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Klimawandel – eine Herausforderung auch für Heilberufler

Anthony Costello, Co-Direktor des Institute for Global Health am University College London (UCL) und Leiter der "Lancet and UCL Institute for Global Health Commission", konnte sich bis zu Beginn des Jahres 2008 nicht vorstellen, dass der Klimawandel viel mit Gesundheit zu tun haben könnte [1]. Er ließ sich schnell eines Besseren belehren und legte nach zwölfmonatiger Arbeit den Bericht der genannten Kommission vor, der sehr eindringlich vor den Gefahren der Klimaerwärmung für die Gesundheit warnt und Politiker und Zivilgesellschaft zum Handeln aufruft [2].
Der Klimawandel trifft die Bevölkerung in den Tropen besonders hart.
Foto: DAZ Archiv

 

Wie sehr dieses Thema auch insbesondere Apothekerinnen und Apotheker angehen kann, wird exemplarisch am rasanten Artensterben und dem damit verbundenen Verlust an potenziellen neuen Arzneistoffen deutlich. Beispielsweise entdeckten Forscher in den 1980er Jahren im australischen Regenwald eine Froschart, die ihre Eier verschluckte und im eigenen Magen bis zur Kaulquappe heranreifen ließ, um sie dann wieder auszuspeien. Auch Frösche setzen im Magen Säure, Verdauungsenzyme und Substanzen frei, die die Nahrung im Verdauungstrakt weiterwandern lässt. Somit mussten diese Frösche, um die Verdauung ihrer Nachkommen zu verhindern, einen Mechanismus besitzen, der die Sekretion verdauungsfördernder Stoffe blockiert. Die Aufklärung dieses Mechanismus hätte für die Therapie von Magengeschwüren hilfreich sein können, einem Leiden, das allein in den USA 25 Millionen Menschen betrifft. Die Erforschung dieser Froschart konnte aber leider nicht fortgesetzt werden, da sie zwischenzeitlich ausstarb [3].

Wie Eisbären vom Klimawandel bedroht sind, ist inzwischen fast täglich in den Medien zu verfolgen. Eisbären produzieren eine spezielle Gallensäure, die Ursodeoxycholsäure, die es ihnen ermöglicht, ihre sehr fettreiche Nahrung zu verdauen, und sie zugleich vor Gallensteinen schützt [3]. Der Mensch behandelt mit dieser Ursodeoxycholsäure (die heute übrigens nicht mehr von Bären stammt, sondern partialsynthetisch aus Ochsengalle von Schlachtvieh hergestellt wird) bestimmte Formen der Leberzirrhose und Cholesterol-Gallensteine [4].

Der durch den Menschen verursachte Verlust an Biodiversität, der neben anderen Ursachen wie der Umweltzerstörung und dem Ressourcenverbrauch auch der Klimaerwärmung geschuldet ist, hat eine Geschwindigkeit erreicht, die auf das 100- bis 1000-Fache des normalen Artensterbens geschätzt wird und von einigen Biologen als "das sechste große Artensterben" der Erdgeschichte bezeichnet wird.

Das fünfte Artensterben liegt etwa 65 Mio. Jahren zurück; damals verschwanden auch die Saurier von der Erde [3].

Vermutlich ist die Mehrheit der Arten, die die Erde bevölkern, noch gar nicht entdeckt. So wurden allein zwischen Oktober 2007 und Oktober 2008 mehr als 1000 neue Arten identifiziert und fast 100 vorher unbekannte Bakterien auf der menschlichen Haut gefunden. Wenn man nun in Betracht zieht, dass auch heute noch ungefähr die Hälfte der 100 am häufigsten verschriebenen Medikamente in den USA und etwa die Hälfte der von der FDA in den letzten 25 Jahren zugelassenen Medikamente ihren Ursprung in der belebten Natur haben, so wird deutlich, wie der Verlust an Biodiversität die Medizin und Pharmazie betrifft [5].

Gerade die Ozeane haben in den letzten Jahren wertvolle neue Stoffe wie beispielsweise das Zytostatikum Trabectedin (Yondelis® , aus einer Seescheidenart) zum therapeutischen Arsenal beigetragen. Mayer et al. etwa stellten fest, dass zwischen 2005 und 2006 über 130 neue Stoffe marinen Ursprungs mit Antitumorwirkung entdeckt wurden [6]. Die britische Botanical Gardens Conservation International warnt vor dem massiven Artenverlust (insbesondere bei Pflanzen) durch die Zerstörung der Regenwälder, Korallenriffe und anderer Lebensräume und dem damit einhergehenden Verlust an möglichen Tumortherapeutika [7]. Als häufig verwendeten Zytostatika pflanzlicher Herkunft seien hier nur die Taxane (Kalifornische Eibe), die Camptothecine (Chinesischer Glücks-, Lebens- oder Krebsbaum), Vinca-Alkaloide (Madagassisches Immergrün) und Etoposid (Fußblatt oder Maiapfel) erwähnt [7].

