik

Finanznot der Kassen noch größer als befürchtet

Die letzte Woche zusammengetretene Regierungskommission soll dennoch bis zum Sommer eine Lösung finden

Berlin (lk/ks). Die "Regierungskommission zur nachhaltigen und sozial ausgewogenen Finanzierung des Gesundheitswesens" ist am 17. März erstmals zusammengekommen. Bei dem knapp zweistündigen Treffen unter der Leitung von Bundesgesundheitsminister Philipp Rösler (FDP) legte der Präsident des Bundesversicherungsamtes (BVA) Maximilian Gaßner dar, wie es um die Finanzsituation des Gesundheitsfonds bestellt ist: Im schlimmsten Fall werden ihm im nächsten Jahr 15 Mrd. Euro fehlen.

Rösler erklärte im Anschluss an die Sitzung, es sei "einmal mehr deutlich geworden, dass die anstehenden Probleme im Gesundheitswesen nur durch Verbesserung des Systems zu lösen sind". Tatsächlich ist die Finanznot der gesetzlichen Krankenversicherung groß. Nach Berechnungen des BVA wird dem Gesundheitsfonds im Jahr 2011 ein Betrag zwischen mindestens 6,8 Mrd. Euro und bis zu 15 Mrd. Euro fehlen. Im Bundesgesundheitsministerium (BMG) geht man derzeit von einem Mittelwert von rund 11 Mrd. Euro aus – mit Steuerzuschüssen sei das nicht mehr abzufedern, erklärte Gesundheitsstaatssekretär Stefan Kapferer einen Tag nach dem Treffen. Deshalb müsse der Einstieg in ein System mit individuellen Zusatzprämien geschaffen werden.

Der gesundheitspolitische Sprecher der Union, Jens Spahn, hält gar das "worst case"-Szenario für "relativ realistisch". Grundlage für die Berechnung sind nach Spahns Angaben stagnierende Einnahmen des Gesundheitsfonds und um fünf Prozent steigende Ausgaben der gesetzlichen Krankenkassen. Angesichts dieser Finanzentwicklung gerieten einige Krankenkassen bereits 2011 an die Grenzen ihrer Finanzierbarkeit. Der auf ein Prozent begrenzte Zusatzbeitrag reiche "bei besonders schlechter Entwicklung" dann nicht mehr aus, die Finanzlücke zu schließen, betonte auch Spahn.

Infrage gestellt wird bei den Gesundheitspolitikern der Koalition inzwischen, ob die geplante schrittweise Einführung einer Kopfpauschale ausreicht, die Finanzprobleme der GKV zu beheben. Möglicherweise sei auch ein höherer Einheitsbeitrag zum Gesundheitsfonds erforderlich. Skeptisch eingeschätzt wird zudem, ob der Arbeitgeberbeitrag angesichts der GKV-Kostendynamik wie beabsichtigt eingefroren werden kann. Zumindest mittel- bis langfristig könne man die Arbeitgeber bei der Finanzierung der zusätzlichen Gesundheitskosten nicht gänzlich außen vor lassen.

Probleme treten auch bei der praktischen Umsetzung des notwenigen Sozialausgleichs auf: So liegen in Deutschland wegen der Trennung von Steuer- und Sozialsystemen keine verlässlichen Einkommensdaten vor. Auch verhindert die kürzlich eingeführte Abgeltungssteuer auf Zinseinkünfte die exakte Erfassung von Kapitaleinkünften. Einig ist man sich in der Koalition, dass für den Sozialausgleich alle Einkünfte der Versicherten herangezogen werden sollen.

Angesicht der Fülle der Probleme auch bei der technischen Umsetzung wächst in der Koalition die Skepsis, dass die Kopfprämie wie geplant zum Jahreswechsel eingeführt werden kann. Im BMG gibt man sich allerdings unbeeindruckt: Bis zum Sommer werde die Kommission eine Lösung für den schrittweisen Umbau des Gesundheitssystems vorlegen, sagte Kapferer. Dann sei auch eine Verkündung im Gesetzblatt zum 1. Januar 2011 zu schaffen.

Rabattverträge unter Beobachtung

Auf jeden Fall soll bis zu diesem Zeitpunkt – wenn nicht schon früher – im Arzneimittelmarkt aufgeräumt werden. Kapferer zufolge werden die Eckpunkte der Arzneisparpläne seines Hauses derzeit abgestimmt und das Konzept "schon bald" vorgestellt. Auch Spahn erklärte, dass spätestens zum 1. Januar 2011 ein Preismoratorium für neue Arzneimittel und ein "Pharma-Soli" kommen werden. Kapferer sagte, dass auch die langfristigen Folgen der Rabattverträge genau angeschaut würden. Was man nicht wolle sei, dass infolge der Verträge auf der Anbieterseite Oligopole oder gar Monopole entstehen. Gegenwärtig sei allerdings noch eher eine Marktverschiebung innerhalb größerer Konzerne zu beobachten. Tochtergesellschaften ohne Außendienst könnten Zuwächse verzeichnen, die in anderen Töchtern mit kostspieliger Struktur verloren gingen. "Einen dramatischen Niedergang der Generikaindustrie sehen wir noch nicht", so Kapferer. Dennoch werde man die Situation beobachten und darüber reden, wie dem Kellertreppeneffekt bei den Generikapreisen zu begegnen ist.

Auch die langfristigen Compliance-Probleme von Rabattverträgen seien dem Ministerium bewusst. Daher prüfe man derzeit, ob es ein Verfahren geben kann, das es Patienten ermöglicht durch eine Aufzahlung beim bekannten Präparat zu bleiben. Kapferer verhehlte auch nicht, dass man im BMG über weitere Einsparungen auf Ebene des Großhandels und der Apotheken diskutiere. Was den Apothekenabschlag betrifft, so wolle man zunächst abwarten, wie das vom GKV-Spitzenverband angestrengte Klageverfahren gegen den Schiedsspruch ausgehe. Vorher werde man hier nicht tätig werden, so der Staatssekretär. Die vom Schiedsamt beschlossene Absenkung des Abschlags von 2,30 auf 1,75 Euro werde im Ministerium weiterhin kritisch gesehen.

Die Regierungskommission wird am 21. April das nächste Mal zusammentreten. Ergebnisse werden auch von der zweiten Sitzung nicht erwartet. Zur Zeit gilt in der Koalition noch die Absprache, bis zur Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen am 9. Mai beim Thema Gesundheitsprämie "nicht konkret zu werden". Ungeachtet der streitigen öffentlichen Diskussion zeichnet sich in der Regierungskoalition jedoch eine Annäherung bei der Einführung einer Kopfprämie ab: Weitgehend Konsens herrscht darüber, aus dem derzeitigen Zusatzbeitrag eine Prämie in Höhe von 20 bis 40 Euro zu entwickeln. Die Höhe der Prämie hängt davon ab, ob der 0,9-prozentige Beitragsanteil, der derzeit von den Versicherten alleine bezahlt wird, in die Prämie integriert wird, oder bestehen bleibt.

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