Humanitäre Hilfe

Apotheker ohne Grenzen – Universaltalente im Einsatz

Lokale Großhändler für Arzneimittel finden, Mitarbeiter vor Ort schulen, Baupläne für Gesundheitsposten begutachten, Kontakte zu neuen Partnerorganisationen knüpfen – wenn die Helfer der Apotheker ohne Grenzen zum Einsatz in die Projektländer aufbrechen, ist die Liste ihrer Aufgaben lang und vielfältig. Im November sind vier Mitarbeiter aus Nepal und Argentinien zurückgekehrt. Sie bringen nicht nur Erfahrungen und neue Aufgaben mit nach Hause, sondern auch einen Ehrenpreis.

"Nach zwei Stunden Fußmarsch hatten wir den nächsten Gesundheitsposten in Binamare erreicht. Dort waren wir mit dem Leiter verabredet. Begrüßt wurden wir allerdings zunächst von einem Haufen mit Arzneimittelabfällen. Dieser türmte sich direkt vor dem Eingang auf. In den nepalesischen Bergen ist es üblich, Müll in eine Grube zu tragen und von Zeit zu Zeit zu verbrennen. Zäune um die Gruben sind eine Seltenheit. Hunde, die die Abfälle durchwühlen, sahen wir immer wieder. Ob da auch Kinder mit Nadeln und Tabletten spielen?", fragte sich Dr. Reinhard Behm.

Internet: www.apotheker-ohne-grenzen.de

Fingerspitzengefühl ist gefragt

Für den 63-jährigen Projektkoordinator der Apotheker ohne Grenzen (AoG) hat sich wieder einmal gezeigt, dass es nicht ausreicht, nur für die Lieferung von Arzneimitteln zu sorgen. "Wir müssen auch das Personal weiterbilden. Unsere Mitarbeiter vor Ort sollen verantwortungsvoll mit Medikamenten umgehen können. Dazu gehört nicht nur die Abgabe an die Patienten oder die Lagerung, sondern einfach alle Fragen vom Einkauf bis zur fachgerechten Entsorgung."

Den erfahrenen Pharmazeuten aus Deutschland fällt es nicht schwer, zu erkennen, worin einheimische Helfer ausgebildet werden müssen. Weitaus schwieriger ist es, diese Schulungen in die Tat umzusetzen: "Auf der einen Seite sehen wir, was schiefgeht. Manche arbeiten ohne Handschuhe. Abfälle türmen sich auf. Auf der anderen Seite lassen sich unsere health worker nicht so einfach in ihren Job reinreden. Sie können schließlich alle eine Ausbildung im Gesundheitsbereich vorweisen. Offene Fragen oder gar Kritik in großer Runde kommen nicht gut an," weiß Behms Kollegin Christl Trischler, die bei ihrer Arbeit auf Fingerspitzengfühl und interkulturelles Verständnis baut. Am besten sei es, sich im Einzelgespräch mit den einheimischen Gesundheitshelfern auszutauschen. "So kann ich jeden individuell erreichen. Dann sind die Leute auch offen für unsere Vorschläge", betont die Apothekerin. Oft ist das theoretische Wissen gar nicht schlecht, aber es hapert an der praktischen Umsetzung. Und jeder hat verschiedene Stärken und Schwächen.

Zu Fuß durch Nepals Berge

Nach nunmehr drei Projektbesuchen in den nepalesischen Bergen gewinnt die Unterstützung durch die deutschen Pharmazeuten immer mehr Konturen. Die Erwartungen sind enorm, was angesichts der Bedürftigkeit nicht verwundert. Während die Hauptstadt Kathmandu mit Apotheken auf westlichem Niveau aufwartet, ist die Bevölkerung in den Bergen um Baglung von einer ausreichenden Versorgung abgeschnitten. So beginnt der Arbeitstag der AoG-Mitarbeiter oft mit einer ausgedehnten Wanderung zu einem der Gesundheitsposten. Die Wege sind schmal und nur bei Tageslicht passierbar. Straßen gibt es nicht.

"Was für uns ganz nebenbei landschaftlich sehr reizvoll war, macht bei der Versorgung von Schwerstkranken echte Probleme. Die Kranken werden mit einfachen Tragen in die nächste Klinik gebracht", berichtet Dorothee Giese, Apothekerin aus Berlin. Deshalb stehen neue Tragen auf der Wunschliste. Quecksilberfreie Fieberthermometer und Handschuhe werden ebenfalls gebraucht. Und die Abgabetüten für Medikamente müssen so gestaltet sein, dass auch Analphabeten die Einnahmevorschriften verstehen können. Mit Zäunen und Boxen für gebrauchte Spritzen und Nadeln wird das Müllproblem angegangen.

Mexiko: einheimisches Personal schulen

Dorothee Giese nimmt ihre Erlebnisse aus Nepal nicht nur in ihren Berliner Arbeitsalltag mit, sondern noch ein paar tausend Kilometer weiter Richtung Westen: Im kommenden Frühjahr bricht sie mit einem AoG-Team nach Mexiko auf: "Meine Erfahrungen von den Schulungen in Nepal sind dort gefragt, weil die Situation ähnlich ist. Auch in Mexiko arbeiten wir für die Bevölkerung in den Bergen, auch dort sind die Gesundheitsposten weit abgelegen. Die Indios werden von der Regierung vernachlässigt."