Mehr Ernteschäden und Infektionskrankheiten

Auch wenn sich beispielsweise die Bewohner Grönlands möglicherweise freuen, dass sie bald wieder Rinderhaltung betreiben können wie ihre Wikinger-Vorfahren während einer Wärmeperiode im Mittelalter [8], so steht doch außer Zweifel, dass die Mehrheit der Menschen unter dem Klimawandel leiden wird. Beispielsweise werden weltweit die Bedingungen für die Landwirtschaft durch vermehrten Schädlingsbefall und eine Zunahme von Dürren, Stürmen und Überschwemmungen schwieriger werden. Darüber hinaus gefährden zunehmend extreme Wetterereignisse Gesundheit und Leben vieler Menschen auch unmittelbar.

Weiterhin werden sich vermutlich Infektionskrankheiten wie Malaria und Dengue-Fieber stärker ausbreiten und könnten auch bald den Menschen in den gemäßigten Breiten zu schaffen machen [2].

Internet

Climate and Health Council

www.climateandhealth.org

Der Klimawandel trifft vor allem die Armen

Dass es die ärmeren Menschen im Süden ungleich mehr trifft als die reichen Industrienationen, prophezeiten bereits das Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) im Jahr 2007 und die WHO im Jahr 2003. Die negativen Auswirkungen auf die Gesundheit werden beispielsweise für Menschen in Afrika um den Faktor 500 höher eingeschätzt als für Menschen in Europa. Direkte Folgen des Klimawandels wie die Zunahme von Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Diarrhöen, Malaria, Überschwemmungen und Unterernährung führten im Jahr 2000 vermutlich bei 5,5 Millionen Menschen zu vorzeitigem Tod oder Behinderung. Es ist eine Ironie des Schicksals, dass die Hauptleidtragenden den Klimawandel kaum mit verursachen. "Die Reichen werden ihre Welt wahrscheinlich teurer, mühseliger, unbehaglicher, zerrissen und farblos erleben; insgesamt rauer und schwieriger vorhersehbar. Die Armen werden einfach sterben." [2]

Durch gesunden Lebensstil Klimaerwärmung bremsen

Die Lancet-UCL-Kommission fügt sich in die Reihe derer ein, die niedrigere Kohlendioxid-Emissionen fordern und hier insbesondere die Industrienationen ansprechen. Mit einer Reduktion des individuellen motorisierten Straßenverkehrs und des Luftverkehrs sowie mit einem geringeren Verbrauch an Fleisch in den reichen Ländern könnten gleich zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen werden, indem der Klimawandel gebremst und die Gesundheit durch einen gesünderen Lebenswandel gefördert wird [2].

Dass "Green Cities" mit gutem öffentlichen Nahverkehr und attraktiven Bewegungsmöglichkeiten mit dem Fahrrad oder zu Fuß die Lebensqualität der Städte und die Gesundheit ihrer Bewohner erhöhen können, haben auch die USA mit ihren endlos zersiedelten Vorstädten erkannt. Dabei blicken sie interessiert nach Deutschland und Holland, wo weitaus mehr Wege mit dem Rad oder zu Fuß zurückgelegt werden [9, 10].

Eine aktuelle Studie schätzt, dass in London und Delhi durch die Reduktion des motorisierten Individualverkehrs und das vermehrte Zurücklegen von Wegen zu Fuß oder mit dem Rad über 500 Todesfälle durch Herz-Kreislauf-Erkrankungen, diverse Tumorarten und andere Erkrankungen pro 1 Million Einwohner und Jahr weniger auftreten könnten [11].

Das britische National Institute for Health and Clinical Excellence (NICE) hat 2008 einen Leitfaden zur Gestaltung gesünderer städtischer Lebensräume mit dem Ziel der Förderung körperlicher Aktivität herausgegeben. Darin werden Politiker und Stadtplaner unter anderem aufgefordert, bei Planungen stets den Rad- und Fußverkehr bevorzugt zu berücksichtigen [12].

Auch unsere Ernährungsgewohnheiten und damit auch die Landwirtschaft sollten wir ändern. Über eine Milliarde Menschen – ein Sechstel der gesamten Menschheit – sind laut der Menschenrechtsorganisation FIAN International unterernährt, 100 Millionen mehr als noch vor einem Jahr [13]. Viehhaltung und Fleischproduktion sind im Vergleich zur Produktion von pflanzlichen Nahrungsmitteln besonders energieintensiv und machen 80% der Treibhausgasemissionen des Agrarsektors aus. Dabei ist der Konsum von 200 bis 250 g Fleisch pro Tag und Kopf in den reichen Ländern eher ungesund und wird mit dem vermehrten Auftreten von Darm- und Brustkrebs, koronarer Herzkrankheit und Übergewicht in Verbindung gebracht [14]. Eine neuere Studie fand heraus, dass die Zahl der Todesfälle durch Herzerkrankungen in England um 17% oder 18.000 pro Jahr sinken könnte, wenn der Fleischkonsum um 30% eingeschränkt würde [15]. Dagegen führt der Fleischmangel in den armen Ländern zu Wachstumsverzögerungen bei Kindern und zu häufigerem Auftreten von Schlaganfällen. Somit kämen eine Reduktion des Fleischverbrauchs in den Industrienationen und eine Erhöhung in den Ländern des Südens auf etwa 90 g pro Tag dem Klima und der Gesundheit zugute [14].

