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Der Viramune-Rückruf und seine Hintergründe

Peter Ditzel

Mitte November rief die Firma Boehringer Ingelheim eine bestimmte Charge ihrer Viramune 200 mg Tabletten vom Markt zurück. Es bestand Verdacht auf Arzneimittelfälschung. Dieser Verdacht hat sich mittlerweile bestätigt. Ein Skandal auf dem deutschen Arzneimittelmarkt.

Wie unsere Nachfragen ergeben haben, stammen die zurückgerufenen Arzneimittel aus einem Donation-Programm des Herstellers. Boehringer spendete mehrere tausend Packungen des Aids-Präparates für den afrikanischen Markt. Ein in Belgien ansässiger Händler hat diese Ware irgendwo im afrikanischen Raum aufgekauft, wo und wie dieses Geschäft ablief und ablaufen konnte, ist noch nicht umfassend geklärt. Die Ware wurde dann an einem unbekannten Ort umgepackt. Gefälscht wurden Blister, Beipackzettel und Umkarton. Es handelt sich also im Fall Viramune um eine Packmittelfälschung. Einzig die Tablette selbst ist nicht gefälscht, so dass keine unmittelbare Gefahr für die Patienten bestand.

Die Ware kam dann über Belgien nach Deutschland zu einem Arzneimittelhändler, eine Art Zwischenhändler, von dem etablierte Pharmagroßhändler die Ware angekauft haben müssen. Denn: die Apotheken erhielten die gefälschten Viramune-Packungen über ihre Großhändler. Dieses gefährliche Spiel soll bereits seit zwei Jahren laufen.

Durch einen Zufall, wie so oft, flog dieser Kreislauf der Präparate auf: Eine HIV-Patientin erhielt in einer norddeutschen Apotheke ein Aids-Präparat (in diesem Fall nicht Viramune) und musste zu Hause feststellen, dass ein Blisterstreifen leer ist, keine Tabletten enthielt. Daraufhin reklamierte die Apotheke. Der Weg dieses Präparats konnte zurückverfolgt werden bis in das Lager des Subhändlers. Dort entdeckte man nicht nur diese gefälschten Präparate, sondern auch die umgepackten Viramune. Der Stein kam ins Rollen. Wie die Recherchen ergaben, hatten sich die Fälscher sogar der Chargennummer des Originalpräparats von Viramune bedient: unter der gleichen Chargennummer hatte auch Boehringer das Originalpräparat im Markt.

Bei Viramune sind etwa 7000 Packungen betroffen. Das Bundeskriminalamt ist mittlerweile eingeschaltet.

Deutschland rühmt sich, eine sichere und lückenlose Arzneimittelkette aufgebaut zu haben, in der Arzneimittelfälschungen eigentlich keine Chance haben: der Hersteller verkauft seine Ware an den pharmazeutischen Großhandel und dieser an die Apotheke. Doch diese Kette hat sichtlich Lücken bekommen: beim pharmazeutischen Großhändler. Er bezieht Arzneimittel eben nicht nur vom pharmazeutischen Originalhersteller, sondern auch bei Arzneimittelzwischenhändlern, einem Graumarkt. Die Frage stellt sich: warum? Die Antwort lautet wie so oft bei diesen Geschäften: des Profits wegen. Wenn solche Zwischenhändler dem Großhandel einen guten Rabatt anbieten, dann ist die Versuchung groß, dort zu kaufen. Ein Großhandel: "Wenn wir es nicht tun, dann macht es unsere Konkurrenz."

Der Großhandel wiederum wirft der Industrie vor, teilweise diesen Graumarkt zu bedienen. Womit der Großhandel natürlich nicht Unrecht hat, denn irgendwoher muss die Originalware kommen. Auch Hersteller, die beispielsweise unter Umsatzdruck stehen, verscherbeln mitunter Ware an Zwischenhändler nach dem Motto: verkauft ist verkauft, Hauptsache Mehrumsatz.

Freilich, würde man es auf allen Ebenen zwischen Hersteller, Zwischenhändlern, Großhandel und Apotheken mit ehrlichen Mitstreitern zu tun haben, könnte man solche Geschäftsabläufe als normalen Handel bezeichnen. Aber: wir haben es hier nicht mit Kaffeemaschinen oder Rasierapparaten zu tun, sondern mit Arzneimitteln. Und: es gibt eben auf allen Stufen schwarze Schafe. Daher sollte gerade eine Arzneilieferkette so wenig Zwischenebenen wie möglich haben.

Übrigens, nicht nur Boehringer ist Opfer dieser Art von Fälschungen geworden. Auch andere Firmen wie GlaxoSmithKline, Grünenthal und andere sollen von solchen Fälschungen ihrer Produkte betroffen sein.

Der jetzt durch die Viramune-Fälschung entstandene Schaden ist groß. Der Hersteller hat das Nachsehen, der seine gefälschten Produkte zurückrufen musste, dafür bereits an die Krankenkassen Herstellerrabatt zahlte, obwohl die Präparate nicht zu Lasten der Kassen abgegeben wurden. Und die Apotheken sind geschädigt, die die vom Großhandel bezogene Ware an den Hersteller zurückschicken mussten. Da es sich um gefälschte Ware handelt, können sie keine Gutschrift, keinen Ausgleich vom Hersteller dafür erwarten. Denkbar ist, dass der Apotheker von seinem Großhandel eine Rückerstattung fordert, denn dieser hat die gefälschte Ware gekauft und an die Apotheke verkauft.

Was ist die Lehre aus diesem Vorfall: Der im Bundesverband des Großhandels (Phagro) organisierte Großhandel müsste sich dazu verpflichten, Ware nur direkt vom Originalhersteller zu beziehen. In Zeiten, in denen der Markt mit gefälschten Arzneimitteln blüht, dürfte nur dies der einzige Weg sein, Arzneimittel im deutschen Markt in Verkehr zu bringen. Jeder Zwischen- Sub- und Unterhändler bedeutet ein unkalkulierbares Risiko. Einen Graumarkt darf es hier nicht mehr geben.

Peter Ditzel

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