Praxis

Dick aufgetragen: Der ARD-Film "Heilung unerwünscht"

Eine Vitamin-B12-haltige "Wundersalbe" soll als Medizinprodukt auf den Markt kommen und Neurodermitis- und Psoriasis-Patienten helfen

Von Doris Uhl

Ein in der ARD am 19. Oktober 2009 ausgestrahlter Beitrag mit dem Titel " Heilung unerwünscht" über eine angebliche Wundersalbe hat für große Aufregung gesorgt. Die Vitamin-B12 - und Avocadoöl-haltige Salbe könne Millionen von Neurodermitis- und Psoriasis-Patienten die ersehnte Linderung verschaffen. Doch die Einführung dieses "Juwels im Verborgenen" werde durch die Pharmaindustrie verhindert, so der Grundtenor des Films. Als dann auch noch der Autor des Films in "hart aber fair" seinen Film und das passend dazu veröffentlichte Buch vorstellen durfte und zeitgleich die Markteinführung der Wundersalbe Mitte November unter dem Namen Regividerm® verkündet wurde, kam der Verdacht auf, dass es sich um einen geschickt eingefädelten PR-Coup handelt (s. a. Kommentar vom 22. 10. 2009 auf unserem Internetportal DAZ.online).

Die Story – Heilung unerwünscht erstmals ausgestrahlt am 19. Oktober 2009, hat die Hoffnung vieler Neurodermitis- und Psoriasis-Patienten geschürt.

Hintergrund der Geschichte ist eine schon Jahre zurückliegende Beobachtung des damaligen Medizinstudenten Karsten Klingelhöller. Er hatte festgestellt, dass eine Salbe, bestehend aus Avocadoöl und Vitamin B12 , die Beschwerden bei Neurodermitis lindern kann. Aufgearbeitet wurde "die Story" in dem ARD-Beitrag "Heilung unerwünscht", für den sich der Filmemacher Klaus Martens verantwortlich zeichnet. Grundtenor des Films: Die Pharmaindustrie verhindert ein nebenwirkungsfreies Medikament, das Millionen Menschen Leiden ersparen könnte, weil sie ihre teureren gefährlichen Medikamente verkaufen will. Klingelhöller soll jahrelang versucht haben, eine Pharmafirma für die Vermarktung seiner Erfindung zu gewinnen. Dabei soll er sich nicht nur hoch verschuldet haben, er soll auch an seinen glücklosen Bemühungen zerbrochen sein. Gezeigt wurde er als psychisch kranker Mann, der unter dem Dach einer Schweizer Klinik sein Dasein fristet. Der Film löste Empörung über das Versagen der Pharmaindustrie und den Betrug an den Patienten aus. Er fand Eingang in die Berichterstattung vieler großer Zeitungen und Online-Veröffentlichungen. In der Sendung "hart aber fair", ausgestrahlt am 21. Oktober 2009, wurde unvermittelt eine spannende Diskussion zum Thema "Testfall Schweinegrippe – sind wir Versuchskaninchen der Pharmaindustrie?" unterbrochen, um den Autor des ARD-Beitrags Klaus Martens zu begrüßen und auf seine sensationelle Enthüllungsstory hinzuweisen. Mit Filmeinspielungen, in denen die besonders ergreifende Szene mit einem vermummten, an Neurodermitis leidenden Kind und der verzweifelten Mutter gezeigt wurde, sollte das Ungeheuerliche der Story untermalt werden. Als dann noch auf das Buch von Martens verwiesen wurde, das demnächst mit der Rezeptur des Wundermittels auf den Markt kommen soll, entlud sich der Unmut bei den anwesenden Diskussionsteilnehmern. Siegfried Throm, Geschäftsführer des Verbandes forschender Pharma-Unternehmen (vfa), sprach von einem genialen Marketing-Coup, mithilfe eines Filmes ein Buch zu protegieren, das in Kürze herauskommen soll und die entsprechende Salbe noch passend dazu. Da könnten sich die Marketingabteilungen der Firmen seines Verbandes noch eine Scheibe abschneiden.