Gesundheitssektor

Ein Blick auf den Gesundheitssektor zeigt, dass dieser vergleichsweise viel Energie verbraucht und einen bedeutenden Teil der Treibhausgasemissionen verursacht [5]. Zudem tragen Krankenhäuser einen erheblichen Anteil zum Abfallaufkommen bei, in den USA etwa 6600 Tonnen pro Tag, wovon etwa 20% Sondermüll darstellen [16].

Fazit

  • Der Klimawandel ist da und wird die menschliche Gesundheit in vielerlei Hinsicht auch bei uns beeinflussen.
  • Der Verlust an Biodiversität wird das Auffinden neuer Arzneistoffe erschweren.
  • Infektionskrankheiten werden vermutlich zunehmen, ebenso die Bedrohung durch extreme Wetterereignisse.
  • Die sinkende landwirtschaftliche Produktion wird mehr Menschen hungern und für Krankheiten anfälliger werden lassen, wenn keine Gegenmaßnahmen eingeleitet werden.
  • Die in den Gesundheitsberufen Tätigen könnten ihr spezielles Wissen und ihre Möglichkeiten einsetzen, um die Öffentlichkeit über Zusammenhänge zwischen Klimawandel und Gesundheit zu informieren, und sich im ambulanten Bereich, in den Kliniken und auf gesellschaftlicher und politischer Ebene für eine nachhaltigere Klimapolitik engagieren [15]. Tipps und Anregungen hierzu finden sich beispielsweise in Aufsätzen im Fachblatt British Medical Journal [17, 18] sowie auf der Website des Climate and Health Council (s. o.).

 

Literatur

[1] Honigsbaum M. Anthony Costello: making climate change part of global health. Lancet 2009;373:1669.

[2] Costello A, et al. Managing the health effects of climate change. Lancet 2009;373:1693–1733.

[3] Chivian E, Bernstein A. Sustaining life: how human health depends on biodiversity. New York: Oxford University Press, 2008.

[4] Dr. Falk Pharma GmbH, persönliche Mitteilung 25.6.2009.

[5] Bernstein AS, Ludwig DS. The importance of biodiversity to medicine. JAMA 2008;300:2297–9.

[6] Mayer AMS, Gustafson KR. Marine pharmacology in 2005–2006: Antitumour and cytotoxic compounds. Eur J Cancer 2008;44:2357–87.

[7] Brower V. Back to nature: extinction of medicinal plants threatens drug discovery. J Natl Cancer Inst 2008;100:838–9.

[8] Diamond J. Kollaps: Warum Gesellschaften überleben oder untergehen. Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main 2006.

[9] Geller AL. Smart growth: A prescription for livable cities. Am J Public Health 2003;93:1410–15.

[10] Pucher J, Dijkstra. Promoting safe walking and cycling to improve public health: Lessons from The Netherlands and Germany. Am J Public Health 2003;93:1509–16.

[11] Woodcock J, et al. Health and Climate Change 2. Public health benefits of strategies to reduce greenhous-gas emissions: urban land transport. Lancet 2009; published online 25 November; doi:10.1016/S0140-6736(09)61714-1. 

[12] National Institute for Health and Clinical Excellence. Physical activity and the environment; www.nice.org.uk/guidance/PH8. 

[13] FIAN International. FIAN demands profound changes to address the dramatic increase of hunger; www.fian.org/news. 

[14] McMichael AJ, et al. Energy and Health 5: Food, livestock production, energy, climate change, and health. Lancet 2007;370:1253–63.

[15] Friel S, et al. Health and Climate Change 4. Public health benefits of strategies to reduce greenhouse-gas emissions: food and agriculture. Lancet 2009; published online 25 November; doi:10.1016/S0140-6736(09)61753-0.

[16] Hospitals for a Healthy Environment. http://cms.h2e-online.org/ee/waste-reduction.

[17] McMichael AJ, et al. Global environmental change and health: impacts, inequalities, and the health sector. BMJ 2008;336:191–4.

[18] Griffiths J, et al. Ten practical steps for doctors to fight climate change. BMJ 2008;336:1507.

 


Autor
 

Dieter Kaag

Thoraxklinik Heidelberg, Klinikapotheke

Amalienstr. 5, 69126 Heidelberg

dieter.kaag@thoraxklinik-heidelberg.de

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