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Die Regierungsarbeit kann beginnen

BERLIN (ks). Bundeskanzlerin Angela Merkel hat ihren ambitionierten Zeitplan eingehalten: Der Koalitionsvertrag ist seit Montagabend, 26. Oktober, unterschrieben, am Mittwoch wurde sie im Bundestag zur Kanzlerin gewählt und mit ihrer neuen Regierungsmannschaft vereidigt. Die vorausgegangenen Verhandlungen waren nicht leicht – und das Ergebnis mag nicht jeden zufriedenstellen. So sind auch die Aussagen zur Gesundheitspolitik in weiten Teilen vage geblieben. Die Parteichefs bemühten sich dennoch, die erzielten Ergebnisse als Erfolg zu verkaufen.

"Die neue Regierung hält Wort", erklärte Merkel, als sie am 24. Oktober mit ihren Parteichefkollegen Horst Seehofer (CSU) und Guido Westerwelle (FDP) in der Berliner Bundespressekonferenz den Koalitionsvertrag "Wachstum. Bildung. Zusammenhalt." vorstellte. Es gebe keine Steuererhöhungen, sondern man setze auf Wachstum, um gestärkt aus der Krise herauszukommen. Damit die Lohnzusatzkosten für die Arbeitgeber nicht steigen, setzt die neue Regierung in der Gesundheitspolitik auf eine stärkere Entkopplung der Kassenbeiträge vom Lohn. Die Bürger sollen dabei nicht das Nachsehen haben: "Ich stehe dafür ein, dass es dafür auch einen Sozialausgleich gibt", betonte Merkel.

Eine neue Kommission

Doch über den Zaun gebrochen wird in der Gesundheitspolitik vorerst nichts – jedenfalls nicht im Hinblick auf die Neuordnung der Finanzierung der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV). Hier hatten es die Koalitionäre besonders schwer, zueinander zu finden. Und so lässt der Koalitionsvertrag in diesem Punkt einigen Spielraum. Langfristiges Ziel ist der Übergang zu einer "Ordnung mit mehr Beitragsautonomie, regionalen Differenzierungsmöglichkeiten und einkommensunabhängigen Arbeitnehmerbeiträgen, die sozial ausgeglichen werden". Der Arbeitgeberanteil soll dabei festgeschrieben werden. Eindeutig ist das nicht: Es kann den Übergang zu einem Kopfpauschalen-System bedeuten, muss es aber nicht, wie man insbesondere in der CSU beteuert, die vor allem eine Rückkehr zur Beitragsautonomie der Kassen anstrebt. Die endgültige Entscheidung wurde vertagt: Anfang 2010 soll eine Regierungskommission eingesetzt werden, die die notwendigen Schritte zum Übergang in eine neue Ordnung festlegen soll. "Das geht nicht im Hauruck-Verfahren", betonte Westerwelle. Auch Merkel unterstrich, dass die Entkopplung der Beiträge vom Lohn nur stückweise möglich sei. "Das ist ein mühseliger und schwieriger Prozess – aber das sind wir den Menschen schuldig."

Erst einmal ändert sich nichts

Und so bestätigt auch Seehofer: "In der Gesundheitspolitik ändert sich zunächst einmal gar nichts." Der von der FDP so stark bekämpfte Gesundheitsfonds bleibt – und wie seine Zukunft aussieht, ist ungewiss. Da der einheitliche Beitragssatz vorerst nicht angerührt werden soll, den Kassen im kommenden Jahr aber bekanntlich ein milliardenschweres Defizit droht, wird der Bund 2010 erneut kräftig Steuergelder in den Fonds stecken müssen. "Krisenbedingte Ausfälle dürfen nicht alleine den Versicherten aufgebürdet werden, deshalb werden gesamtstaatliche flankierende Maßnahmen zur Überbrückung der Krise erfolgen", heißt es im Vertrag – und das auch kurzfristig. Merkel verwies darauf, dass es den Krankenkassen zudem schon jetzt möglich sei, von ihren Versicherten Zusatzbeiträge zu erheben – soweit diese nicht ein Prozent des Bruttoeinkommens übersteigen. "Dieses System entwickeln wir weiter", so die Kanzlerin. Ein Sozialausgleich werde erst nötig, wenn es keinen Deckel für die Zusatzbeiträge gebe.

