DPhG-Jahrestagung

Wirkstoffe aus den "Kräuterkammern der Welt"

Einer Analyse des amerikanischen National Cancer Institute (NCI) aus dem Jahre 2007 zufolge ist ein sehr großer Teil der heute eingesetzten Krebsmedikamente natürlichen Ursprungs. Auch nach Ansicht von Prof. Dr. Thomas Efferth vom DKFZ in Heidelberg sind Naturstoffe ein "unerschöpflicher Quell" für neue Medikamente in der Tumortherapie.
Thomas Efferth
Foto: DAZ/cb

Besonders aussichtsreich, so Efferth, ist die Suche nach neuen Wirkstoffen in den Regionen um den Äquator – in den Regenwäldern Südamerikas, in Zentralafrika und in Südostasien – da man dort eine hohe Artendichte antrifft. Diese Gebiete werden daher auch als "Hotspots der Biodiversität" bezeichnet. Bei Pilotstudien fanden er und seine Mitarbeiter vom Deutschen Krebsforschungszentrum in Heidelberg (DKFZ), dass viele Inhaltsstoffe dieser Pflanzen eine Zytotoxizität gegen Krebszellen aufweisen.

Um angesichts der großen Zahl von Pflanzenarten die Suche nach neuen Wirkstoffen möglichst effektiv zu gestalten, stützten sich die Wissenschaftler bei ihren weiteren Untersuchungen auf Erkenntnisse der traditionellen chinesischen Medizin (TCM) mit ihrer langen Geschichte. Seit etwa 2000 Jahren werden in der TCM schriftliche Aufzeichnungen angefertigt; ihr Studium erhöht die Chance, in TCM-Pflanzen chemische Strukturen für eine rationale Krebstherapie zu finden. Zusätzlich knüpften die Heidelberger Wissenschaftler Kooperationsbeziehungen mit chinesischen Universitätsinstituten und sammelten auf mehreren Exkursionen zahlreiche Pflanzen.

Antitumor-Screening mit Rohextrakten

Aus den gesammelten Pflanzenteilen wurden Rohextrakte hergestellt und auf ihre Hemmwirkung gegen Krebszellen untersucht. Von den 256 Extrakten des ersten Antitumor-Screenings besaßen etwa acht bis zehn Prozent eine zytotoxische Wirkung, darunter Extrakte aus Artemisia annua (Einjähriger Beifuß, siehe Abb.), Curcuma longa (Gelbwurzel) und Eleutherococcus senticosus (Taigawurzel). Die tumorwirksame Substanz Artemisinin aus A. annua erwies sich als besonders interessant für weitere Analysen. Da Artemisinin wenig wasserlöslich ist, wurde im weiteren Studienverlauf das halbsynthetische Derivat Artesunat untersucht, das bereits als Antimalaria-Wirkstoff bekannt ist (siehe Formeln).

Mithilfe der komparativen genomischen Hybridisierung identifizierten Efferth und seine Mitarbeiter anschließend, welche Gene für die Antitumorwirkung von Artesunat verantwortlich sind. Es zeigte sich, dass ein spezieller Genlocus auf dem kurzen Arm von Chromosom 9 (9p21) mit einem Ansprechen auf Artesunat assoziiert ist. In weiteren Untersuchungen gelang es zusätzlich, Gene, die Artesunat-Resistenzproteine (z. B. Katalase, Glutathion-S-Transferase) codieren, zu identifizieren.

Aus der Malariaforschung ist bekannt, dass Artesunat in der Lage ist, Proteine zu alkylieren. Efferth und seine Mitarbeiter fanden in ihren Untersuchungen zusätzlich, dass Artesunat dosisabhängig DNA-Strangbrüche induziert, was für die Erklärung der Antitumorwirkung von Bedeutung ist.

Besonders interessant war für die Heidelberger Wissenschaftler die Klärung der Frage, ob Artesunat Apoptose induzieren kann. Sie fanden heraus, dass der Wirkstoff den intrinsischen (mitochondrialen), nicht jedoch den extrinsischen (rezeptorgetriebenen) Pathway der Apoptose aktiviert.

Präklinische und klinische Studien

Um Artesunat letztendlich bei Krebspatienten einsetzen zu können, folgten als nächste Schritte präklinische und klinische Untersuchungen. Mithilfe des Xenocraft-Nacktmaus-Modells, bei dem immunsupprimierten Versuchstieren Tumoren implantiert werden, gelang es nachzuweisen, dass Artesunat Angiogenese und Tumorwachstum hemmen kann.

Weiterhin wurde Artesunat in vitro an frisch entnommenem menschlichem Tumorgewebe getestet. Die Untersuchung von bisher 28 derartigen Biopsien von Patienten mit chronischer lymphatischer Leukämie, Mamma- und Kolonkarzinom ergab, dass Artesunat eine dosisabhängige, starke Wirksamkeit – insbesondere gegen seltene Tumoren – besitzt, die vergleichbar mit etablierten Zytostatika war.

Letztendlich wurde Artesunat im Rahmen von Heilversuchen bei zwei austherapierten Patienten mit uvealem Melanom (Melanom der Augengefäßhaut), einer sehr seltenen und aggressivem Tumorart, eingesetzt. Die mittlere Überlebenszeit dieser Patienten liegt bei drei bis fünf Monaten nach Diagnosestellung. Der eine mit Artesunat behandelte Patient überlebte 24 Monate, der andere Patient gilt inzwischen als geheilt.

Zurzeit wird Artesunat in drei Phase-I/II-Studien gegen Veterinärtumoren sowie Brust- und Darmkrebs untersucht.



cb

Der Naturstoff Artemisinin (aus Artemisia annua) und sein Derivat Artesunat.

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