In der Tat muss schon vor Ausstrahlung der Sendung am 19. Oktober 2009 in der ARD die Markteinführung der Salbe unter dem Namen Regividerm® durch die Schweizer Firma Mavena Health Care AG geplant worden sein, in der Lauer Taxe ist Regividerm® seit dem 15. Oktober 2009 unter der Pharmazentralnummer 5523487 gelistet. Liest man die Mitteilung vom 22. Oktober unter www.regividerm.de, könnte man meinen, dass die ARD-Sendung den Ausschlag für die Vermarktung durch die Mavena Health Care AG gegeben hat:

22. Oktober 2009

 

Mit der Mavena Health Care AG aus der Schweiz haben wir einen zwar kleinen, aber unabhängigen Vertriebspartner gefunden, der unserer Firmenphilosophie entspricht und sicherstellt, dass Regividerm ® Vitamin B 12 Salbe europaweit zuverlässig in pharmazeutisch einwandfreier Qualität verfügbar ist. ... Davon ausgehend, dass nun keine Versuche unternommen werden, die Auslieferung von Regividerm ® Vitamin B 12 Salbe zu verhindern, können wir jetzt tatsächlich davon ausgehen, dass Regividerm ® Vitamin B 12 Salbe im November 2009 in den Apotheken von Deutschland, Österreich und der Schweiz verfügbar ist.

Am 23. Oktober 2009 war auf den Seiten von Regividerm® zu erfahren, dass die Produktion der ersten Charge abgeschlossen sei. 27.660 Packungen sollen im November über den Großhandel an Apotheken ausgeliefert werden.

Deutscher Psoriasis Bund ruft Presserat an

Das ganze Vorgehen hat unter anderem den Deutschen Psoriasis Bund auf den Plan gerufen

PD Dr. Thomas Rosenbach, Sprecher des Wissenschaftlichen Beirats des Deutschen Psoriasis Bundes e. V. bezeichnet den Beitrag als baren Unsinn: "Die Psoriasis ist wissenschaftlich unbestritten eine multigenetische chronische System-Erkrankung. Nach dem derzeitig weltweit verfügbaren medizinischen Wissen ist eine Psoriasis nicht heilbar. Es gibt auch keinen medizinischen Goldstandard zur äußerlichen Cortison-Behandlung einer Psoriasis, wie der Autor behauptet."

Der Deutsche Psoriasis Bund sieht darüber hinaus einen Verstoß gegen den Pressekodex und kritisiert die mangelnde Sorgfalt, mit der der Autor bei seiner Recherche vorgegangen ist. Zudem könne sich die ARD nicht von dem Anschein freisprechen, Werbung für ein Produkt zu machen.

Der Deutsche Psoriasis Bund fordert von dem Vorsitzenden der ARD-Intendanten, sich mediengerecht, öffentlich für die Missachtung publizistischer Grundsätze bei den Menschen mit Schuppenflechte zu entschuldigen. Darüber hinaus wurde der Deutsche Presserat angerufen.

Ungeachtet solcher Proteste wurde der ARD-Beitrag am 23. und 24. Oktober auf Phoenix und ARD extra erneut gezeigt.

Medizinprodukt mit rein physikalischer Wirkung?

Bei dem Präparat Regividerm® handelt es sich nicht um ein zugelassenes Arzneimittel, sondern lediglich um ein Medizinprodukt der Klasse II a ( mäßiger Invasivitätsgrad, kurzzeitige Anwendung), das als solches in der Schweiz und der EU registriert ist. Eine Registrierung als Medizinprodukt ist dann möglich, wenn von einer rein physikalischen Wirkung ausgegangen wird.

NO-Fänger Vitamin B12 ?

Als Wirkmechanismus wird die Neutralisation von NO durch Vitamin B12 angesehen. Das Ausmaß der atopischen Hautreaktionen soll in engem Zusammenhang mit einer erhöhten Cytokin- und NO-Bildung stehen. Vitamin B12 soll dabei als NO-Fänger die Konzentration von NO und damit die Entstehung der Hautläsionen reduzieren. Damit würde Vitamin B12 nicht die Ursache der Entzündungsreaktionen bekämpfen, sondern lediglich die Symptome. Eine Heilung, so wie der Titel des ARD-Beitrags dies suggeriert, ist danach nicht möglich.

