Der Schlaganfall - Primärprävention

Der Schlaganfall ist wie Herzinfarkt oder Lungenembolie ein medizinischer Notfall. Bei Verdacht sollten die Patienten ohne Zeitverlust in ein neurologisches Zentrum – wenn möglich mit Stroke Unit – transportiert werden. Neben der Lyse und Vermeidung weiterer Gefäßverschlüsse bzw. Blutungen steht die Prävention weiterer Komplikationen im Vordergrund, die bereits mit der Akuttherapie beginnt.

Der Schlaganfall - Primärprävention

  • Die Primärprävention

In der Primärprävention gilt es, die Hauptrisikofaktoren für Schlaganfall wie Vorhofflimmern, Hypertonie oder Gefäßerkrankungen zu therapieren (Tab. 5).

Tab. 5: Risikoreduktion für Schlaganfall durch Primärprävention (? = nicht bekannt)
Intervention
Prävalenz der Therapie
RRR / ARR

pro Jahr
NNT
Indikation/Bewertung
Blutdrucksenkung
20 – 40%
30 – 40%
0,5%
200
wichtigste präventive Maßnahme Drucksenkung per se ist relevant
Vorhofflimmern
– Antikoagulation
1%
60%
2,7%
37
effektivste Prävention bei
kardialen Thrombosen
– ASS
?
30%
1,5%
67
Statine bei Hypercholesterinämie
5 – 10%
20%
1 %
100
indiziert nur bei Hochrisikopatienten
Nicotinabstinenz
20%
50%
?
?
nach 5 Jahren Normalisierung
des Risikos
Bewegung
?
25 – 50%
?
?
sehr effektiv
Diabetes-Therapie
3 – 5%
?
?
?
kaum wirksam; Effekte v. a. durch Senkung des Blutdrucks

Senkung des Blutdruckes. Dies ist die effektivste Primärprävention, zumal sie nicht nur das Risiko für zerebrale, sondern auch für kardiale oder nephrologische Ereignisse senkt. Prinzipiell ist das Ausmaß der Drucksenkung relevant, unabhängig von der Wirkstoffgruppe, auch wenn Metaanalysen eine geringe Überlegenheit für Calcium-Kanalblocker und ACE-/AT1-Hemmstoffe belegen. Möglicherweise schwächen diese Substanzen das Ausmaß des Schadens wie Gewebedefekt oder Symptome. Jedoch fehlt der Nachweis für eine klinisch relevante Neuroprotektion. Bei Diabetikern ist die Senkung des Blutdrucks mit ACE-/AT1 -Hemmstoffen u. a. wegen ihrer Nephroprotektion indiziert. Die DASH-Diät [DAZ 2009/13, S. 1396] unterstützt die "Zerebroprotektion".

Hypercholesterinämie. Statine zur Schlaganfall-Primärprävention sind nur bei KHK und nach Herzinfarkt indiziert. Die meisten Primärpräventions-Studien zeigen niedrige absolute Zahlen, die die relative Risikoreduktion (RRR) relativieren. So geht z. B. eine Senkung des RRR um 50% von 1,6% auf 0,8% mit einer NNT 100 (Tab. 5) einher. Hochrisikopatienten profitieren jedoch von einer aggressiven Lipidsenkung mit ambitionierten Zielwerten. Statine besitzen pleiotrope Effekte (anti-inflammatorisch, immunmodulatorisch, Plaque-stabilisierend, vasodilatierend), die aber fast alle durch die HMG-CoA-Hemmung und dosisabhängig vermittelt sind und sich damit analog zur LDL-Senkung verhalten – d. h. das Ausmaß der Lipidsenkung bestimmt den Therapienutzen, nicht das Statin.

Diabetes. Dieser relevante Risikofaktor korreliert nicht einfach mit der Höhe des Blutzuckers. Diabetes verursacht spezifische Mikroangiopathien, während die arterielle Hypertonie zu den Makroangiopathien zählt. Dies erklärt, warum selbst eine deutliche Senkung des Blutzuckers die Schlaganfall-Inzidenz kaum beeinflusst. Es ist wahrscheinlich die Blutdrucksenkung, die bei der Therapie des metabolischen Syndroms und des Diabetes das Schlaganfall-Risiko mindert.

Raucherentwöhnung. Nach Abstinenz von Nicotin entspricht das Schlaganfall-Risiko nach fünf Jahren dem der Nichtraucher – es lohnt sich also! Nicotinpflaster, Bupropion (Zyban®) oder Vareniclin (Champix®) sind hilfreiche Adjuvanzien der Entwöhnung. Die Abstinenzraten von Vareniclin und Bupropion betragen in den ersten Monaten bis zu 44% und 30% (Placebo 17%).

Gewicht. Ein erhöhter Body-Mass-Index steigert das Schlaganfall-Risiko. Auch hier ist wohl die Blutdrucksenkung, die mit einer Reduktion des BMI bzw. Körpergewichtes einhergeht, der entscheidende präventive Faktor. 5 kg Gewichtsabnahme senken den Blutdruck um 4,4/3,6 mmHg.

Primärpräventive Gerinnungshemmung. Umstritten ist immer wieder der Nutzen und das Ausmaß der primärpräventiven Gerinnungshemmung (Tab. 6), da wie bei jeder Primärprävention die Kosten enorm sind.

