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OTC auf der Kippe?

Die Festschreibung der Pick-up-Stellen im gesetzes-technischen Schnellverfahren ist wohl vom Tisch. Doch das Thema wird uns erhalten bleiben. Wenn die Luxemburger Richter die Rechtmäßigkeit des Fremdbesitzverbotes bestätigen sollten, dürften die Pick-ups zum wichtigsten Angriffspunkt gegen die Individualapotheke werden. Immerhin ist nun Zeit genug, um Argumente zu sammeln und Konsequenzen aufzuzeigen. Dabei muss deutlich gemacht werden: Pick-up-Stellen in Kombination mit einem Rezeptsammelverbot sind kein annehmbarer "Kompromiss". – Doch warum sollte ein Drogeriemarkt eine Pick-up-Stelle betreiben, wenn er keine Rezepte sammeln darf? Ganz klar, um sich als Bezugsquelle für nichtverschreibungspflichtige Arzneimittel zu empfehlen. Jede Form der Pick-up-Stellen, ob mit oder ohne Rezeptsammlung, ob mit oder ohne eigenen Raum, ob mit oder ohne sachkundige Person, würde neue Fakten schaffen. Gerade bei einer unterschiedlichen Handhabung von Rezepten und anderen Arzneimittelwünschen würden sich die Pick-ups nahtlos in eine Kette der konsequenten Bagatellisierung nichtverschreibungspflichtiger Arzneimittel einreihen.

Den Anfang machte einst die Negativliste der "Bagatellarzneimittel". Im nächsten Schritt wurde 2004 die Verschreibungsfähigkeit der OTC-Arzneimittel zulasten der GKV grundsätzlich abgeschafft – von wenigen Ausnahmen abgesehen. Ihre Preise sind frei kalkulierbar. Das hat sie zum Gegenstand intensiver preisbezogener Publikumswerbung gemacht. Was früher als marktschreierisch verpönt oder verboten war, wird heute sogar vom Kartellamt erwartet. Allein wegen der freien Preisbildung betrachtet auch eine Behörde nichtverschreibungspflichtige Arzneimittel als ein ganz normales Konsumgut. Dass dies erklärungsbedürftige Produkte mit allen regulatorischen Anforderungen des Arzneimittelgesetzes und einem strengen Zulassungsverfahren sind, interessiert in der öffentlichen Wahrnehmung kaum noch jemanden.

Aus Verbrauchersicht sind die nichtverschreibungspflichtigen Arzneimittel zu einem Konsumgut geworden. Von verantwortungsbewusster Selbstmedikation ist immer weniger die Rede. Dies zeigt auch ein Blick ins Internet. Wer den Namen eines beliebigen OTC-Arzneimittels in eine Suchmaschine eingibt, erhält meist diverse Angebote oder Preisvergleiche als Antworten. Die Seite des Herstellers, der über die Wirksamkeit des Produktes informiert, muss man dagegen manchmal erst mühsam suchen. Offenbar interessieren sich die Internetnutzer mehr für den Preis als für den Nutzen der OTC-Arzneimittel. Das mag zeigen, dass die wirklich Interessierten eher in der Apotheke nachfragen als im Internet zu suchen, es zeigt aber auch den Konsumcharakter. Wenn die OTC-Arzneimittel so entwertet werden, ist es kein Wunder, dass ihre Umsätze zurückgehen, obwohl es nie zuvor so viele und so wirksame Arzneimittel ohne Rezept gab. Offensichtlich schadet die Bagatellisierung dem Ansehen der Produkte und ihrem Umsatz. Das große Angebot wirksamer rezeptfreier Arzneimittel, die nicht mehr ernst genommen werden, erhöht aber auch die Gefahr des Miss- und Fehlgebrauchs der vermeintlichen Bagatellprodukte.

Der nächste Schritt in dieser Entwertung der OTC-Arzneimittel wäre die zwanglose Bestellung und Aushändigung der bestellten Waren in einer Pseudo-Apotheke. Dann würde der übernächste Schritt wohl nicht mehr lange auf sich warten lassen: Welcher Politiker würde vor diesem Hintergrund noch für die Apothekenpflicht der vermeintlich so unproblematischen "Konsumartikel" eintreten? Wenn das Ansehen der OTC-Arzneimittel erst einmal ruiniert ist, gibt es keinen Grund mehr für eine ordnungspolitische Sonderbehandlung. Darum ist die Apothekenpflicht ohnehin in Gefahr, mit Pick-ups wäre sie unmittelbar bedroht. Wenn aber die Apothekenpflicht fällt, wäre ein positiver Ausgang des Luxemburger Verfahrens zum Fremdbesitz für die Apotheker nur noch die Hälfte wert. Dann könnten sich die Apotheker weiterhin mit Rabattverträgen, Retaxationen und Rezepturen herumärgern. Das Geschäft mit OTC-Arzneimitteln würden Drogeriemärkte im Fremdbesitz machen, ohne sich dabei an lästige Regularien halten zu müssen.

Um Ihnen den Alltag mit den vielfältigen Erschwernissen des Apothekenbetriebs etwas zu erleichtern, starten wir in diesem Heft eine Serie zum Thema "Retaxfallen". Dabei geht es um Situationen im Apothekenalltag, die zunächst unproblematisch erscheinen und doch häufig zu Retaxationen führen. Sie beruht auf einer Sammlung des Apothekers Dieter Drinhaus aus Eichendorf, der Kontakt zu vielen Kollegen hält, die von Retaxationen betroffen sind. Eine Veröffentlichung dieser Erfahrungen als Buch wird vorbereitet. Vorab präsentieren wir Ihnen in der DAZ einige besonders typische Beispiele aus dieser Sammlung, damit Sie Ihre Vorgehensweise beim Umgang mit Rezepten überprüfen können und nicht in eine "Retaxfalle" geraten.


Thomas Müller-Bohn

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