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"Wir haben die Notbremse gezogen"

Warum die ABDA bei Pick-up-Stellen mitgestalten möchte – Interview mit ABDA-Präsident H.-G. Wolf

Der Schriftwechsel zwischen der ABDA und dem Bundesgesundheitsministerium zur rechtlichen Ausgestaltung von Pick-up-Stellen hat in Politik und Berufsöffentlichkeit für massive Unruhe gesorgt (siehe auch Apotheker Zeitung vom 9. Februar). Warum ändert die ABDA ihre Strategie, die Etablierung von Pick-up-Stellen generell abzulehnen? Warum zeigt sie sich gegenüber der Absicht des BMG offen, Pick-up-Stellen für die Abholung von Arzneimitteln in Drogeriemärkten etc. zu legalisieren? In einem Gespräch mit Peter Ditzel nimmt ABDA-Präsident Heinz-Günter Wolf zu Motiven und Absichten Stellung.

ABDA-Präsident Wolf " Für ein Verbot von Pick-up-Stellen gibt es derzeit keine politischen Mehrheiten."
Foto: ABDA

DAZ: Wie dem Briefwechsel zwischen ABDA und dem Parlamentarischen Staatssekretär beim BMG, Rolf Schwanitz, zu entnehmen ist, müssen wir uns wohl bald endgültig mit der Existenz von Pick-up-Stellen für Arzneimittel in Drogeriemärkten etc. abfinden. Die ABDA hat dem BMG Vorschläge für eine Regulierung der Abholstellen unterbreitet und – unter bestimmten Voraussetzungen – Ihr Placet für die (Fort-)Existenz von Pick-ups gegeben. Warum diese Kehrtwende? Bisher hat sich die ABDA doch vehement gegen apothekenexterne Arzneimittelabholstellen ausgesprochen…

Wolf: Wir haben in unserer Politik keine Kehrtwende vollzogen. Die ABDA ist nach wie vor der Auffassung, dass es keine unterschiedlichen Sicherheitsstandards zwischen Human- und Tierarzneimittel geben darf. Es ist für uns keine Frage, dass der Versandhandel für Humanarzneimittel verboten werden muss. Und mit einem solchen Verbot hätten sich automatisch auch die Ausfransungen mit Pick-up-Stellen erledigt. Wir sind nach wie vor zutiefst davon überzeugt, dass diese Haltung richtig ist. Aber wir haben schmerzlicher Weise sowohl vom Bundesgesundheitsministerium als auch von der SPD und der Unionsfraktion erfahren müssen, dass es dafür und erstaunlicherweise auch für ein Verbot von Pick-up-Stellen für Arzneimittel derzeit keine politischen Mehrheiten gibt.


DAZ: Wirklich nicht…?

Wolf: Absolut nicht – das wurde uns in aller Deutlichkeit gesagt. Man sei allenfalls bereit, die Auswüchse, die sich durch die Pick-up-Stellen ergeben, zu regulieren und bestimmte Schwellen einzuführen.


DAZ: Welche Auswüchse meinen Sie?

Wolf: Zu den Auswüchsen gehört die Entwertung des Arzneimittels an sich. Es wird der Eindruck erweckt, dass apothekenpflichtige Arzneimittel in Schlecker- und dm-Drogeriemärkten zu bekommen seien und nicht nur in den Apotheken – eine Riesengefahr für die Apothekenpflicht, die dem Verbraucherschutz dient und nicht zum Schutz der Apotheken da ist. Außerdem wird durch Pick-up-Stellen ungleicher Wettbewerb erzeugt. Wir haben so faktisch zwei Vertriebslinien: zum einen eine Arzneimittelversorgung auf höchstem Niveau durch die öffentlichen Apotheken vor Ort – sie gewährleisten nicht nur die Arzneimittelsicherheit, sondern erfüllen auch Gemeinwohlverpflichtungen. Und zum anderen die Vertriebslinie über den Versandhandel – auch aus den Niederlanden – auf niedrigstem Level. Für diese ausländischen Apotheken bestehen zudem keine Gemeinwohlverpflichtungen. Für die öffentlichen Apotheken vor Ort ist dies ein echter Wettbewerbsnachteil.


DAZ: …und trotzdem geben Sie grünes Licht? Warum haben Sie das Angebot des BMG zur "konstruktiven Mitarbeit" in Sachen Pick-up nicht einfach abgelehnt?

Wolf: Ursprünglich waren auch wir für ein klares Nein und der Auffassung, hier nicht mitzuspielen. Man hat uns dann aber sowohl von Seiten des BMG als auch von Seiten der SPD und der CDU/CSU zu verstehen gegeben, dass dies einem Pokerspiel gleichkomme. Und beim Pokern kann man gewinnen, aber man kann auch verlieren. Man bot uns daher die Mitarbeit bei der Aufstellung von Sicherheitsvorgaben an. Die Alternative wäre gewesen, dass das Ministerium ansonsten Kriterien ohne uns erarbeitet. Wenn dann die Arzneimittelversorgung aus dem Ruder gelaufen wäre, hätte uns die Politik entgegen gehalten: Ihr habt kein Recht zur Kritik, Ihr habt Euch ja geweigert, bei der Pick-up-Frage aktiv mitzuarbeiten. Eine wahnsinnig schwere Entscheidung für uns!