Nur Anzeige-, keine Genehmigungspflicht

Medizinprodukte unterliegen der Anzeigepflicht bei der für den Hersteller zuständigen Behörde. Im Fall von Regividerm, das von der Regeneratio Pharma GmbH, Remscheid hergestellt wird, ist das die Bezirksregierung Düsseldorf. Sie prüft die Unterlagen und könnte theoretisch, wenn sie der Meinung ist, dass es sich um ein zulassungspflichtiges Arzneimittel handelt, das Inverkehrbringen untersagen. Dazu müssten allerdings schwerwiegende Gründe wie Gefahr für Leib und Leben vorliegen.

Studien zur Sicherheit und Wirksamkeit, wie sie für die Zulassung als Arzneimittel notwendig sind, liegen für Regividerm® nicht vor. Insgesamt sind drei Studien dokumentiert. Eine Studie aus dem Jahr 2001, publiziert in der Zeitschrift Dermatology, eine weitere aus dem Jahr 2004, publiziert im British Journal of Dermatology und eine dritte, die im April 2009 im Journal of Alternative and Complementary Medicine veröffentlicht worden ist.

  • Studie aus dem Jahr 2001: An dieser Studie nahmen 13 Patienten mit chronischer Plaquepsoriasis teil. Es handelte sich um eine randomisierte Studie, in der im intraindividuellen Rechts-Links-Vergleich an den Armen die Vitamin-B12 -Avocadoöl-Salbe gegen eine Calcipotriol-Salbe über zwölf Wochen getestet worden ist. Das Ergebnis: Die Calcipotriol-Salbe war nach vier Wochen am wirksamsten, dann ließ die Wirkung nach. Mit der Vitamin-B12-Salbe wurden über den gesamten Zeitraum zufrieden stellende Ergebnisse erzielt. Die Autoren schlussfolgern, dass die Vitamin-B12 -Salbe eine gut verträgliche Therapie ist, die für die Langzeittherapie geeignet sein könnte [1].
  • Studie aus dem Jahr 2004: An der im British Journal of Dermatology publizierten randomisierten und placebokontrollierten Untersuchung nahmen 49 Neurodermitis-Patienten teil. Über einen Zeitraum von acht Wochen trug jeder Patient morgens und abends auf eine Armseite die Placebo-Salbe, auf die andere die Vitamin-B12 -haltige Salbe auf. Die Patienten bewerteten die Vitamin-B12 -Salbe deutlich besser [2].
  • Studie vom April 2009: 21 an topischen Ekzemen leidende Kinder und Jugendliche im Alter von sechs Monaten bis 18 Jahren wurden über vier Wochen entweder mit der Vitamin-B12 -Salbe oder Placebo behandelt. Die Vitamin-B12 -Salbe soll dabei der Placebo-Behandlungüberlegen gewesen sein. Die Behandlung mit einer Vitamin-B12 -Salbe sollte daher, so die Schlussfolgerung, bei Kindern mit Ekzemen in Erwägung gezogen werden [3].

Danach liegen keine großen Studien mit dem angepriesenen Vitamin-B12 -Präparat vor. Selbst Dr. Markus Stücker, Dermatologe an der Ruhr-Universität Bochum und Erstautor der Publikationen aus den Jahren 2001 und 2004 warnt vor übertriebenen Erwartungen und weist auf fehlende Daten zur Sicherheit und Wirksamkeit bei Langzeitanwendung hin. Vitamin B12 ist lichtempfindlich. Diskutiert wird, ob unter Lichteinfluss hochreaktiver Singulettsauerstoff entsteht, der die Haut schädigen und unter Umständen zu Hautkrebs führen kann.

