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Zu wenig Transparenz in der Heil- und Hilfsmittelversorgung

BERLIN (ks). Die Ausgaben für Heil- und Hilfsmittel stehen mit 5,7 Prozent der Gesamtausgaben der GKV auf Platz vier nach den größten Ausgabenblöcken Krankenhausbehandlungen, Arzneimittel und ambulante ärztliche Behandlungen. Die Ausgabensteigerung im Heilmittelbereich liegt mit 5,8 Prozent direkt hinter denen für ärztliche Behandlungen und Arzneimittel. Wahrgenommen wird dieser Ausgabenblock allerdings kaum. Die Gmünder Ersatzkasse nimmt ihn in ihrem "GEK Heil- und Hilfsmittel-Report 2009" allerdings schon zum sechsten Mal genauer unter die Lupe.
Gerd Glaeske Die Verordnung von Heil- und Hilfsmitteln ist eher eine "Black Box".
Foto: DAZ/Archiv

Während die Sinnhaftigkeit von Arzneimittelverordnungen schon lange kritisch beobachtet wird, ist die Verordnung von Heil- und Hilfsmitteln noch eher eine "Black Box". In der aktuellen Ausgabe des GEK-Reports stellt das Autorenteam um Professor Gerd Glaeske vom Zentrum für Sozialpolitik der Universität Bremen die Relevanz der Heil- und Hilfsmittelversorgung für seltene und wenig wahrgenommene Erkrankungen heraus – und kommt dabei zu ernüchternden Ergebnissen.

FMS: von qualitätsgesicherter Behandlung weit entfernt

So etwa beim Fibromyalgiesyndrom (FMS), einer chronischen Schmerzerkrankung, unter der bis zu zwei Prozent der erwachsenen Bevölkerung leiden. Frauen sind dabei sechsmal häufiger betroffen als Männer, 50 Prozent der Patienten leiden zusätzlich unter Depressionen. Da das FMS als biopsychosoziale Erkrankung anzusehen ist, komme sowohl die somatische als auch die psychologische Behandlung in Frage, so der GEK-Report. Empfohlen werde vor allem die aktivierende Bewegungstherapie im Rahmen der Physiotherapie. Doch von einer qualitätsgesicherten Behandlung sei man weit entfernt – obwohl das FMS längst in Kostendimensionen von Diabetes-, Rheuma- oder Rückenschmerztherapie vorstoße. Tatsächlich würden neben der Krankengymnastik vor allem passive Maßnahmen verordnet und die Patienten nur bedingt mit den empfohlenen Arzneimitteln versorgt, kritisiert der GEK-Report. Auffällig sei etwa der hohe Anteil der Verordnungen für Corticosteroide und Antirheumatika, die nicht zu den empfohlenen Mitteln gehören.

Das Beispiel der schweren Stoffwechselerkrankung Mukoviszidose zeigt dagegen, was die Hilfsmittelversorgung leisten kann. War die Lebenserwartung der Betroffenen vor 20 Jahren noch auf das Kindesalter beschränkt, erreichen heute 80 Prozent das 45. Lebensjahr – auch dank innovativer Atemtherapiegeräte. Diese nehmen unter den ausgabenstärksten Hilfsmittelproduktgruppen der GEK Platz 1 ein. Doch der Therapieerfolg hat eine Kehrseite: Die Komplikationen der Erkrankung verlagern sich in das Erwachsenenalter, inzwischen ist jeder zweite Mukoviszidosepatient über 18 Jahre alt. Dabei fehlt es häufig an Spezialambulanzen für die Erwachsenen, moniert Claudia Kemper, Mitautorin des Reports. "Transitional Care, also der Versorgungsübergang vom Kinder- und Jugendalter zu einer adäquaten Versorgung im Erwachsenenalter, muss in Deutschland dringend Thema werden."

"Therapiegesellschaft" vermeiden

Auch Glaeske sieht akuten Handlungsbedarf bei der Heil- und Hilfsmittelversorgung. Er verwies auf die starken regionalen Unterschiede der Ausgaben und Richtgrößen, die medizinisch kaum zu rechtfertigen seien: "In puncto Transparenz, Nutzenbewertung und Evidenzbasierung muss die Heil- und Hilfsmittelversorgung noch aufholen. Wie in der Arzneimittelversorgung brauchen wir versorgungsorientierte und angemessene Richtgrößen." Was die Transparenz betreffe, so Glaeske, liege der Bereich 15 Jahre hinter dem Arzneimittelsektor zurück, die Entwicklung von Qualitätsstandards befinde sich noch in den Kinderschuhen.

Der Report macht auch deutlich, dass nicht jeder Ausgabenanstieg allein auf eine Morbiditätssteigerung zurückzuführen ist. So erhalten mittlerweile acht Prozent bzw. jeder elfte GEK-Versicherte unter zehn Jahren logopädische oder ergotherapeutische Verordnungen. GEK Vorstand Dr. Rolf-Ulrich Schlenker vermutet einen Verlagerungseffekt: "Offenbar werden immer früher Ärzte, Ergotherapeuten und Logopäden hinzugezogen, auch weil Eltern und Erzieher verunsichert oder überfordert reagieren." Bei derartigen Heilmittelverordnungen müsse man daher "genauer hinschauen und vermeiden, dass wir zur Therapiegesellschaft werden".

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