DAZ: Dennoch gibt es gewichtige Stimmen, die es als großen strategischen Fehler bezeichnen, dass sich die ABDA auf das "Spiel" des Ministeriums eingelassen hat. Der Vorwurf: Durch ihre rechtliche Adelung in einer Art Betriebsordnung werden Pick-ups in Drogeriemärkte etc. zu offiziellen Vertriebsstätten für Rx-Arzneimittel. Die Aushöhlung der Apothekenpflicht durch Drogerie- und Supermarktketten schreitet dadurch noch weiter voran. Steckt darin nicht eine Riesengefahr?

Wolf: Das gesamte Thema ist sehr komplex, für manchen schwer zu durchschauen und gerade deshalb nicht ohne Risiken. Eine echte Gefahr wäre es, wenn Mitarbeiter in Pick-up-Stellen eine besondere Qualifikation haben müssten. Solche Vorstellungen hatte das BMG ursprünglich. Das ist jetzt vom Tisch.


DAZ: Diese Gespräche zwischen BMG und ABDA gingen der "ABDA-Stellungnahme zur Ausgestaltung des Versandweges für Arzneimittel über ‚Pick-up-Stellen‘" und Ihrer Korrespondenz mit Staatssekretär Rolf Schwanitz voraus?

Wolf: Ja, das war noch davor. Dann wurden aber von den Koal-itionsparteien deutliche Signale und Gesprächswünsche an uns herangetragen. Man erklärte, die Fraktionen seien bereit, gemeinsam darüber nachzudenken, wie man hier weiterkomme. Erst dann ist der vorliegende Briefwechsel im Dialog mit den Fraktionen und dem BMG entstanden. Es wäre uns nicht geheuer gewesen, wenn die Fraktionen allein, ohne unsere Mithilfe, etwas ausgearbeitet und vorgeschlagen hätten. Wir wussten bereits von zwei Szenarien: beide sahen eine Personalvorgabe für Arzneimittel-Pick up-Stellen vor. In einem Szenario war Low-level-Personal vorgesehen, und im zweiten Szenario hat man sogar an die Anwesenheitspflicht von Apothekern bzw. an die Teilnahme der Pick-up-Stellen-Betreiber am Notdienst gedacht. Bei Licht betrachtet wäre das die Zulassung des Fremdbesitzes durch die Hintertür gewesen. Da haben wir die Notbremse gezogen und beschlossen, aktiv mitzugestalten.


DAZ: Pick-up-Stationen als "Apotheken light" – in der Tat eine Horrorvorstellung. Aber drohte die Gefahr wirklich?

Wolf: Ja, was hier hätte entstehen können, wäre eine Apotheke im Sinne des Wortes gewesen – aber ohne die Pflichten einer Apotheke.


DAZ: Was entgegnen Sie Kritikern, die befürchten, dass es von der Etablierung rechtlich ausgestalteter Pick-up-Stationen bei Schlecker zum unmittelbaren Verkauf von OTC-Arzneimitteln beim Discounter nur ein kurzer Weg ist?

Wolf: In der Tat, da sehe ich auch eine gewisse Gefahr. Aber da gibt es zurzeit eindeutige Aussagen von allen Parteien im Bundestag und vom BMG, dass das für niemanden infrage kommt. In dieser Frage besteht ein klarer Konsens zwischen Regierungsparteien und Opposition.


DAZ: Setzen wir einmal voraus, dass im Rahmen der 15. AMG-Novelle gesetzlich ein Rezeptsammelverbot in Gewerberäumen verankert wird: Hat sich dann Ihrer Ansicht nach die Pick-up-Problematik tatsächlich erledigt?

Wolf: Ich könnte mir das vorstellen und wünsche es mir natürlich auch. Aber wir müssen noch das Votum des Bundesrats abwarten. Denn die Regierungsparteien möchten, dass die Aufsicht über die Pick-up-Stellen in der Zuständigkeit der Länder liegt. Im März wird der Bundesrat darüber befinden.


DAZ: Das heißt, das Rezeptsammelverbot in Drogeriemärkten und anderen Gewerbebetrieben ist noch nicht in trockenen Tüchern?

Wolf: Nein, es ist überhaupt nichts in trockenen Tüchern. Mit einer schmerzlichen Ausnahme: In diesem Jahr werden wir wohl kein Verbot des Versandhandels mehr bekommen, weil es auf Länder- wie auf Bundesebene dafür keine politischen Mehrheiten gibt.


DAZ: Herr Wolf, vielen Dank für das Gespräch!

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