Seit vier Jahren arbeiten die Apotheker ohne Grenzen mit der mexikanischen Stiftung Justicia y Amor zusammen und liefern essenzielle Arzneimittel in gesicherter Qualität. Die zahlreichen promotores de salud ("Gesundheitsverantwortliche") werden bereits mit Schulungsprogrammen gefördert. Aber pharmazeutische Aspekte fehlen bei den Seminaren in neun Bundesstaaten im Süden Mexikos bisher völlig. Diesen Teil werden nun Dorothee Giese und ihre Kolleginnen übernehmen: "Mit der Ausbildung erreichen wir nicht nur, dass der Versorgungsstandard steigt. Wir stärken auch die Eigenständigkeit des lokalen Personals. Langfristig werden sie unabhängig von ausländischer Hilfe agieren können," umreißt Dorothee Giese den Anspruch an das Projekt.

Gefährliches Pflaster Buenos Aires

Rund 8500 Kilometer weiter südlich, ganz im Süden Amerikas sind die Apotheker ohne Grenzen ebenfalls präsent. Im Unterschied zu Nepal und Mexiko ist der Weg ins Gesundheitszentrum von Villa Zagala in der argentinischen Hauptstadt Buenos Aires gut gepflastert. Beschwerlich ist er trotzdem: Die Sicherheitslage wird immer schlechter. Seit Beginn der Projektarbeit in Argentinien im Jahre 2002 beobachtet Apothekerin Dr. Carina Vetye-Maler eine Zunahme der Kriminalität: "Vor allem Einbrüche von Drogensüchtigen machen uns zu schaffen. Unseren Apothekerinnen und Ärztinnen müssen wir Begleitschutz für den Weg zu ihrem Arbeitsplatz geben. Das Abgabefenster der Apotheke ist vergittert, die Arzneivorräte lagern nicht in der Offizin."

Die wirtschaftliche Lage in den Favelas ist prekär. Die meisten Menschen verdienen ihren Lebensunterhalt mit Schwarzarbeit. Diese Jobs bieten keine Krankenversicherung. Das Geld reicht weder für Arzneimittel noch für eine gesunde Ernährung. Kaum eine junge Mutter weiß, dass schon die Zähne von Babys gepflegt werden müssen. Kinder, die viel zuckersüßen Tee trinken, haben bald große Karieslöcher in ihren Zähnen. Junge Erwachsene erkranken oft an Diabetes.

Schulungen zur Zahnhygiene und die Versorgung von Diabetikern zählen zu den verschiedenen Projekten der Apotheker ohne Grenzen in Argentinien. Koordinatorin Vetye-Maler ist seit sieben Jahren als Multitalent gefragt. Sie bespricht mit einheimischen Apothekerinnen die Arzneimittelabgabe in Gesundheitszentren, handelt mit argentinischen Pharmafirmen günstige Preise aus, sieht mit dem Architekten die Baupläne für Apothekenneubauten durch oder knüpft Kontakte zu lokalen Pfarreien und Hilfsorganisationen.

Argentinischer Ärztekongress prämiert Präventionsprojekt

Von Vetye-Malers Arbeit profitieren seit 2008 auch die Menschen im Gesundheitszentrum Nr. 16 in Villa Zagala. "Vor allem für das Zahnhygieneprojekt für Kinder haben wir die verschiedenen Ressourcen gebündelt: Apothekerinnen, Allgemeinmediziner, Zahnärzte, Gynäkologinnen, Kindergärtnerinnen und Sozialpädagogen arbeiten als Team zusammen. Die Gynäkologinnen schicken schwangere Patientinnen beispielsweise direkt an die Zahnärzte weiter. Diese erklären den Frauen, was sie bei der Zahnpflege ihres Nachwuchses beachten müssen. Ohne erzieherische Hilfe hätten die Zahnärzte bei den Kindern in den drei Kindergärten einen schweren Stand. Ihre Aufklärungskampagne wird von den Kindergärtnerinnen und der Handpuppe ‚Alex’ unterstützt. Nur gemeinsam können wir etwas erreichen", weiß Vetye-Maler.

Teamwork von Personen aus verschiedenen Fachrichtungen ist in Argentinien eine Seltenheit. Die Allgemeinmediziner schätzen dennoch den interdisziplinären Ansatz der Apotheker ohne Grenzen. Auf ihrem Jahreskongress im November 2009 (mit fast 1000 Teilnehmern) zeichneten sie unter hundert Arbeiten das Zahnhygieneprojekt in Villa Zagala mit dem Ersten Preis für die beste interdisziplinäre Arbeit aus.

Für die Apotheker ohne Grenzen bedeutet dieser Ehrenpreis vor allem eins: Ansporn für die Fortsetzung ihrer Projekte.

Hintergrundinformationen


Apotheker ohne Grenzen Deutschland e. V.

Neben langfristigen Projekten zur Verbesserung der Strukturen in der Gesundheitsversorgung engagiert sich Apotheker ohne Grenzen Deutschland e. V. (AoG) auch in der Katastrophenhilfe. Schulungen bereiten die ehrenamtlich tätigen Pharmazeuten auf ihre Einsätze vor. Im Projekt IMPACT der WHO beteiligt sich AoG am Kampf gegen Arzneimittelfälschungen. In Deutschland informiert AoG zum Thema Vermeidung von Arzneimittelspendenmüll.

Der im Jahr 2000 gegründete Verein zählt inzwischen über 800 Mitglieder.

Spendenkonto

Apotheker ohne Grenzen Deutschland e. V.
Konto-Nr. 0 005 077 591
Deutsche Apotheker- und Ärztebank, BLZ 300 606 01

Kontakt

Geschäftsstelle Apotheker ohne Grenzen Deutschland e. V.
Leiterin: Steffi Krüger
Hohenlindener Str. 1, 81677 München
Tel. (07 00) 26 42 64 00

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Fotos: AoG
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