Hersteller stellt Rezeptur zur Verfügung

Schon 1993 hatte Klingelhöller in Deutschland ein Patent zur Verwendung von Corronoiden bei Hauterkrankungen (DE 4319629 A1) und 1994 ein Europäisches Patent angemeldet (EP 0705102B1). Eine weitere Anmeldung in Deutschland stammt aus dem Jahr 2001 (DE 10130846 A1). Es folgten weitere Anmeldungen weltweit, so auch in den USA. Den Offenlegungsschriften sind auch Rezepturen zu entnehmen. Den Aussagen des Herstellers zufolge wurde die Rezeptur jedoch weiterentwickelt. Vor der Verwendung der Rezepturen aus alten Patentschriften wird gewarnt. Damit Patienten sich in der Apotheke die Salbe anfertigen lassen können, wurde die Rezeptur am 21. Oktober 2009 auf den Seiten von Regividerm® veröffentlicht. Wörtlich heißt es unter www.regividerm.de:

 

21. Oktober 2009

In diversen Internetforen kursieren derzeit die unterschiedlichsten Salbenrezepte mit falschen Inhaltsstoffangaben von Regividerm ® Vitamin B 12 Salbe. Darin bezieht man sich auf die alten Patentschriften. Wir haben Regividerm ® Vitamin B 12 Salbe jedoch weiterentwickelt und bitten um Beachtung, dass mit falschen Inhaltsstoffen keine klinischen Erfolge erzielt werden, ja falsche Inhaltsstoffe sogar erhebliche Risiken mit sich bringen können!

 

Deshalb möchten wir heute aus "erster Hand” und um allen Missverständnissen vorzubeugen die Inhaltsstoffe der original Regividerm ® Vitamin B 12 Salbe veröffentlichen. Diese sind:

 

0,07 Gramm Vitamin B 12, 46 Gramm Avokadoöl, 45,42 Gramm Wasser, 8 Gramm TEGO ® Care PS, 0,26 Gramm Kaliumsorbat, 0,25 Gramm Zitronensäure

 

Die genannten Inhaltsstoffe werden selbstverständlich in der original Regividerm ® Vitamin B 12 Salbe in geprüfter und pharmazeutisch einwandfreier Qualität verwendet.

 

Mit dieser, für die Pharmabranche eher unüblichen Offenlegung unserer firmeneigenen Rezeptur, möchten wir allen Betroffenen ermöglichen, sich die Salbe schon heute vom Apotheker ihres Vertrauens zubereiten zu lassen …

Der ARD-Beitrag und die Veröffentlichung der Rezeptur hat eine große Nachfrage in deutschen Apotheken ausgelöst. Unter anderem bestehen Probleme mit der Beschaffung des Emulgators. Als Reaktion darauf wurden von dem Redaktionsteam des Neuen Rezeptur Formulariums Rezepturhinweise von Cyanocobalamin zur Anwendung auf der Haut veröffentlicht und Alternativvorschläge zur Orginalrezeptur unterbreitet. So können Rezepturen unter Verwendung einer lipophilen Grundlage wie Hydrophobe Basiscreme DAC oder einer mit Avocadoöl aufgefetteten Basiscreme DAC (1 Teil Öl, 5 Teile Creme) angefertigt werden. Die Hinweise dazu finden sich unter www.pharmazeutische-zeitung.de/fileadmin/nrf/PDF/1-Cyanocobalamin_Haut.pdf.

 

 

Quellen

[1] Stücker M et al: Vitamin B(12) cream containing avocado oil in the therapy of plaque psoriasis. Dermatology 2001;203(2):141 – 7

[2] Stücker M et al: Topical vitamin B12 – a new therapeutic approach in atopic dermatitis-evaluation of efficacy and tolerability in a randomized placebo-controlled multicentre clinical trial. Br J Dermatol 2004; 150 977 – 983 

[3] Ronald Januchowski R: Evaluation of Topical Vitamin B12 for the Treatment of Childhood Eczema The Journal of Alternative and Complementary Medicine. April 2009, 15(4): 387 – 389. doi:10.1089/acm.2008.0497.

[4] www.regividerm.de Stand 25. Oktober 2009

 


Die Filmbeiträge:

Heilung unerwünscht. http://www.ardmediathek.de/ard/servlet/content/3161202

Hart aber fair http://www.wdr.de/tv/hartaberfair/sendungen/2009/20091021.php5?akt=1

 

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