Beobachten, prüfen und weiterentwickeln

Der neue Bundesgesundheitsminister Philipp Rösler muss sich somit nicht gleich zu Beginn der neuen Legislaturperiode mit den ganz schwierigen Fragen befassen. Allerdings ist als zweite kurzfristige Maßnahme vorgesehen, "unnötige Ausgaben" zu vermeiden. Wie man das konkret angehen will, wird allerdings nicht weiter erörtert. Große Strukturveränderungen in der Gesundheitsversorgung sieht der Koalitionsvertrag ebenfalls nicht vor. Vieles soll beobachtet und überprüft, vereinfacht oder weiterentwickelt werden. So will man etwa den PKV-Basistarif im Auge behalten und den Wechsel in die private Krankenversicherung schon dann ermöglichen, wenn die Jahresarbeitsentgeltgrenze einmalig – und nicht drei Jahre hintereinander – überschritten ist. Die elektronische Gesundheitskarte soll einer Bestandsaufnahme unterzogen werden. Danach soll entschieden werden, ob eine Weiterarbeit auf Grundlage der bestehenden Organisationsstrukturen möglich und sinnvoll ist. Die Prävention wird gleich zu Beginn des Kapitels "Gesundheit" als "wichtiger Baustein" genannt – von einem Präventionsgesetz ist allerdings keine Rede mehr.

Bekenntnis zur Freiberuflichkeit

Apotheker und Ärzte müssen nach der Lektüre des Vertrages keine großen Angriffe fürchten: Ihre Freiberuflichkeit wird als wichtiges Fundament für die Versorgung herausgestellt. Das Fremd- und Mehrbesitzverbot für Apotheken will man nicht anrühren, die Auswüchse im Arzneimittelversandhandel bekämpfen, indem Pick-up-Stellen verboten werden. Medizinische Versorgungszentren sollen nur noch unter bestimmten Voraussetzungen zugelassen, die in diesem Jahr in Kraft getretene Honorarreform der Ärzte den "erforderlichen Kurskorrekturen" unterzogen werden.

Neuordnung des Arzneimittelmarktes

Selbst die Pharmahersteller müssen sich nicht akut bedroht fühlen. Im Vertrag wird angekündigt, dass die Vielzahl der sich zum Teil widersprechenden Instrumente, die den Arzneimittelmarkt regeln, überprüft werden und Überregulierung abgebaut wird – dies fordern die pharmazeutischen Industrie und die Apotheker schon lange. "Der Arzneimittelmarkt wird unter patienten-, mittelstandsfreundlichen- und wettbewerblichen Kriterien effizient neu geordnet", verspricht Schwarz-Gelb. Zudem soll das allgemeine Wettbewerbsrecht grundsätzlich auch in der GKV als Ordnungsrahmen gelten. Überprüfungsbedarf sehen die Koalitionäre etwa bei den Rabattverträgen. Auch Innovationen schätzen Union und FDP ausdrücklich – allerdings müssten ihre Chancen besser genutzt werden, ohne dabei die Finanzierung der Kassen zu gefährden. "Vereinbarungen zwischen Krankenversicherungen und pharmazeutischen Herstellern können ein Weg sein, um dieses Ziel zu erreichen", heißt es vage. Auch die Kosten-Nutzen-Bewertungen wollen die Koalitionäre angehen, sie müssten "praktikabel nach klaren, eindeutigen Kriterien erfolgen". Entsprechend will man die Arbeit des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen "unter dem Gesichtspunkt stringenter, transparenter Verfahren überprüfen und damit die Akzeptanz von Entscheidungen für Patienten, Leistungserbringern und Hersteller verbessern".

Warten auf die Kommission

Nun muss sich zeigen, wie schnell die neue Regierung in der Gesundheitspolitik durchstartet. Was den Systemumbau betrifft, dauert dies auf jeden Fall eine Weile. Kommissionen wurden im Gesundheitswesen schon häufig eingesetzt – die große Wirkung blieb zumeist aus. Ob und wann es diesmal klappt, wird sich weisen. Sowohl die Besetzung als auch der Zeitplan der Kommission seien noch offen, bestätigte die Kanzlerin. Vor der Landtagswahl im Mai 2010 in Nordrhein-Westfalen erwarten die Koalitionäre jedenfalls keine Ergebnisse. Sie peilen jedoch bereits eine Umsetzung für das Jahr 2011 an.

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