DPhG-Jahrestagung

Gezielte Stilllegung von Genen mit RNAi

Bei der RNA-Interferenz (RNAi) handelt es sich um eine Technik, die es ermöglicht, bestimmte Gene gezielt zu deaktivieren. Sie ist damit eine völlig neuartige, potenzielle Therapieoption für verschiedenste Erkrankungen. Prof. Dr. Daniel Hoyer, Novartis AG, Basel, stellte in seinem Plenarvortrag Forschungsergebnisse zur Anwendung der RNA-Interferenz bei neurologischen und psychiatrischen Erkrankungen vor.
Daniel Hoyer
Foto: DAZ/cb

Im Jahre 2006 erhielten die beiden amerikanischen Wissenschaftler Andrew Z. Fire und Craig C. Mello für ihre Forschungen zur RNA-Interferenz den Medizin-Nobelpreis. Sie hatten eine Technik entwickelt, die es ermöglicht, bestimmte Gene "stumm zu schalten", sodass die Proteine, die diese Gene codieren, nicht mehr gebildet werden. Bei dieser Technik wird doppelsträngige RNA in die Zielzelle gebracht und im Zytoplasma durch das Enzym Dicer in kleine Bruchstücke, die short interfering RNA (siRNA), zerlegt. Diese bindet anschließend mithilfe des Komplexes RISC (RNA-induced silencing complex) an die zelleigene, komplementäre mRNA. Zelleigene Nucleasen bauen dann siRNA und mRNA ab; dies wird als posttranskriptionale Gen-Deaktivierung bezeichnet.

Forschung mit siRNA und shRNA

Nach Ansicht von Hoyer ist die RNAi eine vielversprechendes Methode, um die Funktion von Genen gezielt zu erforschen bzw. zu beeinflussen. Bei Organen wie z. B. Gehirn, Lunge, Auge oder dem Nervensystem war das "proof of concept" bereits erfolgreich. Gegenwärtig betreiben weltweit acht Firmen klinische Forschung zur RNSi, berichtete Hoyer. Seine Arbeitsgruppe beschäftigt sich vorrangig damit, doppelsträngige siRNA in das Gehirn von Versuchstieren zu applizieren, um dort beispielsweise die Gene, die Dopamin- und Serotonin-Transporter codieren, abzuschalten. So wurden in einem Experiment Mäusen zwei Wochen lang siRNA infundiert, die komplementär zum Dopamin-Transporter-Gen DAT ist. Dies führte in den entsprechenden Gehirnabschnitten zur spezifischen Down-Regulation der von DAT transkribierten mRNA sowie zur Verringerung der Konzentration des entsprechenden Proteins (Dopamin- oder Serotonin-Transporters).

In einem anderen Experiment wurde auf ähnliche Weise im Gehirn von Mäusen das Gen inaktiviert, das den Serotonin-Reuptake-Transporters SERT codiert. Dies war ähnlich effektiv wie die Gabe des selektiven Serotonin-Wiederaufnahmehemmers (SSRI) Citalopram, wie ein Parallelversuch zeigen konnte. Sowohl die RNAi als auch die pharmakologische Methode führten zu einer antidepressiven Wirkung bei den Versuchstieren.

Neben der nonviralen RNAi gibt es noch virale Techniken: die short hairpin RNA (shRNA) beispielsweise ist länger als die siRNA und kann daher nur mithilfe eines viralen Vektors appliziert werden. Dabei besteht, so Hoyer, die Schwierigkeit darin, die Kontrolle über das Virus zu behalten.

Orale Applikation von siRNA möglich

In einem Anfang diesen Jahres in der Fachzeitschrift Nature veröffentlichten Tierversuch war es Forschern sogar gelungen, siRNA gegen den Tumornekrosefaktor α (TNF-α) oral zu verabreichen. Sie wurde zu diesem Zweck in einem β-1,3-D-Glucan-Vehikel verkapselt. Es kam daraufhin zu einer Depletion der entsprechenden mRNA in Makrophagen aus Peritoneum, Milz, Leber und Lunge und folglich zu einer Verminderung der Serumkonzentrationen von TNF-α. Mit der oralen Gabe von siRNA mit passender Sequenz könnte es in Zukunft – so die Hoffnung der Forscher – gelingen, entzündliche Prozesse bei verschiedenen Erkrankungen abzumildern.

cb

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