Tab. 6: Wertigkeit der Thrombozytenaggregationshemmung und der oralen Antikoagulation in der Therapie des Schlaganfalls: Therapeutika der 1. Wahl im Vergleich zu Alternativen (x = keine Therapie; OAK = orale Antikoagulation)
Indikation
1. Wahl
überlegen (>)
gleich (=)
Bewertung der 1. Wahl
gegenüber Alternative
Primärprävention
  • kein Risiko
x
  • mittleres Risiko
ASS
  • hohes Risiko
OAK
> ASS
wirksamer
  • Vorhofflimmern
– ohne Risiko
x
– > 65 Jahre
ASS
– mit Risiko
OAK
> ASS
wirksamer
Sekundärprävention
  • ohne Risiko
ASS
= OAK
sehr gutes Kosten-Nutzen-Verhältnis
ASS + Dipyridamol
>/= ASS
nicht routinemäßig
ASS + Dipyridamol
= Clopidogrel
ASS + Clopidogrel
= ASS
mehr Blutungen
ASS + Clopidogrel
= Clopidogrel
mehr Blutungen
Clopidogrel bei ASS-Unverträglichkeit
etwas wirksamer als ASS
  • (Hoch-)Risiko
Clopidogrel
= ASS + Dipyridamol
weniger UAW
Clopidogrel
= Clopidogrel + ASS
weniger Blutungen
  • pAVK
Clopidogrel
gute Sicherheit
  • arterielle Dissektion
OAK
= ASS
Überlegenheit nicht belegt
  • Karotisstent
ASS + Clopidogrel
  • akutes Koronarsyndrom
Clopidogrel + ASS
  • Vorhofflimmern
OAK
> ASS + Clopidogrel
wirksamer bei gleichem Blutungsrisiko
ASS + Clopidogrel
bei Unverträglichkeit von OAK
Dabigatran
= OAK
gleich wirksam, evtl. sicherer
  • pathologische
    Gerinnungsfaktoren
OAK
  • Keine Risikofaktoren: ASS ist bei Männern zwar gegen Herzinfarkt, aber nicht gegen SA wirksam; bei Frauen wurde eine geringe Wirksamkeit festgestellt.
  • Primärprävention bei Vorhofflimmern: die orale Antikoagulation mit Marcumar reduziert bei INR von 2 bis 3 das Schlaganfall-Risiko um 70% gegenüber Placebo. Eine INR < 2,0 ("Marcumar light") zeigt keinen Nutzen, eine INR > 3,0 führt zu vermehrten Hirnblutungen bei geringerer Wirksamkeit gegenüber INR 2 bis 3. ASS reduziert das Schlaganfall-Risiko bei Vorhofflimmern nur um 20% und ist der oralen Antikoagulation klar unterlegen, ebenso wie die Kombination ASS plus Clopidogrel (bei gleich hohem Blutungsrisiko). Die Kombination ASS plus orales Antikoagulans sollte vermieden werden, denn sie bietet keinen Gewinn an Wirksamkeit, aber vermehrte Blutungen. Bei Unverträglichkeit einer oralen Antikoagulation, z. B. bei Demenz, Mikroangiopathien oder Sturzgefahr, ist ASS die Alternative.

Die Entscheidung über die Prophylaxe muss sich am klinischen Gesamtbild orientieren:

  • < 65 Jahre, keine weiteren Risikofaktoren: keine Therapie oder wenn überhaupt ASS,
  • < 65 Jahre mit Risikofaktoren bzw. über 75 Jahren ohne Risikofaktoren: ASS,
  • hohes Thrombolierisiko: dauerhaft orale Antikoagulanzien.

Auch bei Patienten über 75 Jahren ist die orale Antikoagulation der ASS-Behandlung überlegen und führt bei guter ärztlicher Führung bzw. Compliance nicht zu vermehrten Blutungen (INR altersabhängig 2 – 3). Das individuelle Schlaganfall-Risiko lässt sich mit dem CHADS2-Score abschätzen (C = congestive heart failure; H = hypertension; A = age; D = diabetes, S = stroke).

Bewegung. Regelmäßige Bewegung senkt das Schlaganfall-Risiko um 30 bis 50%, wobei es keine enge Korrelation mit dem Ausmaß der Bewegung gibt. Bereits wirksam sind Bewegungen, die mit Schweißproduktion oder Steigerung der Herzfrequenz einhergehen.

Nicht wirksam: Vitamin B und Estrogen

Die Zufuhr von Vitaminen B6 und B12 senkt den Homocysteinspiegel – aber nicht das Schlaganfall-Risiko. Auch hier sehen wir das klassische "Zielgrößen-Paradox", das schon in DAZ 2009/22, S. 2520 diskutiert wurde. Unwirksam sind auch andere Vitamine, Knoblauch oder Nootropika. Estrogene schützten nicht vor Schlaganfall. In der Woman’s Health Initiative (WHI) Study erhöhte sich die Zahl der Schlaganfälle von 1,3% auf 1,8%, bedingt durch ischämische, aber nicht hämorrhagische Infarkte. Die WHI-Patientinnen waren mit durchschnittlich 70 Jahren ca. zehn Jahre älter als viele Frauen, die postmenopausal Hormone zur Ersatztherapie nehmen. Man geht davon aus, dass jedoch bei jüngeren 50- bis 55-jährigen Frauen das Risiko für kardiovaskuläre Nebenwirkungen durch Hormone im Vergleich zu WHI nur halb so groß ist. Man geht von einer absolute Zunahme um 0,2 bis 0,3% aus.

Dennoch erfordert diese Problematik noch bessere Untersuchungen. Es steht außer Zweifel, dass Estrogene ganz essenzielle Faktoren für die neuronale Plastizität und kognitive Funktionen sind. Das Gehirn ist voller Estrogen-Rezeptoren. Die Diskussion um die Bedeutung des Estrogens (und auch des Testosterons) für das alternde und kranke Gehirn hat gerade erst begonnen.


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